Jetzt saß er vor einem Bildschirm in einem Büro in Washington. Durch die halb geschlossenen Jalousien konnte er die modernistische, gedrungene Fassade des Luft- und Raumfahrtmuseums sehen, durch dessen Eingangstüren Tausende von Menschen strömten.
»Fertig zur Übertragung zum Mars, Sir«, sagte die junge Frau, die ihm auf der anderen Seite des Büros gegenübersaß. Sie trug einen Kopfhörer auf ihren lockigen, dunklen Haaren, und auf dem Schreibtisch vor ihr häufte sich ein Wirrwarr grauer Elektronikkästen.
Auf dem Bildschirm sah Brumado einen Mann in einem weißen Overall mit einem lächelnden Froschgesicht. Das NASA-Abzeichen auf seiner Brust identifizierte ihn als den Astronauten Abell. Er wirkte entspannt und ganz locker; seine Lippen bewegten sich. Brumado erkannte, daß diese Übertragung schon über zehn Minuten alt war und daß die Techniker den Ton abgedreht hatten, um ihn nicht zu verwirren. Sie wollten, daß er jetzt zu sprechen begann, weil sie wußten, daß es fast zehn Minuten dauern würde, bis seine Worte und sein Bild den Mars erreichten. Dann sollte James Waterman dort sitzen, wo jetzt der Astronaut noch saß.
Brumado lächelte unbewußt, als er zu sprechen begann. »Doktor Waterman, das hier ist aus mehreren Gründen sehr unangenehm für mich. Erstens sehe ich Sie nicht auf dem Bildschirm, weil es so lange dauert, Botschaften hin und her zu schicken. Zweitens muß ich Sie um einen Gefallen bitten. Ich erinnere mich, daß wir uns während Ihres Trainings einmal begegnet sind, und ich bedaure, daß wir keine Gelegenheit hatten, mehr Zeit miteinander zu verbringen und uns besser kennenzulernen.« Brumado zögerte und sprach dann rasch weiter. »Ich nehme an, Sie wissen, daß Sie hier in den Vereinigten Staaten einen ganz schönen Aufruhr verursacht haben.«
Jamie betrachtete Brumados Gesicht mit dem ordentlich gestutzten Bart: freundlich, ein bißchen traurig, das graue Haar ein wenig zerzaust. Nur drei lausige Worte, dachte Jamie, während Brumado zu ihm sprach. Drei kleine Worte anders als geplant, und daheim ist der Teufel los.
»… Ich habe mich also mit den großen Networks zusammengesetzt und die Wogen für Sie so weit wie möglich geglättet. Die werden jedoch erst dann Ruhe geben, wenn sie die Chance bekommen, Sie zu interviewen. Die Networks haben sich einverstanden erklärt, die Fragen von einem einzigen Reporter stellen zu lassen, und ich habe mir die Fragen auf dem Band angesehen. Wir haben keine Einwände dagegen, daß Sie alle beantworten. Natürlich haben die Medien von der Agentur ihre kompletten biographischen Unterlagen bekommen, und es hat bereits etliche Interviews mit Ihren Eltern und anderen Leuten gegeben, die Sie aus der Schule oder privat kennen. Bis jetzt ist die Berichterstattung sehr wohlwollend gewesen, sehr positiv für Sie. Aber jetzt will man mit Ihnen sprechen.«
Brumado holte tief Luft und fuhr fort: »Ich weiß, dort, wo Sie jetzt sind, und angesichts der Arbeit, die vor Ihnen liegt, klingt es für Sie bestimmt beinahe lächerlich, aber Sie müssen verstehen, daß Sie hier einen sehr empfindlichen Nerv getroffen haben. Indianeraktivisten erklären Sie bereits zum Helden. Die Vizepräsidentin ist höchst erbost über die Raumfahrtagentur, weil diese zugelassen hat, daß Sie mit zum Mars geflogen sind. Sie hält Sie für einen Unruhestifter, obwohl sie ungleich stärkere Worte dafür benutzt hat. Ich habe sie darauf hingewiesen, daß ich selbst mich für Ihre Aufnahme ins Team eingesetzt habe, aber das hat sie nur noch zorniger gemacht, glaube ich. Also — was sollen wir tun?«
