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In sich hineinlächelnd, erwiderte Jamie: »Im Vergleich hierzu ist es der Garten Eden.«

Der Russe verstummte.

Jamie richtete sich auf und nahm die Videokamera von seinem Gürtel. Die Rinne ging bis zum Horizont, fast so gerade wie ein Eisenbahngleis, nur hier und dort gab es ein paar Rutschungen, wo die Wände abgebröckelt waren und das Geröll sie teilweise gefüllt hatte. Eine Verwerfungslinie, erkannte Jamie. Das Gebiet ist kreuz und quer von ihnen durchzogen. Aber diese Rinne hier ist von fließendem Wasser ausgewaschen worden. Ganz bestimmt. Oder es war eine Bodenverlagerung; der Permafrost unter der Oberfläche ist geschmolzen und hat alles unterminiert. Aber wann? Hier gibt es höchstwahrscheinlich seit mehreren hundert Millionen Jahren kein fließendes Wasser mehr. Konnte eine Furche so lange unverändert bleiben?

Er hängte den Camcorder wieder an die Klemme an seinem Gürtel und schlug ein paar Stücke von dem freiliegenden Gestein ab. Dann steckte er die Proben in einen Beutel und nahm den Bohrer zur Hand. Wie üblich grub sich der Bohrer rund einen Meter tief mühelos in den Boden und traf dann auf Widerstand. Permafrost, dachte Jamie. Dieses ganze Gebiet liegt auf einem gefrorenen Meer, das nicht viel tiefer als einen Meter unter der Oberfläche ist. Nachdem er die Kernprobe aus der Bohrspitze geholt und sorgfältig in einem Probenbehälter deponiert hatte, machte er sich auf den Rückweg zum Rover.

Wosnesenski stand in seinem feuerwehrroten Anzug da und beobachtete ihn.

»Okay«, sagte Jamie. »Ich bin hier fertig. Jetzt muß ich nur noch …«

Er stellte fest, daß der Russe schon eine seiner Sensorbaken aus dem Ausrüstungsraum im mittleren Segment des Rovers geholt hatte. Jamie nahm sie von ihm entgegen.

»Danke, Mikhail.«

Er spürte, wie der Mann die Achseln zuckte. »Ich hatte nichts Besseres zu tun.«

»Danke«, wiederholte Jamie.

Kurz darauf waren sie wieder im Cockpit des Rovers. Wosnesenski saß auf dem linken Sitz. Sie hatten beide die Helme abgenommen und die Handschuhe ausgezogen. Ihre Anzüge wölbten sich wie zwei bunt bemalte, gepanzerte Polarbären in den Schalensitzen des Cockpits.

Wosnesenski steuerte zwischen einem Felsblock von der Größe eines kleinen Hauses und einer flachen, kreisrunden Senke hindurch, die für Jamie wie ein verwitterter, fossiler Meteoritenkrater aussah. Der Russe hatte kleine, beinahe zarte Hände, bemerkte Jamie. Er bewegte das winzige Lenkrad nur mit dem Druck einer Fingerspitze.

»Morgen müßten wir die Canyons erreichen«, sagte er, »sofern wir nicht noch öfter anhalten müssen.«

Jamie verstand den Hinweis. »Wir halten nur an, um das Bakennetz zu vervollständigen. Wenn es natürlich eine wichtige Veränderung in der Geländebeschaffenheit gibt …«

Wosnesenski lächelte, ohne den Blick von dem Gebiet vor sich abzuwenden. »Natürlich.«

Jamie versuchte sich zurückzulehnen und es sich bequem zu machen, aber die harte Hülle des Druckanzugs war nicht dazu gedacht, darin zu sitzen. In der verdammten Achselhöhle scheuerte er immer noch, obwohl er ihn innen ausgepolstert hatte. Er sah zu, wie sich die Landschaft vor ihnen entfaltete, während sie langsam auf den sonderbar nahen Horizont zufuhren. Es störte ihn, daß der Horizont so nah wirkte. Auf jener unterschwelligen Ebene, wo Alpträume Wurzeln fassen, machte es ihm beinahe angst. Jamie hatte das Gefühl, als würden sie auf den Rand eines Abgrunds zufahren.

»Sieht so aus, als ob der Horizont schrecklich nah wäre, nicht?« sagte er zu Wosnesenski.

Der Russe bewegte den Kopf einmal auf und ab. »Je kleiner der Planet, desto näher der Horizont. Auf dem Mond ist er noch näher.«

»Ich war nie auf dem Mond.«

»Noch viel näher als hier. Und noch unfruchtbarer.«

DiNardo war auf dem Mond gewesen, wie Jamie wußte. Ich bin so abrupt ins Team geholt worden, daß ich bis zu unserem Aufbruch zum Mars nie weiter von der Erde weggekommen bin als eben bis zu den Raumstationen.

Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit von dem allzu nahen Horizont abzuwenden, und konzentrierte sich auf das Gelände, durch das sie fuhren. Außer einem Geologen hätte jeder die Szenerie langweilig, monoton und öde gefunden. Aber Jamies Verstand sprang von Fels zu Verwerfungsriß, von Krater zu Sanddüne und versuchte herauszufinden, welche Kräfte diese Landschaft geformt, ihr die gegenwärtige Gestalt gegeben hatten.

»Ich bin über New Mexico weggeflogen«, sagte Wosnesenski fast wie zu sich selbst. »In der Mir 3, während des Trainings für diese Mission.«

»Dann haben Sie ja gesehen, wie sehr es dem Mars ähnelt.«

»Das ist mir damals nicht aufgefallen. Ich habe nicht genau genug hingesehen.«

Jamie musterte das Gesicht des Russen. Er war völlig ernst, wie immer. Düster. Grimmig.

»Wollten Sie immer schon Kosmonaut werden?« fragte Jamie plötzlich. »Schon als kleines Kind?«

Wosnesenskis Kopf fuhr kurz zu Jamie herum, dann schaute er gleich wieder nach vorn. Jamie erhaschte einen flüchtigen Eindruck von seiner Miene; sie war beinahe zornig.

Ich hätte nicht fragen sollen, dachte Jamie. Es gefällt ihm nicht, daß ich meine Nase in seine persönliche Vorgeschichte stecke.

Aber der Russe murmelte: »Schon als ich noch ganz klein war — als ich noch nicht einmal zur Schule gegangen bin —, wollte ich Kosmonaut werden. Das war mein ein und alles. Gagarin war mein Held; ich wollte wie er sein.«

»Der erste Mensch im Weltraum.«

Wosnesenski nickte wieder, ein weiteres kurzes Senken und Heben des Kopfes. »Gagarin war der erste, der im Weltraum die Erde umrundet hat. Armstrong war der erste Mensch auf dem Mond. Ich sagte mir, ich würde der erste Mensch auf dem Mars sein.«

»Und das waren Sie auch.«

»Ja.«

»Sie müssen sehr stolz darauf sein.«

Der Kosmonaut warf Jamie wieder einen raschen Blick zu. »Stolz, ja. Vielleicht sogar glücklich. Aber der Moment ist vorüber. Jetzt spüre ich die Verantwortung. Ich habe das Kommando. Ich bin für euer aller Leben verantwortlich.«

»Ich verstehe.«

»Wirklich? Sie sind Wissenschaftler. Sie sind froh, daß Sie hier sind, daß Sie forschen können. Sie haben eine neue Welt, mit der Sie spielen können. Ich bin der Mann, der die Befehle gibt. Ich bin derjenige, der nein sagen muß, wenn Sie zu weit gehen wollen, wenn Sie sich selbst oder die anderen in Gefahr bringen könnten.«

»Das ist uns allen klar«, sagte Jamie. »Wir akzeptieren es auch.«

»Ja? Akzeptiert Doktor Malater es auch? Sie haßt mich. Sie setzt alles daran, mich zu ärgern, wenn Sie auch nur die geringste Chance dazu hat.«

»Ilona ist nicht …« Jamie verstummte. Er merkte, daß er sie nicht verteidigen konnte.

»Sie ist ein jüdisches Miststück, das alle Russen haßt. Ich weiß das. Sie hat es mir sehr klar gemacht.«

»Ihre Großeltern sind aus Ungarn geflohen.«

»Ja und? War das meine Schuld? Kann man mir Dinge vorwerfen, die zur Zeit unserer Großeltern passiert sind? Sie setzt den Erfolg dieser Mission auf Spiel, weil sie einen Groll wegen Dingen hegt, die zwei Generationen zurückliegen?«

Jamie lachte leise. »Mikhail, ich kenne Leute, die sich einen Groll wegen Dingen bewahrt haben, die zwei Jahrhunderte zurückliegen, nicht bloß zwei Generationen.«

Der Russe sagte nichts.

»Es gibt Indianer, die immer noch Kämpfe aus Kolonialzeiten ausfechten.«

»Die Yankee-Imperialisten haben euch euer Land weggenommen«, sagte Wosnesenski. »Sie haben einen Genozid an eurem Volk begangen. Das haben wir in der Schule gelernt.«

»Das ist lange her, Mikhail«, sagte Jamie. »Soll ich nun mein Leben lang alle Weißen hassen? Soll ich meine Mutter hassen, weil sie von Leuten abstammt, die meine Vorfahren getötet haben? Soll Pete Connors Paul Abell hassen, weil Petes Vorfahren Sklaven und die von Paul Sklavenbesitzer gewesen sind?«