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Jamie errötete vor Wut und kam sich dann töricht vor. Sie hat recht. Der verdammte Stein wiegt hier nur ein paar Kilo. Und sie wird nicht zulassen, daß jemand außer ihr ihn anfaßt.

Toshima machte ein Foto nach dem anderen, und Connors rückte den Stein groß ins Bild, als Joanna die Hände ausstreckte und ihn an beiden Enden packte, ohne den grünen Fleck an der Seite zu berühren. Sie hob den Stein hoch und legte ihn so behutsam in den anderen silbernen Probenbehälter wie eine Mutter, die ihren neugeborenen Säugling in die Krippe bettet.

Jamie musterte den Boden unter dem Stein aufmerksam. Vom Gewicht des Steins geplättet und geglättet, aber ansonsten nicht anders als das übrige Erdreich. Was hast du denn gedacht, was darunter ist, fragte er sich. Eine zusammengerollte marsianische Klapperschlange?

»Wenn du jetzt bitte eine Kernprobe von dem Boden unter dem Stein nehmen würdest«, sagte Joanna ungerührt, während sie den Deckel ihres Probenbehälters schloß.

»Wie tief?«

»So tief, wie es geht«, sagte sie. »Wenn du so freundlich wärst.«

Jamie tat es. Während sie alle stumm zuschauten, trieb er die Stange so tief wie möglich hinein. Behutsam und vorsichtig holte er die Kernprobe herauf …

»Schaut!« rief Monique Bonnet.

»Was?«

»Was ist?«

»Ich dachte …« Sie rang beinahe nach Luft. »Als du die Stange herausgezogen hast, war mir, als hätte ich gesehen, wie das Sonnenlicht von … von etwas reflektiert worden ist.«

»Von etwas?«

»Wovon?«

»Waren es Wassertropfen?« fragte Ilona.

»Vielleicht«, sagte Monique. »Ich weiß es nicht. Es war im Nu wieder weg.«

Ilona ließ sich so schwer auf die Knie fallen, daß Jamie befürchtete, sie würde sich verletzen oder ihren Anzug zerbeulen. Sie zwängte ihre behandschuhte Hand in das Loch, das er gegraben hatte, und zog sie rasch heraus. Der Anzugärmel war mit rötlichem Staub und abbröckelnden Stücken rostfarbenen Erdreichs beschmiert.

»Schaut! Schaut!«

Ein halbes Dutzend winzige, glitzernde Tropfen waren an ihren Handschuhfingern, wie Tau auf den Blütenblättern einer Blume. Bevor einer von ihnen auch nur ein Wort sagen konnte, verschwanden die Tröpfchen; sie verdampften in der dünnen, kalten marsianischen Luft.

»Es ist Wasser!«

»Es muß Wasser sein!« sagte Monique. Ihre Stimme vibrierte vor Erregung. »Im Boden. Wasser!«

Naguib lachte wie ein Schuljunge. »Wir haben Wasser entdeckt! Das erste Wasser, das jemals auf einem extraterrestrischen Körper gefunden wurde! Es sind nur ein paar Tropfen, aber es ist Wasser! Und noch dazu flüssiges Wasser!«

Jamie stand da, auf die Stange gestützt, und seine ganze körperliche Erschöpfung vom Graben hatte sich verflüchtigt wie die Tröpfchen von Ilonas Handschuh. Die anderen machten geradezu Luftsprünge, wedelten mit den Armen und tanzten beinahe, so aufgeregt waren sie.

Alle außer Joanna, die mit ihren gefüllten und sorgfältig verschlossenen Probenbehältern links und rechts neben sich vor dem Loch, das Jamie für sie gegraben hatte, knien blieb wie eine Betende an einem seltsamen Altar.

Und außer Jamie, der — beide Hände an der Stange — hinter ihr stand wie ein Navajokrieger mit seiner auf den staubigen Boden gestellten Lanze und sich fragte, was seine Kollegen tun würden, falls sich herausstellte, daß es sich bei diesem grünen Fleck tatsächlich um echte, lebendige Marsorganismen handelte.

DOSSIER

JOANNA MARIA BRUMADO

Im Alter von sechzehn Jahren nahm sich Joanna ihren ersten Liebhaber und erfuhr kurz danach, daß ihre Mutter im Sterben lag.

Sie war ein Einzelkind und hatte ihr ganzes Leben in ihrem Elternhaus unter der sanften, liebevollen Hand einer Mutter verbracht, die niemals die Stimme erhob, in ihrem Haushalt aber die unumschränkte Herrscherin war. Als Joanna noch jünger gewesen war, hatte sie ihren Vater verehrt, der die Welt bereiste und ungemein respektiert und bewundert wurde. Als sie jedoch die Triebe zu verstehen begann, die ihren eigenen Körper durchströmten, fing sie an, ihren Vater mit neuen Augen zu sehen. Sie merkte, daß Frauen — selbst die Freundinnen ihrer Mutter und Studentinnen in ihrem eigenen Alter — Alberto Brumado mit mehr als nur Respekt und Bewunderung im Blick ansahen.

