Er füllte die beiden mitgebrachten Beutel mit Steinen verschiedener Größe, dann stellte er überrascht fest, daß er bereits seit über drei Stunden draußen war. Die Sonne stand beinahe senkrecht über ihm — eine sonderbar dünne und blasse Imitation der Sonne, die er kannte — und schien matt aus dem lachsfarbenen Himmel.
Als er sich umdrehte, konnte er die Kuppel nicht mehr sehen, wohl aber die stumpfen, zylindrischen Spitzen der beiden Lander. In der Ferne erblickte er eins der unbemannten Raumfahrzeuge, dessen leere Ladeluke gähnend offenstand.
Der Horizont ist hier viel näher, rief er sich in Erinnerung. Dreh dich um, orientiere dich richtig.
»Waterman, Sie sind außerhalb des Bereichs der Überwachungskameras.« Wosnesenskis Stimme klang eher ärgerlich als besorgt. »Können Sie mich hören?«
»Ja, laut und deutlich.«
»Sie sind fast an der Grenze der sicheren Rückkehrdistanz. Kommen Sie zur Kuppel zurück.«
Jamie war beinahe froh über den Rückkehrbefehl. In den Bergen oder dem wüstenähnlichen Buschland daheim allein zu sein, war eine Sache. Hier draußen, auf dieser fremdartigen Welt, wo es keine Luft zum Atmen und kein Wasser zum Trinken gab, hatte Jamie beinahe Angst gehabt.
Und dennoch — es war ein gutes Gefühl, allein zu sein, fern von den anderen. In den letzten paar Jahren war er selten allein gewesen; eigentlich so gut wie nie. Jamie wandte der Kuppel und den anderen den Rücken zu, richtete sich so hoch auf, wie es sein Anzug erlaubte, und schaute zum lockenden Horizont hinaus. Selbst in der harten Hülle seines Anzugs strebte er danach, ein Gespür für diese Marslandschaft zu bekommen, ein Gefühl von Harmonie mit dieser seltsamen neuen Welt zu entwickeln.
Dann sah er einen grünen Fleck.
DREHPLAN
Während der ersten Exkursion an Sol 3 wird Pilot/ Astronaut P. Connors vor der Kamera folgendes demonstrieren:
1. Farben der Marslandschaft. Kameraschwenk, um Farbe des Bodens und des Himmels zu zeigen.
2. Einen marsianischen Stein. Einen mittelgroßen Steinbrocken aufheben, ihn der Kamera zeigen. Erklären, daß die rote Farbe von der Oxidation von Mineralien auf Eisenbasis stammt.
3. Temperatur. Thermometer auf den Boden legen, Temperatur zeigen (etwa 14-18 Grad Celsius). Thermometer auf Augenhöhe heben, zeigen, wie das Quecksilber auf weit unter null Grad fällt. Erklären, daß dieses Phänomen auf der geringen Wärmespeicherungsfähigkeit der dünnen Marsatmosphäre beruht.
4. Niedrigen Luftdruck. Gefäß mit normalem Wasser öffnen und der Kamera zeigen, daß es wegen des extrem niedrigen Luftdrucks sofort kocht, selbst bei einer Temperatur von weit unter null Grad. Erklären, daß mit dem Blut dasselbe geschehen würde, wenn es nicht durch den harten Druckanzug geschützt wäre.
5. Geringe Schwerkraft. Steinhammer fallenlassen, um zu zeigen, daß er langsamer fällt als ein ähnlicher Gegenstand auf der Erde, aber schneller als auf dem Mond (zum Vergleich Einspielung des früheren Videobandes von Astronaut Connors, der den gleichen Steinhammer auf dem Mond fallenläßt).
6. Marsmond. Falls am Tageshimmel sichtbar, inneren Mond Phobos zeigen, wie er im Westen aufgeht und den Marshimmel in vier Stunden überquert. Es ist nicht erforderlich, die gesamte vierstündige Mondbahn zu filmen. Teleobjektiv benutzen, um zu zeigen, daß Phobos die Phasen wechselt — von ›Neumond‹ zu ›Viertelmond‹ und ›Vollmond‹. Band kann der Sendezeit entsprechend geschnitten werden.
SOL 3
MITTAG
Jamies erste instinktive Reaktion war, zu blinzeln und sich die Augen zu reiben, aber seine behandschuhten Hände stießen an die transparente Sichtscheibe seines Helms.
Er starrte den Stein an. Dieser war ungefähr sechzig Zentimeter lang, oben abgeflacht und rechteckig. Seine Seiten sahen glatt aus, nicht zernarbt wie bei den meisten anderen Steinen. Und auf einer Seite war ein deutlich erkennbarer grüner Fleck.