Jamie hätte beinahe zu einer Antwort angesetzt, aber dann merkte er, daß Brumado keine erwartete. »Wir übertragen Ihnen die Fragen der Medien, sobald ich mit meiner kleinen Rede fertig bin. Wir möchten, daß Sie die Fragen so ehrlich und offen beantworten, wie Sie können. Der Space Council hier in Washington wird sich das Band mit Ihren Antworten ansehen, bevor es an die Medien weitergegeben wird. Die Vizepräsidentin persönlich wird die Entscheidung treffen, ob Ihr Band veröffentlicht werden soll oder nicht. Ich schlage vor, Sie lassen zunächst einmal das ganze Band durchlaufen, hören sich jede Frage sorgfältig an, gehen dann zurück und beantworten sie einfach alle der Reihe nach.«
Brumado schien sich näher zum Bildschirm zu beugen. Sein Gesicht nahm einen eindringlicheren, besorgteren Ausdruck an. »Ich muß Sie warnen: Die Qualität Ihrer Antworten wird darüber entscheiden, ob Sie beim Bodenteam bleiben dürfen oder nicht. Ich habe ein ausführliches Gespräch mit Li Chengdu geführt, und er ist vehement dagegen, daß Sie aus politischen Gründen ausgewechselt werden. Aber wenn die Vizepräsidentin darauf besteht, bleibt uns keine andere Wahl, als Sie zum Orbiter heraufzuholen und den Australier, Doktor O’Hara, an Ihrer Stelle hinunterzuschicken.«
Brumado lehnte sich wieder zurück und sagte: »Tja, das war’s. Ich bedaure, daß dies geschieht, aber wir müssen versuchen, damit so rasch und so ehrlich wie möglich fertigzuwerden. Gleich im Anschluß kommen die Fragen des Interviewers. Auf Wiedersehen einstweilen. Und viel Glück.«
Der Bildschirm flackerte kurz, dann erschien das glatte, lächelnde Gesicht eines Moderators. Jamie erkannte das Gesicht, konnte sich aber nicht an den Namen erinnern. Von irgendwo in der Kuppel wehte ’eise Musik an sein Ohr: nichts Geringeres als ein Klavierkonzert von Rachmaninow. Düster und melancholisch. Muß eins der Bänder der Russen sein, dachte er. Komisch, daß Brumado gar nicht mit seiner Tochter sprechen wollte. Vielleicht hat er’s schon getan. Vielleicht hat Paul ihm auch erzählt, daß Joanna in ihrem Labor zu tun hat.
Der Moderator machte sich nicht die Mühe, sich vorzustellen; vielleicht hielt er sich für so berühmt, daß er darauf verzichten konnte.
»Doktor Waterman, ich werde Ihnen eine Liste von Fragen vorlesen, die wir gern von Ihnen beantwortet hätten. Soweit ich weiß, werden Ihre Antworten von der Regierung überprüft, bevor sie uns ausgehändigt werden. Bitte antworten Sie ruhig so ausführlich, wie Sie wollen. Machen Sie sich keine Gedanken wegen der Zeit. Wir können alle Wiederholungen, Huster oder Nieser aus dem fertigen Interview herausschneiden.«
Sein Lächeln wurde breiter, aber seine Augen wirkten hart und stechend, wie die eines Wolfs. Jamie erinnerte sich an Ediths Warnung, man könne ein aufgezeichnetes Interview so bearbeiten, daß der Interviewte entweder gut oder schlecht aussehe, aber er hatte kaum die Zeit, darüber nachzudenken, bevor der Moderator seine erste Frage stellte.
»Ihre Unterlagen aus Berkeley und von der University of New Mexico enthalten keinen Hinweis darauf, daß Sie an pro-indianischen Aktivitäten oder überhaupt an irgendwelchen politischen Aktivitäten beteiligt waren — abgesehen von Ihrem Einsatz um ausreichenden Wohnraum für Studenten —, obwohl Sie in Ihrem letzten Jahr in Albuquerque Vorsitzender des Studentenausschusses gewesen sind. Waren Sie insgeheim politisch aktiv? Wenn nicht, wann sind Sie aktiv geworden?«
Und so ging es weiter. Jamie befolgte Brumados Rat und sah sich das gesamte Band an, bevor er versuchte, die einzelnen Fragen zu beantworten. Das Ganze war ein einziger, großangelegter Versuch, Jamie zu einer Stellungnahme zur Indianerfrage und zu einer Kritik an der Art und Weise zu bewegen, wie die Regierung diese behandelte. Der Anglo besaß sogar die Frechheit, Wounded Knee und General Custer ins Spiel zu bringen.
Abell lachte bei mehreren Fragen laut auf. Als das Band zu Ende war, zeigte er Jamie, wie er es zurückspulen und dann am Ende jeder Frage anhalten konnte, um seine Antwort zu geben.