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Ganz vorn lag die Kommandosektion, in der ein russischer Kosmonaut und ein amerikanischer Astronaut das Raumschiff gemeinsam steuerten. Gleich dahinter kam eine Art Passagierabteil mit Sitzplätzen für die gesamte Besatzung, das auch als informeller Salon oder Konferenzraum dienen konnte.

Beschleunigungsliegen waren nicht erforderlich. Die Raketentriebwerke, die sie zum Mars befördern würden, produzierten nur einen sehr geringen Schub; die Passagiere würden weniger von der Beschleunigung merken als beim Start einer Düsenmaschine. Der Start von der Erdoberfläche und der Aufstieg in die Erdumlaufbahn erforderten einen gewaltigen Schub, mehrere Minuten lang drei Ge und mehr. Das war alles von Raumfähren und unbemannten Frachtraketen erledigt worden. Aus dem Orbit konnte man das restliche Sonnensystem dann jedoch auf die sanfte Tour erreichen.

Ein Teil des Habitatmoduls war anders. Ein Stück der Rückwand wurde von einem rechteckigen Fenster aus dickem Quarzglas eingenommen. Sobald sie zum Mars gelangten, würde dieses Beobachtungsfenster mit Kameras und anderen Sensoren bestückt sein. Jetzt jedoch war es ein prima Aussichtsfenster.

Zur festgesetzten Stunde ihres Abflugs fand Jamie sich an diesem Beobachtungsfenster ein. Er schwebte mühelos bei null Ge in der Luft herum; seine pantoffelbewehrten Füße baumelten ein paar Zentimeter über den in den Metallboden eingelassenen Fußfesseln. Er sah die Erde vorbeigleiten, eine riesige, massive Rundung aus tiefem, leuchtendem Blau, dann das mattere Dunkelgrün des Landes und die harten grauen Runzeln einer Bergkette, bestäubt mit weißem Schnee, als hätten sich Skelettfinger in sie verkrallt. Ein weiterer Ozean schob sich ins Blickfeld. Der ungeheure Wirbel der brodelnden Wolken eines tropischen Sturms formte ein gigantisches grauweißes Komma über dem Wasser.

»Das sind die Anden.«

Joanna war geräuschlos herangeschwebt und hing nun neben ihm in der Luft. Er hatte sie nicht bemerkt, so angespannt hatte er auf die Welt hinausgeschaut.

»Na, willst du dich von Mutter Erde verabschieden?« fragte Jamie. Die meisten Wissenschaftler duzten sich mittlerweile.

»Nicht verabschieden«, flüsterte sie. »Wir kommen ja zurück.«

»Dann adios sagen.«

Sie nickte geistesabwesend, während sie die Füße in die Schlaufen am Fußboden steckte. Ihr Blick war auf die Welt gerichtet, die sie gleich verlassen würden.

»Ich kann immer noch kaum glauben, daß ich hier bin«, sagte Jamie. »Es ist irgendwie wie ein Traum.«

Joanna schaute zu ihm auf. »Wir haben eine lange und schwierige Reise vor uns. Nicht gerade ein Traum.«

»Für mich schon.«

Sie lächelte. »Du bist ein Romantiker.«

»Du nicht?«

»Nein«, sagte Joanna. »Frauen müssen praktisch denken. Männer können Romantiker sein. Frauen müssen immer die Konsequenzen im Auge behalten.«

»Start in drei Minuten«, kam eine Stimme mit russischem Akzent aus dem Lautsprecher in der Decke über ihnen. »Bitte nehmen Sie Ihre Plätze im vorderen Salon ein.«

Jamie faßte Joanna an den Schultern und gab ihr einen raschen, leichten Kuß auf die Lippen.

»Auf unser Glück«, sagte er.

Joanna befreite sich und schwebte von ihm weg. Ihr Gesicht war erstarrt; sie lächelte nicht, und ihre Augen waren groß und voller Furcht. Wortlos drehte sie sich um und hielt sich am Rand der Luke fest, dann stieß sie sich ab und schwebte durch den Gang zum vorderen Salon.

Jamie wartete einen Moment und kam ihr dann etwas langsamer nach. Er sah, daß Tony Reed im Eingang zu seiner Kabine hing, ein ironisches Lächeln auf dem hageren Gesicht.

»Ich glaube nicht, daß der direkte Weg bei der kleinen Joanna funktioniert«, sagte Reed.

Jamie schwieg. Er stieß sich an Reed vorbei und schwebte nach vorn.

