»Ich möchte alle Zweifel zerstreuen, die wegen dieser schrecklichen Tragödie in der Öffentlichkeit vorhanden sein könnten«, erwiderte Brumado, als der Moderator Platz nahm. Sein Mikrofon war bereits an Ort und Stelle; auf seiner dunkelblauen Krawatte war es kaum zu sehen. Überdies trug er einen winzigen, fleischfarbenen Ohrstecker, der wie ein Hörgerät aussah.
»Gut, gut«, sagte der Moderator geistesabwesend. Sein Blick richtete sich auf den Text, der über den kleinen Monitor in dem Couchtisch vor ihnen lief. Man hatte den Monitor so eingebaut, daß er für die Kameras unsichtbar war.
Die drei Inquisitoren kamen zusammen herein, lächelnd und miteinander plaudernd. Zwei Männer und eine Frau, deren ebenholzschwarzes Haar wie ein Stahlhelm glänzte. Allgemeines Händeschütteln. Brumado dachte an einen Preiskampf. Jetzt geht in eure Ecken, und wenn ihr herauskommt, will ich euch boxen sehen.
Der Studioregisseur kam eilig aus dem Dunkel zwischen den Kameras und verschwand wieder darin. Auf der großen Uhr unter dem Monitorbildschirm tickten die letzten Sekunden dahin; der Sekundenzeiger blieb deutlich sichtbar auf jeder Markierung des Zifferblatts stehen.
Der Studioregisseur zeigte auf den Moderator.
»Guten Morgen, und willkommen bei Menschen im Scheinwerferlicht. Wir freuen uns, heute Doktor Alberto Brumado bei uns begrüßen zu dürfen …«
Brumado fühlte, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte, als der Moderator die drei ›renommierten Journalisten‹ vorstellte, die ihn befragen würden.
»Zu Beginn«, sagte der Moderator und wandte sich an Alberto Brumado, »würde ich gern folgende grundsätzliche Frage stellen: Welche Bedeutung hat Doktor Konoyes Tod für das Marsprojekt?«
Brumado setzte sein väterliches Lächeln auf, wie er es bei Interviews immer tat. »Er wird die Forschungsarbeiten auf dem Mars nur geringfügig beeinträchtigen. Die Mission wurde von Anfang an in dem Wissen geplant, daß die Erforschung eines fernen Planeten gefährlich sein kann. Deshalb gibt es einen Ersatzmann für jeden Wissenschaftler und Astronauten. Das Team wird die Erkundung des Mars natürlich fortsetzen können, und selbst die Arbeiten auf Deimos und Phobos, die Doktor Konoye durchführen sollte …«
»Wollen Sie damit sagen, daß Ihnen der Tod eines Menschen egal ist?« warf der Zeitungsmann ein und verzog sein Gesicht zu einer finsteren Fratze.
»Natürlich ist er mir nicht egal«, erwiderte Brumado. »Er macht uns allen schwer zu schaffen, insbesondere Doktor Konoyes Frau und seinen Kindern. Aber er wird die Forschungsarbeiten auf dem Mars und seinen Monden nicht stoppen.«
»Was ist schiefgegangen, Doktor Brumado?« fragte die Fernsehreporterin. Sie trug einen eleganten, schicken roten Rock und eine streng wirkende weiße Bluse.
»Nichts ist schiefgegangen. Doktor Konoye hat einen Schlaganfall erlitten. Es hätte wohl auch in seinem Büro in Osaka passieren können. Oder zu Hause.«
»Aber es ist auf dem Mars passiert.«
»Es ist bei einem Weltraumspaziergang passiert«, bemerkte der Mann vom Nachrichtenmagazin. »Hat das zu der Gehirnblutung beigetragen? Spielte die Schwerelosigkeit eine Rolle?«
Brumado schüttelte den Kopf. »Die Schwerelosigkeit dürfte eigentlich nichts damit zu tun haben. Wenn überhaupt, ist stark reduzierte Schwerkraft gut für das kardiovaskuläre System.«
»Wie ist es möglich, daß er für diese gefährliche Arbeit ausgesucht wurde, wenn er ein kardiovaskuläres Problem hatte?«
»Er hatte kein kardiovaskuläres Problem.«
»Der Mann ist an einem Schlaganfall gestorben!«
»Aber es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß bei ihm ein medizinisches Problem vorlag. Er ist gründlich untersucht und getestet worden, genau wie die anderen Besatzungsmitglieder auch. Er hat ein mehrjähriges Training mit regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen absolviert und nie auch nur das geringste Problem gehabt. Er war erst zweiundvierzig Jahre alt. Auch in den ärztlichen Unterlagen seiner Familie deutet nirgends etwas auf eine genetische Neigung zu kardiovaskulärer Erkrankung hin.«
»Wie erklären Sie sich dann den Schlaganfall?«
»Niemand hat eine Erklärung dafür. Es ist passiert. Es ist schrecklich. Sehr traurig.«
»Aber Sie werden die Mission nicht abbrechen oder ihren Ablauf in irgendeiner Weise ändern?«
Brumado lächelte erneut, diesmal, um seinen wachsenden Ärger zu verbergen. »Zunächst einmal habe ich keine offizielle Funktion im Marsprojekt. Ich bin nur ein Berater.«
»Also wirklich! Die ganze Welt weiß, daß Sie die Seele des Marsprojekts sind.«
»Ich bin nicht in den täglichen Ablauf des Projekts involviert. Und ich habe auch keine offizielle Position. In Wirklichkeit ist es mit meinen Einwirkungsmöglichkeiten vorbei, seit die Raumschiffe zum Mars gestartet sind.«
»Wollen Sie uns wirklich erzählen, daß die Flugkontrolleure in Houston …«
»In Kaliningrad«, verbesserte Brumado.
