»Es ist ein Ford Jaguar«, rief sie in dem Versuch, seine düstere Stimmung aufzuhellen, über den pfeifenden Wind und den Verkehrslärm hinweg. »Hat den Sechszylinder und das Getriebe eines Mercury unter der Haube. Sieht wie ein Jaguar aus, aber ich kann darauf verzichten, daß die ganze Zeit ein englischer Mechaniker auf dem Rücksitz mitfährt!«
Während sie die Interstate 45 entlangbrausten, sagte Jamie kaum ein Wort. Der Freitagnachmittagsverkehr war stark, aber Edith schlängelte sich zwischen den Lastwagen und den Wochenendausflüglern hindurch, als würde die Autobahnpolizei gar nicht erst versuchen, sie zu stoppen. Jamie wußte, daß dies das letzte Wochenende war, das er und Edith zusammen verbringen würden. Am Montag würde er anfangen, seine Sachen zu packen. Er wollte weg aus Houston, weg vom Raumfahrtzentrum, weg von allem, was mit der Marsmission zusammenhing. So weit weg wie möglich.
Wohin? Zurück an die Universität von Albuquerque? Um Studenten, die ihr Leben mit der Suche nach Öl verbringen würden, wieder Geologieunterricht zu erteilen? Um im Sommer wieder in alten Meteoritenkratern zu buddeln, während andere den Mars erforschten? Zurück nach Berkeley und zurück zu seinen Eltern?
Ihr Hotelzimmer in Galveston war hoch oben in einem der Türme mit herrlichem Ausblick auf den Golf von Mexiko.
»Ein schöner Blick, nicht wahr?« sagte Edith und legte Jamie einen Arm um die Taille, als sie zusammen an der gläsernen Schiebetür standen, die zu einer schmalen Terrasse hinausführte. Sie legte den Kopf an seine Schulter.
»Bis zum nächsten Hurrikan«, sagte Jamie.
»Ja. Wir berichten jedes Jahr über die Sturmschäden, und jedes Jahr bauen sie noch mehr von diesen Hochhäusern.«
Jamie drehte sich zum Bett um und machte sich daran, das Rasierzeug aus seiner dunkelblauen Nylon-Reisetasche zu kramen.
»Welche Seite im Schrank willst du?« fragte Edith.
»Ist mir egal.«
»Du bist wirklich down, was?«
»Am Boden und ausgezählt«, sagte Jamie, ging mit dem Etui ins Bad und legte es aufs Bord über dem Waschbecken, ohne sich die Mühe zu machen, es zu öffnen.
Sie stand an der Tür, ernster, als er sie je gesehen hatte.
»Wir haben eine Verlautbarung vom Büro des Marsprogramms gekriegt. Sie wollen den Abflugtermin Montag vormittag bei einer Pressekonferenz in Genf bekanntgeben.«
Jamie nickte. »Und die Besatzungsliste.«
»Du fliegst nicht mit.«
»Ich fliege nicht zum Mars«, sagte er.
Edith zwang sich zu einem zittrigen Lächeln. »Na ja … du hast die ganze Zeit gesagt, du würdest nicht glauben, daß sie dich nehmen.«
»Jetzt weiß ich’s genau.«
Das Lächeln verblaßte. »Jetzt wissen wir’s beide.«
Sie werden ohne mich zum Mars fliegen, und ich werde in der Versenkung verschwinden, sagte er sich, außerstande, die Worte laut auszusprechen. Ich werde ein Universitätsgeologe unter vielen werden, der nirgends hinkommt und nichts erreicht. Er sah sich sein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken an: Zorn glomm in seinen dunklen Augen. Dir fehlt nur noch ein bißchen Kriegsbemalung, sagte er zu dem finster dreinblickenden Spiegelbild.
Edith kannte ihn gut genug, um zu merken, daß er keine Worte mehr für sie hatte. Sie drehte sich um, ging zur Terrassentür zurück und zog eine der Schiebetüren auf. Sie blieb auf halbem Wege stecken.
»Verdammter Rost«, murmelte sie, während sie durch die schmale Öffnung auf die Terrasse hinausschlüpfte. »Die Luft hier draußen ist pures Salz.«
Jamie durchquerte das mit Teppichboden ausgelegte Zimmer, lehnte sich gegen die widerstrebende Tür und schob dann mit beiden Händen und aller Kraft. Auf einmal war er ungeheuer wütend. Die Tür quietschte und sprang aus der Schiene, während sie ganz zurückglitt. Jamie schnaubte und starrte die schief an den oberen Rollen hängende Tür zornig an. Dann trat er auf die Terrasse hinaus. Den klimatisierten Raum zu verlassen, war wie der Wechsel von Eiskrem zu heißer Suppe. Er spürte, wie seine Achselhöhlen sofort schweißfeucht wurden.
