»Das war’s, Kamerad«, sagte Connors.
Jamie stellte das Bein auf den Boden und stand auf. Der Anzug fühlte sich schwerfällig und steif an. Jamie stapfte an dem Gestell vorbei, an dem der Anzug gehangen hatte und das jetzt wie ein kläglicher toter Plastikbaum aussah, und nahm dabei seinen Helm von der Ablage. Er setzte ihn auf, hauptsächlich, um sein rotes Gesicht zu verbergen.
»Handschuhe«, sagte Connors. »Sie wollen doch wohl nicht ohne Ihre Handschuhe rausgehen, Mann.«
Völlig durcheinander riß Jamie seine Handschuhe von der Klammer am Gestell und stopfte sie in die Tasche an seinem rechten Oberschenkel. Er hatte den Fetisch, den sein Großvater ihm geschenkt hatte, sorgfältig in der Tasche am linken Oberschenkel verstaut. Das Ding war so klein, daß niemand es bemerkt hatte. Er folgte Connors und den anderen zur Luftschleuse und der nächsten Reihe von Gestellen, wo die Tornister warteten.
»Denken Sie dran, sich genau an die Vorschriften zu halten«, erklärte ihm Connors, während er Jamie half, den Tornister anzulegen.
»Okay.«
»Jetzt ist es noch nicht weiter schlimm, alles ist neu und wir sind mit den Gedanken noch voll bei dem, was wir tun. Aber später, in ein paar Tagen oder ein paar Wochen, wenn es so eine Routine geworden ist, daß wir nicht mal mehr drüber nachdenken — dann machen Sie vielleicht einen Fehler, der Sie umbringen kann. Oder jemand anderen.«
Jamie nickte. Er wußte, daß Connors recht hatte. Die Missionsvorschriften verlangten, daß immer ein Astronaut dabei war, wenn jemand die Kuppel verließ. Der Astronaut fungierte als Sicherheitsoffizier; es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß alle Sicherheitsvorschriften strikt befolgt wurden. Seine Autorität war absolut.
»Was haben Sie heute zu tun?« fragte Jamie, während er sich umdrehte, um Connors zu helfen. »Oder gehen Sie nur raus, um uns im Auge zu behalten?«
Connors warf Jamie über die Schulter hinweg einen Blick zu und sagte: »Klar hab ich was zu tun. Dekontaminierung und Reinigung. Ich muß dafür sorgen, daß jeder von uns den Staub entfernt, der sich auf unseren Anzügen gesammelt hat, bevor wir wieder reingehen.«
Bevor Jamie etwas sagen konnte, fügte Connors hinzu: »Ist doch wohl sonnenklar, daß sie den Schwarzen zum Hausmeister gemacht haben, oder?«
Jamie war einen Moment lang überrascht und verwirrt. Dann bleckte Connors grinsend die Zähne. »Meine Hauptaufgabe heute vormittag besteht darin, eine Fernsehshow für die Kids daheim auf der Erde aufzuzeichnen.«
Jamie war erleichtert. Connors hatte nie auch nur andeutungsweise schlechte Laune an den Tag gelegt; er schien immer guter Dinge zu sein, als würde er so etwas wie Ärger überhaupt nicht kennen.
»Ich werde der Doktor Science vom Mars. Ich zeige den Leuten, wie es hier aussieht, und führe ein paar simple Demonstrationen des niedrigen Luftdrucks und der geringen Schwerkraft durch. Fürs Bildungsfernsehen. Ich werde ein richtiger Weltstar!«
Lachend sagte Jamie: »Schön für Sie.«
Endlich waren sie alle fertig. Jamie vergaß nicht, seine Handschuhe anzuziehen und sie um die Metallmanschetten seines Anzugs zu schließen. Die Rückseiten der Handschuhe waren gerippt wie ein Außenskelett aus dünnen Plastik-›Knochen‹; die Handflächen und Fingerspitzen bestanden aus durchsichtigem Kunststoff, kaum dicker als Frischhaltefolie.
Wie die anderen nahm Jamie das Werkzeug, das er für die Arbeit dieses Vormittags brauchte, und befestigte es an dem Stoffgurt um seine Taille. Steinhammer. Klappspaten. Kernbohrer. Probenbeutel. In einer Hand hielt er die lange, ausziehbare Titanstange, die als Hebel oder verlängerter Arm dienen konnte.
»Ein echter Speerträger.«
Jamie drehte sich um und sah Joanna neben ihm stehen, ein hübscher Schmetterling in einem leuchtend orangefarbenen Kokon. Sie hatte sperrige, silberne Behälter in beiden Händen.
»Und du siehst wie eine Vertreterin für Enzyklopädien aus«, sagte er.
Sie blinzelte verwirrt.
