Egal. Er lächelte jungenhaft in sich hinein. Das ist das Beste, was diese Rostkugel zu bieten hat. Für den Augenblick reicht das. Nicht schlecht für den Sohn eines Pfarrers. Er erinnerte sich an seine ersten Flüge auf dem Rücksitz eines uralten Doppeldeckers, der über den flachen Weizenfeldern von Nebraska Schädlingsbekämpfungsmittel versprüht hatte. Alles quadratisch, ordentlich und präzise. Der kahle rote Boden, der jetzt unter ihm lag, war noch nie von der zielstrebigen Hand eines Menschen berührt worden.
Abell öffnete abrupt die Luke, streckte ein zusammengehauenes Sandwich herein und bat erneut darum, die Maschine fliegen zu dürfen. Connors vertröstete ihn auf später und schloß sich wieder im Cockpit ein.
Tief unten sah er einen dunkelroteren Schatten langsam über das kahle Land ziehen. Er legte das kleine Flugzeug ein bißchen in die Kurve, um einen besseren Blick auf den Boden zu erhaschen.
Ein Sandsturm. Groß. Mit einer Front, die bestimmt ein paar hundert Kilometer breit war. Connors wußte, daß alles, was seine Kameras einfingen, automatisch zu den Schiffen im Orbit und durch sie zur Erde übertragen wurde. Trotzdem führte er im Kopf ein paar eigene Berechnungen durch und sprach ins Mikrofon seiner Kopfhörergarnitur. Toshima würde sich über alle Informationen freuen, die er bekommen konnte; der japanische Meteorologe versuchte, ein den ganzen Planeten umspannendes Netz aus Wettersensoren zu errichten.
»Sieht aus wie ein großer Sandsturm aus Nordwest, Richtung Südost. Front ist mindestens drei- bis vierhundert Klicks breit.« Er warf einen Blick auf den Navigationsschirm rechts an der Kontrolltafel. »Position ungefähr sechzig Grad Länge, dreißig, einunddreißig Grad Breite. Bewegt sich schätzungsweise mit fünfzig bis hundert Stundenkilometern voran.« Dann fügte er grinsend hinzu: »Pflockt die Kamele an.«
Zusätzlich zu der üblichen Ausstattung an sensorischen Instrumenten trug die RPV-1 noch eine besondere Fracht unter ihrem Bauch, eine winzige, rechteckige Box aus Aluminium. Im Innern war eine Plakette aus rostfreiem Stahl, so klein, daß sie in die Hand eines Mannes paßte. Sie trug die Inschrift:
Connors hatte Thomas A. Mutch nicht mehr kennengelernt. Der NASA-Wissenschaftler war nur wenige Jahre, nachdem der erste automatische Lander auf der Oberfläche des Mars aufgesetzt hatte — 1976 war das gewesen — bei einem Bergunfall ums Leben gekommen. Jener primitive Lander, der ursprünglich Viking 1 geheißen hatte, war kurz darauf in ›Thomas A. Mutch Memorial Station‹ umbenannt worden. Die Plakette hatte man damals angefertigt, als Connors noch ein Kind gewesen war, das gerade anfing, mit dem Flugzeug über den Farmen von Cheyenne County, Nebraska, herumzufliegen.
Jetzt steuerte er die ferngelenkte Little Beauty zum 47°97’ Grad nördlicher Länge und 22°49’ Grad nördlicher Breite, wo die treue alte Viking-Sonde noch nach über dreißig Jahren breitbeinig stand. Connors sollte das kleine Flugzeug dort landen, die Box mit der Plakette darin ablegen und es erst am nächsten Morgen wieder starten und zur Heimatbasis zurückfliegen.
In die Plakette aus rostfreiem Stahl war noch eine weitere Zeile eingraviert. Sie lautete: ›Angebracht am‹, und der Platz dahinter war leer. Das Datum sollte eingetragen werden, wenn Forscher von der Erde irgendwann einmal den Viking-Lander erreichten, eine Aufgabe, die nicht auf dem Programm dieser ersten Forschungsmission stand.
Connors’ Gesicht umwölkte sich ein wenig. Er wünschte, er würde dieses Flugzeug wirklich fliegen, säße tatsächlich an den Kontrollen an Bord der Maschine, wäre wirklich dort, so daß er mit der kleinen Lady landen, die Plakette an das alte Raumfahrzeug anschrauben und das Datum einritzen könnte.
SOL 14
VORMITTAG
So etwas wie ein Gespräch unter vier Augen gibt es hier nicht, dachte Jamie, als er an der Kommunikationskonsole saß. Wosnesenski hockte neben ihm, Tony Reed, Patel, Naguib und Monique Bonnet standen hinter ihm.
