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Jamie warf ihm einen strengen Blick zu. »Rava, Wissenschaft hat nichts mit Meinungen zu tun. Wir lernen, indem wir beobachten und messen. Herrgott noch mal, als Galileo als erster berichtet hat, er habe Sonnenflecken gesehen, gab es Priester in Rom, die behaupteten, die Flecken müßten in seinem Teleskop gewesen sein, weil jeder wisse, daß die Sonne vollkommen und makellos sei!«

Naguib lächelte väterlich. Da er älter war als die beiden Geologen, betrachtete er sich als die Stimme der Reife und Weisheit in dieser emotionalen Debatte.

»Wir haben beobachtet«, sagte der Ägypter geduldig. »Wir haben gemessen. Die stärksten Werkzeuge, die wir besitzen, sagen uns, daß diese Formation natürlichen Ursprungs ist, eine Gesteinsformation und sonst nichts.«

»Das ist eine Behauptung, die sich durch das Material in keiner Weise belegen läßt«, fauchte Jamie. »Sie sehen sich das Material schon mit der vorgefaßten Meinung an, daß die Formation nicht künstlich sein kann

»Und Sie sehen sich dasselbe Material mit der vorgefaßten Meinung an, daß es keine natürliche Formation ist«, konterte Patel.

»Was für mich zeigt, daß das Beweismaterial nicht schlüssig ist«, sagte Jamie.

»Aber wie könnte die Formation künstlich sein?« fragte Naguib. »Sie setzen voraus, daß einmal eine intelligente Spezies auf dem Mars gelebt und sich ein Dorf gebaut hat — auf die gleiche Weise, wie Ihre eigenen Vorfahren ihre Felsenbehausungen errichtet haben? Das ist so unwahrscheinlich, daß es jede Vorstellungskraft übersteigt.«

Patel fügte hinzu: »Wenn man eine unwahrscheinliche Behauptung aufstellt, muß man triftige Beweise dafür haben.«

»Richtig!« sagte Jamie. »Einverstanden! Wir müssen noch einmal zum Tithonium Chasma fahren und uns diese Formation aus der Nähe ansehen. Wir müssen hinfahren und unsere Hände darauf legen.«

Der Hindu-Geologe starrte Jamie an, als hätte er eine Blasphemie begangen. »Zum Tithonium Chasma fahren! Und was wird aus meiner Exkursion zum Pavonis Mons? Glauben Sie, Ihr imaginäres ›Dorf‹ ist wichtiger als die Tharsis-Vulkane?«

»Wenn dieses ›Dorf‹ wirklich künstlich ist, dann ist es mit Sicherheit wichtiger als alles andere«, schoß Jamie zurück.

»Als nächstes werden Sie noch ganz bis nach Acidalia fahren wollen, um das ›Marsgesicht‹ zu untersuchen!«

Auf Fotos früher Raumsonden, die den Mars umrundet hatten, war eine Felsformation zu sehen gewesen, die einem menschlichen Gesicht ähnelte, wenn die Sonne sie im richtigen Winkel traf.

»Vielleicht werden wir das tun müssen«, fauchte Jamie. »Aber zuerst will ich feststellen, ob dieses ›Dorf‹ natürlich oder künstlich ist.«

Naguib hob beschwichtigend die Hände. »Jeder, der das bearbeitete Video gesehen hat, ist der Meinung, daß es sich um eine natürliche Formation handeln muß. Genau wie beim ›Marsgesicht‹.«

»Wissenschaft hat auch nichts mit Stimmenauszählung zu tun«, sagte Jamie und spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg. »Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Frage zu klären. Wir müssen hinfahren und selbst nachsehen.«

»Es würde unsere Planung völlig über den Haufen werfen«, sagte Patel. »Es ist vollkommen überflüssig.«

»Zum Teufel mit der Planung!« sagte Jamie.

»Zum Teufel mit Ihrem ›Dorf‹!« rief Patel. »Zum Teufel mit Ihren Phantastereien!«

Jamie holte tief Luft und versuchte, seine brodelnde Wut im Zaum zu halten. »Hört zu, ihr beiden. Es ist unser Job, hier die Wahrheit zu suchen — also sollten wir keine Angst davor haben, sie zu finden. Wir müssen noch einmal zu dem Canyon fahren.«

»Nein«, sagte Patel. Zorn leuchtete aus seinem dunklen Gesicht.