»Okay, hört zu«, rief Connors. »Wir gehen durch die Luftschleuse wie bei Noahs Arche: immer zu zweit. Klappt eure Visiere runter.«
Joanna mußte ihre Behälter abstellen, bevor sie sich um ihr Helmvisier kümmern konnte.
»Checkt die Verschlüsse und die Luftzufuhr.« Connors’ melodische Stimme kam jetzt leise über Helmkopfhörer.
Der Astronaut überprüfte sämtliche Wissenschaftler noch einmal persönlich, bevor er sie durch die Luftschleuse schickte. Er und Monique Bonnet — makelloses Weiß und Trikolorenblau — gingen zusammen durch. Dann kamen Patel in seinem buttergelben Anzug und der irischgrüne Naguib. Ilona und Toshima waren als nächste an der Reihe; das Grün von Ilonas Anzug war ein oder zwei Schattierungen dunkler als das des Ägypters, während der in einem gedämpften Pfirsichton gehaltene Anzug des japanischen Meteorologen von Instrumente und Geräten starrte, die an allen erdenklichen Gürteln und Schlaufen hingen. Jamie dachte, daß Toshima kaum imstande sein würde, seinen gestiefelten Fuß über den Rand der Luftschleusenluke zu heben. Wenn er mal stolpert und hinfällt, dann müssen ihm zwei von uns wieder auf die Beine helfen.
Schließlich war Jamie zusammen mit Joanna an der Reihe. Die beiden Russen, Abell und Tony Reed blieben drinnen. Mironow und Reed war die Aufgabe zugewiesen worden, die Wissenschaftler draußen zu überwachen; in die Raumanzüge waren Instrumente eingebaut, die automatisch die Körpertemperatur, den Herzschlag und die Atemfrequenz sowie das Verhältnis von Sauerstoff und Kohlendioxid im Anzug durchgaben. Astronaut Abell saß an der Kommunikationskonsole und hielt den Kontakt mit der Expeditionsleitung im Orbit aufrecht, während Wosnesenski alles und jeden mit den Augen eines russischen Adlers beobachtete.
Mit dem heruntergeklappten Visier war Jamies Raumanzug eine Hülle, die ihn vor den Blicken der anderen schützte. Er war froh darüber. Noch vor ein paar Minuten war er verlegen und verwirrt gewesen, aber jetzt bekam er Schmetterlinge im Bauch, und seine Handflächen wurden feucht. Es war weniger Angst als vielmehr gespannte Erwartung. Er war im Begriff, auf die Oberfläche des Mars hinauszutreten und mit der Arbeit zu beginnen, von der er so viele Jahre geträumt hatte.
Laß mich in Schönheit gehen, dachte er unwillkürlich. Laß mich da draußen Harmonie und Schönheit finden.
Das Geräusch der Luftschleusenpumpen wurde immer leiser, bis Jamie nur noch ihre Vibration durch seine Stiefel spürte. Das verräterische Lämpchen an der winzigen Kontrolltafel sprang auf Rot und zeigte damit an, daß in der Kammer nun der gleiche Luftdruck wie draußen herrschte. Er drückte auf die Kontrolltaste, und die Außenluke öffnete sich ächzend einen Spaltbreit.
Jamie stieß sie ganz auf, ließ Joanna vorgehen und trat dann in die sandige, rote, von Felsbrocken übersäte Wüste hinaus, um mit seiner vormittäglichen Arbeit zu beginnen.
Wie fast alles andere bei der Mission auch war die Auswahl ihres Ladeplatzes ein politischer Kompromiß gewesen.
Die Biologen hatten in der Nähe der Polarkappen landen wollen, wo unter den Schichten aus Eis und gefrorenem Kohlendioxid möglicherweise versteckte Vorkommen flüssigen Wassers zu finden waren — und einige Lebensformen. Experimente, die von unbemannten Landesonden durchgeführt worden waren, angefangen mit den ursprünglichen beiden Viking-Sonden im Jahr 1976, hatten gezeigt, daß es im Marsboden ungewöhnliche chemische Aktivitäten gab. Konnte Leben in diesem Boden existieren, wenn flüssiges Wasser verfügbar war?
Die Geologen hatten sich nicht entscheiden können, wo sie landen wollten; da war eine vollständige neue Welt, der sie mit ihren Spitzhacken zu Leibe rücken konnten. Es gab große Vulkane zu untersuchen, einen Grabenbruch, der länger war als die Strecke von New York bis San Francisco, Regionen, in denen Meteoritenkrater die Landschaft übersäten, daß sie so zernarbt aussahen wie der Mond. Es gab Gebiete, die den Eindruck erweckten, als lägen Permafrostschichten unter dem Boden, Meere aus gefrorenem Grundwasser. Es gab Bergklippen und Hochebenen, die von Milliarden Jahren Verwitterung zeugten, und das riesige Hellas-Becken, ein fast fünf Kilometer tiefe Senke mit einem Durchmesser von eintausendsechshundert Kilometern.