Der Engländer folgte ihm. »Vielleicht habe ich Ihnen zuviel von unserem kleinen Komplott erzählt, mit dem wir Hoffmann loswerden wollten. Denken Sie daran, mein stürmischer Freund, es kann sein, daß Joanna Sie bei der Expedition dabeihaben wollte, aber sie wollte ganz sicher nicht, daß Hoffmann mitkommt.«

Jamie schaute sich um und sagte: »Weißer Mann spricht mit gespaltener Zunge.«

Reed lachte auf dem ganzen Weg bis zum vorderen Salon.

In diesem Abteil gab es keine Fenster. Falls nötig, konnten die Piloten oben im Cockpit den gesamten vorderen Teil des Raumschiffes abtrennen, auf eine Wiedereintrittsbahn bringen und damit im Meer landen. Das galt jedoch nur für einen Notfall; der Missionsplan sah vor, daß die Raumschiffe in die Erdumlaufbahn zurückkehrten und die Besatzung dort für den letzten Flug zur Erdoberfläche in Shuttles umstieg. Aber eine Wasserlandung war möglich, falls sie erforderlich werden sollte.

Jamie hatte den von den Missionsplanern verlangten Schwimmkurs nur mit Ach und Krach hinter sich gebracht. Er hätte gern gewußt, wie die sieben anderen Wissenschaftler, die sich jetzt auf ihren gepolsterten Sesseln anschnallten, bei einem solchen Notfall reagieren würden. Oder die vier Astronauten und Kosmonauten im Cockpit. Es wäre Ironie, bis zum Mars und zurück zu fliegen und dann bei der Landung zu ertrinken.

»Start in dreißig Sekunden«, kam Wosnesenskis Stimme aus dem Cockpit. »Ich lege eine Aufnahme der Außenkamera auf den Bildschirm.«

Ins vordere Schott des Abteils war ein kleiner Bildschirm eingebaut. Er flackerte kurz, dann zeigte er ein großes, gerundetes Stück der blau-weißen Erde, das sich an der Kamera vorbeidrehte. Jamie nahm den letzten verbliebenen Sitz und zurrte den Sicherheitsgurt über seinem Schoß fest, damit er nicht aus dem Sessel emporstieg. Reed hatte den Sessel neben Joanna genommen.

»Fünf Sekunden … vier, drei, zwei, eins — Zündung.«

Die Stimme des Russen war ausdruckslos und ruhig. Jamie spürte, wie ihn ein wachsender Druck gegen die Lehne des Sessels preßte. Nichts Aufregendes; er hatte Sportwagen mit stärkerer Beschleunigung gefahren. Das Bild der Erde auf dem Monitor veränderte sich nicht merklich.

Aber Wosnesenskis Stimme sagte: »Wir sind unterwegs, genau nach Plan. Die Schubaggregate von Mars 2 haben ebenfalls pünktlich gezündet.«

Eine eindeutig amerikanische Stimme fiel ihm ins Wort: »Wir sind auf dem Weg zum Mars!«

Keiner der Wissenschaftler brach in Jubel aus. Jamie hätte es gern getan, aber es war ihm zu peinlich. Ein Bild von Edith tauchte vor seinem geistigen Auge auf, das merkwürdig traurige Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht, als sie sich zum letzten Mal voneinander verabschiedet hatten. Nein, nicht zum letzten Mal, sagte sich Jamie. Ich komme zurück. Ich werde sie besuchen, wenn ich zurückkomme.

Er merkte nicht, daß Tony Reed ihn anstarrte und dabei dachte: Ich habe dafür gesorgt, daß wir diesen Musterknaben Hoffmann losgeworden sind, und weder unser Navajo-Geologe noch die hübsche Joanna haben sich dafür auch nur bei mir bedankt. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht. Sie interessiert sich für diesen Indianer. Solange er bei uns ist, wird Joanna mich nicht einmal eines Blickes würdigen.

SOL 3

NACHT

An diesem Tag nahmen sie das Abendessen nicht gemeinsam ein. Joanna und die anderen beiden Frauen hockten am Biologietisch und untersuchten den grüngestreiften Stein, ohne sich um das Essen zu kümmern. Tony Reed und ein paar weitere Männer schauten bei ihnen vorbei, aber die Frauen scheuchten sie weg.

Jamie stocherte in seiner Mahlzeit herum und machte sich mehr Gedanken über die idiotischen Nachrichtenmedien daheim als über den Marsstein. Es ist Kupfer, sagte er sich. Es muß Kupfer sein.