»Sie sind ein Glückspilz, Jamie«, rief Wosnesenski vom anderen Ende des Tisches herüber. »Ein wahrer Liebling der Götter.«
»Na ja«, sagte Pete Connors, »die Anzüge sind so konstruiert, daß sie kleine Meteoritentreffer aushalten. Jamie war nicht wirklich in Gefahr.«
Das glaubst du doch wohl selber nicht, dachte Jamie.
Wosnesenski grinste. »Ich habe nicht gemeint, daß er ein Glückspilz ist, weil er überlebt hat. Ich weiß, daß die Anzüge vor so etwas schützen können. Er hat Glück, daß er getroffen worden ist! Wissen Sie, wie klein die Chance ist, von einem Meteoriten getroffen zu werden? Phantastisch! Astronomisch! Ich beglückwünsche Sie, Jamie.«
Und der Russe hob erneut sein Plastikglas, während die anderen nachsichtig schmunzelten.
»Vielleicht sollten Sie demnächst beim Pferderennen wetten«, schlug Reed vor.
Jamie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ein solcher Glückstreffer reicht mir vollkommen.«
»Wenn man bedenkt, wie winzig die Chance ist«, murmelte Wosnesenski zum wiederholten Mal.
Mironow sagte: »Selbst riskante Einsätze zahlen sich manchmal aus. Was würden Sie sagen, wie groß die Chance war, daß der einzige Elefant im Leningrader Zoo von der ersten deutschen Granate getötet werden würde, die die Nazis während des Krieges in die Stadt gefeuert haben? Und doch ist genau das geschehen.«
»Sie haben den Elefanten getötet?« fragte Monique.
»Genau.«
»Nein!«
»Das ist eine historische Tatsache.«
»Wie lange werden wir reinen Sauerstoff atmen müssen?« fragte Naguib. »Ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen davon. Meine Nebenhöhlen tun weh.«
»Ein oder zwei Tage«, sagte Wosnesenski. »So gut wie unser gesamter Stickstoff ist entwichen. Wir müssen warten, bis die Pumpen soviel Stickstoff von draußen angesammelt haben, daß sie wieder ein normales Luftgemisch erzeugen können.«
»Ich würde Sie mir gern einmal ansehen«, sagte Reed.
Naguib schien plötzlich auf der Hut zu sein. »O nein, es ist nichts« wehrte er ab. »Nur ein bißchen Kopfschmerzen. Die Anspannung, wahrscheinlich.«
»Trotzdem«, sagte Reed, »wenn Sie morgen beim Aufwachen noch welche haben, untersuche ich Sie lieber mal.«
Jamie fuhr mit dem Finger über die Furche hinten an seinem Helm. Sie war nicht tief und auch nicht annähernd so schlimm, daß sie seinen Helm ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen hätte. Er konnte ihn wieder tragen, wenn es sein mußte. Aber er würde statt dessen einen der überzähligen Helme benutzen. Katrin Diels hatte verlangt, daß dieser beiseitegelegt wurde, damit sie ihn auf dem Rückflug zur Erde untersuchen konnte. Die Flugkontrolleure hatten das ebenfalls verlangt, als sie davon erfahren hatten. Auch die Raumanzughersteller würden den Schaden untersuchen wollen, um zu sehen, wie gut der Helm seinen Träger beschützt hatte.
Du wirst berühmt, sagte Jamie im stillen zu dem Helm. Sie werden dich im Smithsonian ausstellen. Er dachte daran, wie die Innenseite des Helms ausgesehen hätte, wenn der Meteorit durchgegangen wäre. Und erschauerte.
»Aber ich bin viel zu wertvoll, als daß man mich draußen einer Gefahr aussetzen dürfte«, sagte Tony Reed gerade.
Jamie blickte auf und erkannte, daß Ilona den Engländer aufzog.
»Du hast die Kuppel seit unserem zweiten Tag hier nicht mehr verlassen, Tony«, sagte sie und lächelte ihn spitzbübisch an. »Man könnte beinahe glauben, du hättest Angst, hinauszugehen.«
»Unsinn!« fauchte Reed. »Ich bin der Arzt des Teams. Ich werde hier gebraucht, in meinem Krankenrevier.«
»Sicher hinter deinen Pillen und Instrumenten verbarrikadiert«, stichelte Ilona. »Und nun hast du auch noch alle Pillen verschüttet, stimmt’s?«
»Nur eine Flasche«, antwortete Reed steif.