Edith ignorierte seinen Ausbruch brutaler Gewalt. »Sieht hübsch aus«, sagte sie, den Blick auf den stillen Golf gerichtet. »Wenn gerade mal kein Hurrikan tobt, heißt das.«
Jamie umfaßte das Geländer mit beiden Händen und bemühte sich, an etwas anderes zu denken als an Schmerz und Zorn. »Schon mal den Pazifik gesehen?«
»Nur im Fernsehen.«
»Die Brandung ist unglaublich. Im Vergleich dazu ist das da eine Milchpfütze.«
»Surfst du?«
»Eigentlich nicht«, sagte er. »Ich hatte nie die Zeit dazu.«
»Ich segle gern. Ein Freund von mir hat ein Hobie Cat. Macht Spaß mit den Dingern.«
Jamie atmete die salzige Luft tief ein. »Als ich zum ersten Mal den Ozean gesehen habe, muß ich vier, fünf Jahre alt gewesen sein. Meine Eltern waren gerade aus New Mexico nach Berkeley gezogen, und ich dachte, in der Bucht wäre das ganze Wasser der Welt. Dann sind sie mit mir an den Strand gegangen, und ich habe den Pazifik gesehen. Die verdammten Brecher haben mir eine Höllenangst eingejagt.«
»Was wollt ihr ’n alle nu machen?« fragte Edith in breitem Texanisch und vergaß ihren Sprachunterricht.
Jamie hielt den Blick auf das stille Wasser gerichtet, auf die Kräuselungen der Wellen, die über die pastellfarbene, grünblaue Fläche liefen und am Sandstrand kurz aufschäumten. Aus dieser Höhe konnte er das Rauschen der sanften Brandung kaum hören.
»Uns einen Job suchen, schätze ich.«
»An der Universität oder in der Industrie?«
»Was, zum Teufel, könnte ich in der Industrie schon tun, was ein zehn Jahre jüngerer Bursche nicht auch kann?« fauchte er und bereute es dann sofort. »An der Universität«, sagte er ruhiger. »Aber nicht hier. Ich will nicht so nah bei der Marsmission sein. Nicht jetzt.«
»Oben in Austin …?«
»Vielleicht. Oder noch besser in Kalifornien. Wahrscheinlich aber eher in Albuquerque.« Er drehte sich zu ihr um. »Ich weiß es nicht. Es ist noch zu früh.«
»Aber du gehst weg.«
»Ja. Ich glaube schon.«
Er merkte, daß sie den Schmerz zu verbergen versuchte, den sie empfand. Jamie zog sie an sich und hielt sie fest. Edith weinte nicht, aber er spürte die Anspannung, die ihren Körper zusammenschnürte. Er wünschte, sie würde weinen. Er wünschte, er selbst könnte es.
Um zwei Uhr morgens kam der Anruf.
Das Läuten des Telefons riß Jamie sofort aus dem Schlaf, aber etliche verschwommene Augenblicke lang wußte er nicht, wo er sich befand. Das Telefon klingelte erneut und mit Nachdruck. Er erkannte, daß Edith neben ihm lag. Sie bewegte sich und murmelte etwas in ihr Kissen.
Während Jamies Augen sich auf die Leuchtziffern der Digitaluhr auf der Kommode einstellten, langte er über ihren nackten Körper hinweg und hob den Hörer ab.
»Hallo.«
»James Waterman?«
»Wer will das wissen?«
»Na, hören Sie, Jamie, hier ist Antony Reed, in Star City. Haben Sie eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um Sie ausfindig zu machen?«
»Herrgott, hier ist es zwei Uhr morgens. Was wollen Sie, verdammt noch mal?«
»DiNardo ist im Krankenhaus. Eine Gallenblasenkolik. Er muß operiert werden.«
Jamie setzte sich im Bett kerzengerade auf.
»Was ist los?« fragte Edith. Sie war jetzt wach.
»Haben Sie mich verstanden?« fragte Reed. Zum ersten Mal hörte Jamie dem Engländer an, daß er aufgeregt war.
»Ja.«
»In den oberen Etagen ist die Hölle los. Brumado kommt aus den Staaten rübergeflogen, wie ich höre. Er will sich mit der Auswahlkommission und mit Doktor Li treffen.«
»Hoffmann ist also zur Nummer eins aufgerückt, und ich werde sein Ersatzmann?« fragte Jamie, überrascht von dem Zittern in seiner Stimme.
»Im Moment steht noch überhaupt nichts fest«, antwortete Reed. »Diese Fragen werden heute nachmittag oder am Sonntag erneut überprüft.«