»Wo auch immer — daß sie nicht auf Sie hören würden, wenn Sie zu ihnen gingen und ihnen rieten, das Projekt abzubrechen und diese Leute sicher heimzuholen?«
»Hoffentlich nicht. Wenn ich ihnen einen solchen Rat gäbe, wären sie hoffentlich klug genug, ihn zu ignorieren.«
»Machen Sie sich keine Sorgen um die Sicherheit dieser Männer und Frauen auf dem Mars?«
Brumado zögerte nur einen Sekundenbruchteil — genug, um sich zu ermahnen, daß er sich von ihnen nicht zu ungewollten Äußerungen verleiten lassen durfte.
»Sie müssen sich vergegenwärtigen, daß Doktor Konoyes Tod kein Unfall war, daß er nicht auf technischem Versagen oder auch nur auf einem Fehler in unserer Planung beruhte. Der Mann hat einen Schlaganfall erlitten. Er war hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, als das geschehen ist, aber es wäre nicht anders gewesen, wenn es ihn in seinem Bett getroffen hätte.«
Brumado drehte sich um und schaute direkt in die Kamera, deren rotes Licht brannte. »Sollen wir aufhören, den Mars zu erforschen, weil ein Mensch gestorben ist? Haben die Amerikaner aufgehört, ihr Siedlungsgebiet nach Westen auszudehnen, weil an der Grenze Menschen ums Leben gekommen sind? Hat man aufgehört, die Welt zu erforschen, weil einige Schiffe gesunken sind? Wenn wir aus Angst vor der Gefahr aufgehört hätten, uns ins Unbekannte hinauszuwagen, würden wir immer noch in Höhlen hocken und uns jedesmal auf den Boden werfen, wenn es draußen donnert.«
Der Moderator lächelte breit und sagte: »Gleich nach der folgenden wichtigen Botschaft machen wir weiter.«
Die Overhead-Scheinwerfer wurden gedimmt. Brumado griff nach dem Glas Wasser auf dem Couchtisch.
»Gutes Timing. Es läuft sehr gut«, sagte der Moderator. »Nur weiter so.«
Der zweite Teil der Sendung war weitgehend genauso wie der erste: Die Interviewer klagten Brumado fast schon an, und dieser verteidigte das Marsprojekt gegen ihre plumpen Andeutungen, er sei unsensibel oder geradezu inkompetent.
»Und obwohl dies passiert ist«, hämmerte der Fratzenmann von der Zeitung auf ihn ein, »weisen Sie den Gedanken, daß es da draußen für Menschen zu gefährlich ist, nach wie vor von sich?«
Brumado spielte seine Trumpfkarte aus. »Einer dieser Menschen ist meine Tochter. Wenn ich der Meinung wäre, sie sei in einer Situation, die in nicht mehr tragbarem Maß gefährlich ist, würde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um das gesamte Forschungsteam sicher nach Hause zu holen, glauben Sie mir.«
Bei der nächsten Werbeunterbrechung sagte der Moderator: »Okay, wir haben zum Schluß noch vier Minuten. Gibt es etwas Wichtiges, worüber wir noch nicht gesprochen haben?«
»Wir haben noch kein Wort darüber gesagt, was bisher auf dem Mars entdeckt worden ist«, erwiderte Brumado milde.
»Okay. Das ist nur recht und billig.« Der Moderator sah die drei Interviewer an. Sie nickten ohne große Begeisterung.
Der Studioregisseur zeigte auf den Moderator, und das rote Licht an der auf ihn gerichteten Kamera leuchtete wieder auf. Bevor er jedoch den Mund aufmachen konnte, kam ihm der Mann von der Zeitung zuvor: »Ich wüßte gern, was uns diese Mission eigentlich bringt. Haben die Wissenschaftler auf dem Mars etwas gefunden, was fünfhundert Milliarden Dollar wert ist?«