Auf dem Bildschirm in der Mitte des ganzen Kommunikationsequipments war das Gesicht von Alberto Brumado mit seinem säuberlich getrimmten Bart zu sehen. Sein Haar war wie üblich ein wenig zerzaust, sein Lächeln ein bißchen verzweifelt.
Fast den ganzen Vormittag über hatten sie das Pro und Kontra der Rückkehr zum Tithonium Chasma erörtert, um dort Jamies ›Dorf‹ zu untersuchen. Wie alle anderen war Brumado dagegen gewesen.
»Alle verfügbaren Beweise«, hatte er auf seine milde, väterliche Art gesagt, »deuten darauf hin, daß es ein natürliches Phänomen ist. Wir können den Missionsplan nicht mit einer weiteren ungeplanten Exkursion über den Haufen werfen.«
Das Wort weiteren wurmte Jamie. Wenn ich nicht darauf bestanden hätte, zu dem Canyon zu fahren, hätten wir das Dorf gar nicht erst gesehen.
Dann hatte Brumado zu ihrer aller Überraschung gesagt: »Ich möchte nun mit Doktor Waterman unter vier Augen sprechen, bitte.«
Jamie spürte, wie sich die anderen hinter ihm bewegten. Er warf einen Blick auf Wosnesenski, der die Lippen schürzte; sein Gesicht war finster vor Argwohn.
Aber er sagte: »Natürlich«, als ob Brumado ihn hören könnte, ohne noch einmal ein Dutzend Minuten zu warten. Der Kosmonaut wandte sich an Jamie. »Sie können in Ihrer Unterkunft mit Doktor Brumado sprechen. Ich werde dafür sorgen, daß niemand außer Ihnen diese Frequenz benutzt.«
»Danke, Mikhail.« Jamie eilte zu seiner Kabine und dachte daran, wie viele nützliche Arbeitsstunden bereits durch die Diskussion verlorengegangen waren.
Er nahm seinen Computer von dem winzigen Schreibtisch und streckte sich damit auf seiner Liege aus. Es gab keine Möglichkeit, ein Gespräch zu verschlüsseln; wenn jemand lauschen wollte, brauchte er nur sein eigenes Gerät auf dieselbe Frequenz einzustellen. Aber die anderen Wissenschaftler machten sich an ihre diversen Aufgaben, da sie bereits hinter dem Plan zurücklagen, und Wosnesenski würde die Kommunikationskonsole mit dem unbeirrbaren Eifer eines Kosaken bewachen, der seinen Zaren schützte.
Das hoffte Jamie jedenfalls.
Brumados Gesicht nahm auf dem kleinen Bildschirm des Laptops Gestalt an. Einen Moment lang kam Jamie sich beinahe albern vor. Die Worte »Endlich sind wir miteinander allein« lagen ihm auf der Zunge.
Statt dessen sagte er: »Sie können jetzt fortfahren, Doktor Brumado. Außer uns ist niemand auf dieser Frequenz.«
Dann tickten die Minuten dahin. Jede Botschaft brauchte mehr als zehn Minuten, um die größer werdende Kluft zwischen den beiden Planeten zu überbrücken; über zwanzig Minuten Zeitverzögerung bei jedem Gespräch in beide Richtungen. Jamie betrachtete Brumado aufmerksam; der Mann saß nur da und schaute auf den Bildschirm, wartete mit der Geduld eines echten Indianers. Vielleicht sieht er sich andere Daten auf seinem Bildschirm an, während er darauf wartet, daß meine Botschaft bei ihm eintrifft, dachte Jamie. Aber Brumados Augen gingen nicht hin und her, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er etwas gelesen hätte.
Jamie stand von seiner Liege auf, holte das Kopfhörer-Zubehör aus seiner Schreibtischschublade und steckte es in den Laptop. Jetzt konnte zumindest niemand mithören, was Brumado sagte, dachte er, als er sich wieder auf die Liege zurücksinken ließ.
Ich sollte Ediths Botschaft beantworten, fiel ihm ein. Und Mom und Dad etwas schicken. Er hatte nicht damit gerechnet, daß seine Eltern versuchen würden, mit ihm Kontakt aufzunehmen; sie würden erwarten, daß er sie anrief, das war ihm klar. So lief es immer. Warum sollte es anders sein, nur weil er auf dem Mars war? Und Al. Was kann ich ihn sagen, ohne mich in Platitüden zu ergehen? Amüsiere mich prächtig, wünschte, du wärst hier? Jamie grinste in sich hinein. Al würde das Band in seinem Geschäft laufen lassen; der einzige Laden auf der Plaza, der Botschaften vom Mars kriegt.