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Jamie erkannte den Orion und den Stier mit dem Haufen der Plejaden im Hals. Als er sich umdrehte, sah er den großen und den kleinen Wagen. Der Polarstern steht nicht über dem Nordpol des Mars, entsann er sich.

»Schauen Sie dort.« Wosnesenski mußte hingezeigt haben, aber im Sternenlicht konnte Jamie seine Gestalt nicht erkennen.

Der Russe faßte ihn an der Schulter und drehte ihn leicht. »Direkt über dem Horizont. Der helle, blaue.«

Jamie sah ihn. Ein unglaublich schöner blauer Stern schimmerte tief unten am Horizont.

»Ist das denn die Erde?« fragte er in ehrfüchtigem Flüsterton.

»Die Erde«, bestätigte Wosnesenski. »Und der Mond.«

Jamie konnte den schwächeren, weißlichen Stern, der den blauen beinahe berührte, nicht ausmachen. Wosnesenski behauptete steif und fest, er sähe ihn, aber Jamie dachte, daß es vielleicht eher an der Einbildungskraft als an der überlegenen Sehkraft des Russen lag.

»Wir müssen zurück in den Rover«, sagte Wosnesenski schließlich. »Es hat keinen Sinn, daß wir uns zu Tode frieren, während wir den Himmel bewundern.«

Er schaltete seine Helmlampe ein, woraufhin es mit ihrer an die Dunkelheit angepaßten Sicht sofort vorbei war, betätigte dann ein paar Steuerelemente an seinem Handgelenk und ließ per Fernbedienung die Lichter im Rover aufflammen. Widerstrebend folgte Jamie Wosnesenski zum Fahrzeug zurück.

In der kleinen Luftschleuse des Rovers brauchten sie erstaunlich lange, um ihre Anzüge auszuziehen. Die Aufregung über die Entdeckung des Polarlichts legte sich allmählich. Als sie nur noch ihre von Schläuchen durchzogenen Unteranzüge trugen und sich auf eingeklappten Liegen gegenübersaßen, in der Mikrowelle aufgewärmte Mahlzeiten auf dem schmalen Tisch zwischen ihnen, war Jamies Pulsschlag fast schon wieder normal.

Wosnesenski hob sein Wasserglas. »Ein sehr guter Tag«, sagte er. »Wir haben viel erreicht.«

Jamie hob sein Plastikglas und stieß mit dem Russen an. »Sie können Doktor Li einen guten Bericht erstatten.«

»Ja, wenn wir gegessen haben.«

»Ich speise die Datenbänder in den Computer ein.«

»Gut. Dann rufen wir die Basis an und informieren uns, was sie dort gemacht haben.«

Jamie beugte sich über den schmalen Tisch. »Mikhail, ich habe einen Vorschlag für morgen.«

Der Russe beugte sich ebenfalls ein wenig vor, bis ihre Nasen sich beinahe berührten.

»Nur etwa einen Tag weiter östlich von hier, wenn wir durchfahren, liegt Tithonium Chasma, ein Teil des Valles-Marineris-Komplexes — viel tiefer und breiter als …«

Wosnesenski schüttelte bereits den Kopf. »Das steht nicht auf dem Exkursionsplan. Es ist zu weit für uns.«

»Von hier aus sind es keine sechshundert Kilometer«, wandte Jamie ein. »Wir könnten es in zwanzig Stunden schaffen, wenn wir zwischendurch nicht haltmachen.«

»Bei Nacht fahren? Sind Sie wahnsinnig?« Die himmelblauen Augen des Kosmonauten zeigten keine Furcht, sondern nur die unerschütterliche Festigkeit eines Mannes, der schon entschieden hatte, wie viele Risiken er einzugehen bereit war.

»Ich würde Ihnen gern die geologische Notwendigkeit erklären«, sagte Jamie.

Merkwürdigerweise erschien ein schiefes Grinsen auf dem Gesicht des Russen. »Gut. Sie erklären die Geologie. Ich räume den Tisch ab.«

Als Wosnesneski aufstand und ihre Essensschalen zu dem Ständer brachte, in dem sie bleiben würden, bis der Rover zur Hauptbasis zurückkehrte, klappte Jamie den Tisch zusammen und schob ihn wieder an seinen Platz unter der Liege.

»Die Wände der Canyons hier sind nicht differenziert«, begann Jamie. »Sie bestehen nur aus einer einzigen dicken Platte eisenhaltigen Gesteins, die abgeschliffen und freigelegt worden ist. Das ist unerhört, Mikhail. Auf der Erde gibt es überhaupt nichts dergleichen.«

»Sie haben also eine große Entdeckung gemacht. Gut.«

»Wir müssen herausfinden, ob es in den größeren Canyons genauso ist! Oder gilt das sogar für das gesamte Grabensystem? Dreitausend Kilometer pures Mantelgestein? Das ist unmöglich! Es kann einfach nicht sein.«

Wosnesenski glitt bereits auf den Fahrersitz und überprüfte, ob ihre Antenne noch auf die Raumschiffe im synchronen Orbit ausgerichtet war.