Er ging langsam drum herum, stieg über andere kleine Steine weg und umging die größeren, die überall verstreut lagen, konnte aber keine weiteren grünen Stellen entdecken. Wenn ich von der anderen Seite gekommen wäre, hätte ich die Farbe überhaupt nicht gesehen, erkannte er.
Ein einziger Stein. Mit einem kleinen grünen Fleck an einer der flachen Seiten. Ein Stein unter Tausenden. Ein Farbklecks in einer Welt rostiger Rottöne.
»Waterman, ich sehe Sie nicht«, rief Wosnesenski.
»Ich habe etwas entdeckt.«
»Kommen Sie zur Kuppel zurück.«
»Ich habe was Grünes gefunden«, sagte Jamie verärgert.
»Wie bitte?«
»Was Grünes.«
»Wo bist du?«
»Was meinst du damit? Was ist es?«
Jamie suchte das Gebiet um sich herum ab. »Könnt ihr den großen Felsblock mit der Spalte oben drin sehen?«
»Nein. Wo …«
»Ich sehe ihn!« Die Erregung in Joannas Stimme war nicht zu überhören. »Direkt westlich vom zweiten Lander. Seht ihr ihn?«
»Ah ja«, sagte Monique.
»Dort hinüber«, rief Joanna.
Binnen einer Minute erschienen sieben Gestalten in Raumanzügen am Horizont gleich rechts von dem gespaltenen Felsblock. Jamie winkte ihnen zu, und sie winkten zurück.
Dann drehte er sich zu dem Stein um, seinem Stein. Er sank in dem schwerfälligen Anzug langsam auf die Knie und ging mit dem Gesicht so nah heran, wie er es wagte. Er rechnete beinahe damit, Ameisen oder deren marsianische Gegenstücke geschäftig über den Boden trippeln zu sehen.
Statt dessen sah er jedoch nur den pulverartigen roten Sand und den rostfarbenen Stein, über dessen abgeflachte Seite sich ein grüner Streifen zog. Herrje, es sieht wie eine kleine Kupferader aus, die der Luft ausgesetzt war. Aber dann fiel Jamie ein, daß die Marsluft herzlich wenig Sauerstoff enthielt. Reichte der, um eine Kupferader grün zu färben? Wie lange mochte die Ader der Luft ausgesetzt gewesen sein? Zehntausend Jahre? Zehn Millionen Jahre?
Er setzte sich mit dem Rücken zu den näherkommenden Wissenschaftlern auf die Fersen.
»Wo ist es?« fragte Joanna atemlos.
»Sie sehen aus, als würden Sie beten«, sagte Naguibs hohe, näselnde Stimme. »Hat es Sie zum Glauben bekehrt?«
»Nun geratet nicht gleich aus dem Häuschen.« Jamie blickte zu ihnen auf, als sie um ihn und den Stein herum stehenblieben. »Ich glaube, es ist nur ein Streifen oxidiertes Kupfer.«
Patel ließ sich in seinem gelben Anzug unbeholfen auf alle viere herab und musterte den Stein eingehend. »Ja, ich glaube, so ist es.«
Joanna legte sich neben ihm auf den Bauch. »Es könnte die Oberflächenschicht einer Kolonie sein, die im Innern des Steines lebt. Wie die Mikroflora in der Antarktis benutzen sie die Steine vielleicht als Schutz und nehmen Feuchtigkeit aus dem Eis auf, das sich an den Oberflächen des Steines bildet.«
»Ich fürchte, es ist nicht mehr als eine Patina aus Kupferoxid«, sagte Patel mit seinem Hindu-Singsang und seiner britischen Aussprache.
»Wir müssen uns vergewissern«, sagte Monique so ruhig, als würde sie in einem Pariser Bistro einen Wein auswählen. Kühler Kopf, dachte Jamie. Heißes Herz?
»Wir werden ihn mit reinnehmen müssen …«
»Nicht anfassen!« blaffte Joanna.
»Wir können ihn hier draußen nicht eingehend genug untersuchen«, sagte Jamie. »Wir müssen ihn in die Kuppel bringen.«
»Das ist möglicherweise eine biologische Probe«, sagte Joanna mit unerwartet scharfer, besitzergreifender Heftigkeit.
Es ist Kupferoxid, dachte Jamie.
Joanna rappelte sich hoch. »Ich habe meine Bioprobenbehälter stehenlassen, als du gerufen hast. Darin können die hiesigen Umweltbedingungen aufrechterhalten werden. Wenn du den Stein in die Kuppel bringst und er abrupt in unsere Umwelt versetzt wird, würde das alle einheimischen Organismen töten, die sich womöglich in seinem Innern befinden.«