»Ich muß Rava leider zustimmen«, sagte Naguib widerstrebend. »Unsere Mission hier ist klar definiert. Wir sind die ersten Kundschafter, und unsere Aufgabe ist es, die vorbereitende Erkundung durchzuführen. Auf unserem Programm stehen noch Überland-Exkursionen in zwei weitere Regionen, bevor unsere neunundvierzig Tage um sind. Bei den nächsten Missionen werden andere kommen und den Planeten eingehender untersuchen. Wir sind nicht hier, um alles auf einmal zu machen.«

Jamie sah die beiden an. Patel, der Angst hatte, seine Exkursion zu dem gottverdammten Vulkan könnte gefährdet sein. Naguib, der bereit war, den Ruhm anderen zu überlassen. Jamie dachte, daß der Ägypter alt genug war, um sich nach ihrer Rückkehr zur Erde aus der praktischen Forschungsarbeit zurückzuziehen; seine Zeit als aktiver Wissenschaftler ist vorbei. Er wird als berühmter Mann nach Ägypten zurückkehren, einen prestigeträchtigen Lehrstuhl an einer Universität kriegen und für den Rest seines Lebens im gemachten Nest sitzen. Was, zum Teufel, kümmert es ihn?

»Weshalb sind Sie so sicher, daß es weitere Missionen geben wird?« fragte Jamie. »Wenn es nach den gottverdammten Politikern geht, ist dies hier nicht nur die erste, sondern auch die letzte Expedition zum Mars.«

Naguib und Patel sahen einander sprachlos an, als wäre ihnen dieser Gedanke noch nie gekommen.

Jamie verzog das Gesicht und drehte sich etwas auf seinem Hocker. Auf dem Bildschirm war immer noch das bearbeitete Bild der Gesteinsformation zu sehen: gerade Wände mit etwas Geröll am Fuß, ein Stück in die Felsspalte zurückgesetzt, geschützt durch den massiven Überhang aus dunkelrotem, eisenhaltigem Stein.

»Okay«, sagte er ruhig. »Wenn ihr mich in dieser Sache nicht unterstützen wollt, muß ich Doktor Li eben allein fragen.«

Die beiden anderen Männer stöhnten mißbilligend.

* * *

Trotz des Sirrens der Zentrifuge konnte Ilona Malater hören, wie der Streit zwischen den Geologen an Heftigkeit zunahm.

Ah, sagte sie sich, endlich zeigt Jamie mal ein bißchen Leidenschaft.

Joanna Brumado, die nicht weit von Ilona entfernt an ihrem Arbeitstisch im Biologielabor saß, hörte den Streit ebenfalls. Sie machte ein besorgtes, beinahe ängstliches Gesicht, als die Männer einander anblafften. Sie sorgt sich um Jamie, dachte Ilona. Sie macht sich mehr aus unserem Indianer, als sie zugeben will. Vielleicht mehr, als sie selbst weiß.

Ilona lächelte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der kreisenden Zentrifuge und der Arbeit zu, die sie zu beenden versuchte. Mit der ermüdenden, zeitraubenden Sorgfalt der konservativsten Chemiker hatte sie die letzten paar Tage damit verbracht, ein halbes Dutzend Bohrkerne aus dem Marsboden behutsam zu erhitzen, um ihnen das Wasser zu entziehen. Nur ein halbes Dutzend, für den Anfang. Von den anderen Kernproben hatte sie strikt die Finger gelassen. Sie lagen sicher in ihren schützenden Behältern, als Kontrolle für ihr Experiment.

Der Permafrost gab sein Wasser problemlos ab. Mit Monique Bonnets Hilfe hatte Ilona das Wasser getestet, es mit jedem verfügbaren Instrument im Labor analysiert. Es war Wasser, keine Frage: H2O, mit einem ordentlichen Schuß Kohlendioxid und Mineralien wie Eisen und Silizium.

Jamie verändert sich, dachte Ilona, während sie zusah, wie die Arme der Tischzentrifuge verschwommen herumwirbelten. Nicht nur Jamie; wir alle. Der Mars verändert uns. Selbst Tony ist jetzt anders; er bemüht sich, seine englische Unerschütterlichkeit beizubehalten, aber ich sehe, daß sich tief in ihm etwas verändert hat. Er ist nicht mehr derselbe Mensch wie an Bord des Raumschiffs. Etwas nagt an ihm.

Ist es Joanna? fragte sie sich. Ist es Tony wirklich so wichtig, unsere brasilianische Prinzessin zu besteigen?

Als würde sie Ilonas Gedanken spüren, schaute Joanna von der Arbeit auf, über die sie gebeugt war, und blickte Ilona direkt in die Augen. Einen Moment lang fühlte sich Ilona ertappt, und sie glaubte zu erröten. Aber in diesem Moment beendete die Zentrifuge ihren Arbeitsgang und bremste ab; das dünne, schrille Heulen wurde schwächer, und die Arme sanken langsam herab, als wäre sie erschöpft von der geleisteten Arbeit.