»Was zeigen die Satellitenfotos?« fragte er.

Das schräge, transparente Dach des Cockpits war so niedrig, daß Jamie sich bücken mußte, als er hinter dem Fahrersitz stehenblieb. Er spürte, wie die Kälte der Marsnacht durch das Plastglas hereindrang, obwohl Wosnesenski den Thermovorhang für die Nacht zugezogen hatte.

»Die sind nicht detailliert genug, Mikhail«, antwortete er. »Wir müssen selbst hinfahren und uns die Gesteinsformationen aus der Nähe ansehen. Und Proben zur Analyse mitnehmen.«

»Das wäre ein Umweg von mindestens zwei Tagen. Einen vollen Tag oder mehr, um dorthin zu gelangen, und noch einmal so lange, um dorthin zurückzukehren, wo wir sein sollten. Wir haben nicht genug Lebensmittel an Bord, und es wäre eine unnötige Belastung des Luftaufbereitungssystems. Und es würde den Missionsplan zunichte machen.«

»Kommen Sie schon, Mikhail! Wir können die Nahrungsmittel strecken. Die Treibstoffzellen erzeugen sauberes Wasser, und die Luftaufbereiter halten noch Monate. Das wissen Sie. Und zwischen dieser und der nächsten Exkursion liegt eine volle Woche.«

»Zwanzig Stunden Fahrt, selbst ohne Zwischenaufenthalte.«

»Ich löse Sie beim Fahren ab«, sagte Jamie grinsend. »Ich bin mit Pickups durch schlimmeres Gelände als dieses gefahren.«

Der Russe drehte sich auf seinem Sitz und fixierte Jamie mit seinen klaren blauen Augen. »Wir sind hier nicht in New Mexico.«

»Das stimmt«, erwiderte Jamie. »Wir sind auf dem Mars. Und zwar, um diese neue Welt zu erforschen. Wir haben hier wichtige wissenschaftliche Arbeiten zu erledigen, Mikhail …«

»Ihr Wissenschaftler wollt immer die Regeln brechen.«

»Verdammt, ja!« fauchte Jamie. »Wir sind wegen der Wissenschaft hier. Um zu forschen. Zu lernen. Die Wahrheit zu suchen, wohin uns das auch führen mag.«

»Schöne Worte«, grummelte Wosnesenski.

»Menschen sind für diese Ideen gestorben!«

»Ja. Genau darum geht es mir.«

»Wir haben hundert Millionen Kilometer zurückgelegt!« schrie Jamie beinahe. »Was, zum Teufel, sind da ein oder zwei weitere Exkursionstage?«

»Sie sind nicht genehmigt. Sie stehen nicht im Exkursionsplan. Die Flugkontrolle auf der Erde wäre dagegen.«

»Zum Teufel mit ihr! Wir sind hier, Mikhail. Der Grund dafür ist, daß wir lernen sollen. Das geht aber nicht, wenn wir uns stur an Pläne halten, die vor einem Jahr ausgearbeitet worden sind. Sie hätten ebensogut unbemannte Maschinen schicken können, wenn sie uns zwingen wollen, uns wie gottverdammte Roboter zu benehmen.«

Wosnesenski holte tief Luft und atmete dann langsam aus, wie ein Mann, der sich zu beherrschen versuchte. »Wir sind keine Roboter, aber wir sind höheren Stellen verantwortlich. Der Zweck dieser Expedition ist es, mit der Erforschung des Mars zu beginnen. Wenn wir das Mißfallen der Verantwortlichen erregen, wird es keine weiteren Missionen geben, und dann ist Schluß mit der Forschung.«

Jamie hockte sich auf die Fersen und legte einen Arm auf die Lehne von Wosnesenskis Sitz, um sich abzustützen. Er zwang sich, einen sachlicheren Ton anzuschlagen. »Mikhail, von mir aus könnten alle Politiker auf der Erde mit einem großen Satz in den Grand Canyon springen. Wie kommen Sie auf die Idee, daß sie weitere Missionen zum Mars genehmigen werden, ganz gleich, wie gehorsam wir sind? Wir sind hier, und zwar jetzt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um so viel über diese Welt herauszufinden, wie wir können. Je mehr Wissen wir jetzt erwerben, desto schwerer wird es für sie, uns Folgemissionen zu verwehren, wenn wir zurückgekehrt sind.«