»Fünfhundert Vitaminkapseln, überall auf dem Boden verstreut.«
»Es sind nur ein paar auf den Boden gefallen! Die meisten sind auf dem Tisch liegengeblieben, und der ist so sauber, das man davon essen kann, das versichere ich dir.«
»Ja«, sagte Ilona spöttisch. »Das glaube ich gern. Paß nur auf, daß du uns nicht die schmutzigen gibst.«
Die anderen grinsten, sah Jamie. Sie amüsierten sich bestens. Normalerweise ist Tony derjenige, der andere aufzieht. Er fühlt sich verdammt unwohl, wenn er das Opfer und nicht der Angreifer ist.
Joanna schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich glaube, ich lege mich eine Weile hin.«
Dankbar für eine Chance, Ilonas Skalpell zu entrinnen, fragte Reed rasch: »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Oh, ich bin nur müde«, antwortete Joanna. »Ich glaube, ich versuche zu schlafen.«
»Ohne Abendessen?« fragte Wosnesenski vom anderen Ende des Tisches.
»Ich glaube nicht, daß ich im Moment etwas essen könnte. Vielleicht später.«
Der Russe warf Reed einen Blick zu, sagte aber nichts weiter.
Als Joanna den Tisch verließ, drehte Reed sich zu Jamie um. »Ich finde, wir sollten diesen Meteoritenschwarm nach Jamie hier benennen. Immerhin scheint er sich von ihm angezogen zu fühlen. Die James F. Watermaniden.«
Rava Patel sagte ernst: »Doktor Diels und Doktor Li versuchen, seine Bahn zu berechnen. Bei dem Schwarm handelt es sich augenscheinlich um die Überreste eines alten Kometen.«
»Augenscheinlich«, sagte Reed.
»Es wird jedoch ziemlich schwierig sein«, fuhr Patel fort, »seine Bahn mit so wenigen Daten zu berechnen. Der Schwarm ist so klein, daß er die Radarsignale kaum zurückwirft.«
Reeds altes spöttisches Grinsen kehrte zurück. »Vielleicht können wir Jamie noch mal nach draußen stellen. Die Meteoriten scheinen ihn zu mögen. Vielleicht kommen sie zurück, wenn er wie ein Blitzableiter im Freien steht.«
»Oder du könntest hinausgehen«, sagte Ilona.
»O nein, ich nicht«, sagte Reed. »Das überlasse ich Jamie. Es wäre der erste Beitrag der Indianer zur astronomischen Wissenschaft.«
»Nicht der erste«, sagte Jamie.
»Ach nein?«
»Die Azteken und Inkas waren hervorragende Astronomen. Sie haben Observatorien gebaut …«
»Die meine ich nicht«, unterbrach ihn Reed. »Die waren einigermaßen zivilisiert. Ich habe Ihre Leute gemeint, Jamie. Die nordamerikanischen Wilden.«
Nun waren alle Augen auf ihn gerichtet, erkannte Jamie. Tony hat die Nadel aus seiner Haut gezogen, indem er sie in mich hineingesteckt hat.
»Meine Vorväter haben die Sterne beobachtet«, sagte er, wobei er seine Worte sorgfältig abwog.
»Natürlich haben sie das«, erwiderte Reed. »Was gab es denn sonst schon in der Wüste zu tun, in der sie lebten, sobald die Sonne untergegangen war? Aber was haben sie zustande gebracht, abgesehen von ein bißchen indianischem Hokuspokus?«
Jamie zögerte einen Herzschlag lang, dann antwortete er: »Sie haben zum Beispiel die große Supernova des Jahres 1054 aufgezeichnet. Haben die Daten in Petroglyphen festgehalten, diesen in den Fels geritzten Zeichen und Bildern. Und sogar Tongefäße mit akkuraten Zeichnungen geschmückt, die zeigten, wo und wann die Supernova erschienen ist.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich.« Jamie wandte sich an die anderen. »Die Supernova von 1054 ist diejenige, die den Krebsnebel hervorgebracht hat; den kann man heutzutage im Teleskop sehen. Die einzigen anderen Astronomen, die die Supernova beobachtet haben, saßen in China.«
»Und in Japan«, sagte Toshima.
Jamie nickte ihm ernst zu. »Und in Japan. In Europa hat ihr niemand Beachtung geschenkt, wie es scheint.«
»Wahrscheinlich war es in jener Nacht zu bewölkt«, sagte Reed.
»Die Supernova war für das bloße Auge dreiundzwanzig Tage lang sichtbar«, konterte Jamie. »Das beweisen die chinesischen Aufzeichnungen. Ebenso wie die Zeichnungen, die meine Vorfahren angefertigt haben. Selbst in England muß der Himmel während dieser Zeit irgendwann klar gewesen sein, aber dort hat sich niemand die Mühe gemacht, nach oben zu schauen. Entweder das, oder sie kannten sich zu wenig mit den Sternen aus, um zu merken, daß ein neuer am Himmel erschienen war.«