»Dein Vater ist gutaussehend und sehr romantisch«, erklärte ihre Mutter. »Warum sollten andere Frauen sich nicht nach ihm sehnen?« Und sie lächelte zum Beweis dafür, daß sie nicht an der Treue ihres Mannes zweifelte.

»Es liebt uns zu sehr, als daß er sich etwas aus einer anderen machen würde«, versicherte ihre Mutter. Dann fügte sie hinzu: »Seine ganze Leidenschaft gilt dem Planeten Mars und keiner Studentin, die jung genug wäre, seine Tochter zu sein.«

Joanna war in Sao Paulo geboren; ihr Vater hatte dort an der Universität unterrichtet. Aber sein Interesse am Mars machte es schließlich unumgänglich, daß die Familie in die Hauptstadt umzog, nach Brasilia, obwohl sie die heißesten Monate jedes Jahres wie die Politiker und deren Berater in Rio de Janeiro verbrachten.

Ganz gleich, wo sie lebten, Joanna kam in den Klosterschulen so gut voran, daß ihre Eltern beschlossen, sie auf eine renommierte Vorbereitungsschule für die Universität in den Vereinigten Staaten zu schicken. Ihr Vater freute sich darüber, daß sie eine wissenschaftliche Begabung an den Tag legte. Ihre Mutter freute sich, weil Joanna ihre einzige unabänderliche Regel befolgte: »Tu nichts, was du mir nicht hinterher erzählen kannst.«

Joanna hatte vorgehabt, ihrer Mutter von dem hochgewachsenen, blonden Dozenten zu berichten, mit dem sie ins Bett gegangen war. Sie war wahnsinnig verliebt in ihn und brannte darauf, ihrer Mutter alles darüber zu erzählen. Sie wartete eine Woche, dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie rief ihre Mutter an.

Und erfuhr, daß ihre Mutter genau an diesem Morgen einen schweren Herzanfall erlitten hatte und ins Krankenhaus gebracht worden war. Die Ärzte wollten Joanna anfangs nicht einmal erlauben, die Schwerkranke zu besuchen, weil sie einen Gefühlsausbruch fürchteten, der ihr Ende beschleunigen würde. Mit derselben eisernen Selbstbeherrschung, die — wie sie nun erkannte — die größte Stärke ihrer Mutter gewesen war, versicherte Joanna ihnen, daß sie ihre sterbende Mutter nicht aufregen werde. Sie schauten in ihr bis zum äußersten entschlossenes Gesicht und blickten dann zu ihrem Vater. Dieser nickte. »Lassen Sie sie zu ihrer Mutter«, sagte Alberto Brumado mit gebrochener, tränenerstickter Stimme. »Vielleicht ist es ihre letzte Chance, sie noch einmal zu sehen.«

Ihre Mutter sah sehr blaß und sehr müde aus. Schläuche liefen von ihren dünnen Armen zu seltsamen Maschinen hinter dem Bett, die tuckerten und piepsten. Ein weiterer Schlauch führte in ihr rechtes Nasenloch. Joanna dachte, daß sie ihrer Mutter das Leben aussaugten.

Sie weinte nicht. Sie stand an dem hohen Bett, strich ihrer Mutter übers Haar und merkte zum ersten Mal, wie dünn und grau es geworden war. Ihre Mutter schlug die Augen auf und lächelte zu ihr auf.

»Mama …«

»Meine süße Tochter«, flüsterte die Frau. »Wie schön du geworden bist.«

»Mama, ich liebe dich so!«

»Mach dir keine Sorgen um mich, mein Schatz.« Ihre Stimme war so schwach, daß Joanna sich bücken mußte, um die Worte zu hören.

»Ich will nicht, daß du stirbst.«

Joannas Mutter blinzelte mit trockenen Augen und wisperte: »Du mußt dich jetzt um deinen Vater kümmern. Ich kann ihn nicht mehr beschützen. Das mußt du nun für mich tun.«

»Ihn beschützen?«

»Seine Arbeit. Sie ist sehr wichtig. Für ihn und die ganze Welt. Laß nicht zu, daß er abgelenkt wird. Sorge dafür, daß nichts zwischen ihn und seine Arbeit kommt. Beschütze ihn. Hilf ihm.«

»Das werde ich tun, Mama. Das werde ich tun.«

»Du warst immer ein braves Mädchen, Joanna. Ich habe dich sehr lieb.«