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»Wohin fahren wir?« fragte Jamie. »Wohin bringen Sie mich?«

Es war Sonntag, angeblich ein Ruhetag — sogar für die Männer und Frauen, die für den Flug zum Mars ausgebildet wurden. Erst recht für einen Neuankömmling, der mit der Zeitumstellung zu kämpfen hatte und eine frische Narbe am Bauch trug. Aber die vier Kosmonauten hatten Jamie aus seinem Hotelbett geholt und darauf bestanden, daß er mit ihnen kam.

»Flughafen«, sagte der Kosmonaut mit der tiefen Stimme links neben Jamie. Er hockte auf dem Rücksitz, eingezwängt zwischen zwei schwitzenden Russen, deren Körpergeruch selbst den scharfen Duft starker Seife durchdrang. Zwei weitere nahmen die Plätze vorne ein. Zawgorodny saß hinter dem Lenkrad.

Wie eine Bande von Mafiakillern, die mich in ein Auto gezerrt haben, dachte Jamie. Die Russen lächelten einander häufig zu, unterhielten sich grinsend und zogen bedeutsam die Augenbrauen hoch. Irgendwas war los. Und sie wollten dem amerikanischen Geologen nichts darüber sagen, ehe es nicht soweit war.

Sie waren kräftig gebaute Männer, alle vier. Klein und stämmig, wie Jamie selbst. Aber sie hatten viel hellere Haut als Jamie, der schließlich ein halber Navajo war.

»Ist das eine offizielle Angelegenheit?« hatte er sie gefragt, als sie in aller Frühe an die Tür seines Hotelzimmers geklopft hatten.

»Nix offiziell«, hatte Zawgorodny erwidert, während die anderen drei breit grinsten. »Spaß. Ja, Spaß, Vergnügen.«

Für sie vielleicht, grummelte Jamie vor sich hin, während der Wagen über den Asphalt der leeren Landstraße brummte. Der Wind trug den Geruch von sonnenheißem Staub heran. Die alte Stadt Tyuratam lag bereits kilometerweit hinter ihnen, ebenso wie Leninsk, die neue Stadt, die für die Raumfahrtingenieure und Kosmonauten erbaut worden war.

»Warum fahren wir zum Flughafen?« fragte Jamie.

Der Russe zu seiner Rechten lachte laut. »Für Spaß. Sie werden sehen.«

»Ja«, sagte der Mann zu seiner Linken. »Viel Spaß.«

Jamie war seit etwas über einem halben Jahr im Marstraining. Dies war seine erste Reise nach Rußland, obwohl ihn sein Trainingsprogramm bereits nach Australien, Alaska, Französisch-Guayana und Spanien geführt hatte. Sie hatten ihn endlos lange ärztlich untersucht und seine Reflexe, seine Kraft, sein Sehvermögen und seine Urteilsfähigkeit getestet. Sie hatten seine Zähne geprüft und erklärt, er sei in hervorragender Form, und dann hatten sie ihm den Blinddarm herausgeschnitten.

Und jetzt nahm ihn ein Quartett von Kosmonauten, denen er noch nie zuvor begegnet war, in den frühen Morgenstunden eines stillen Sonntags mit auf eine Fahrt ins kasachstanische Nirgendwo.

Für viel Spaß.

Im Marstraining hatte es bisher herzlich wenig Spaß, dafür aber jede Menge Konkurrenz unter den Wissenschaftlern gegeben, da nur sechzehn von ihnen schließlich mit auf die Reise gehen würden: sechzehn von mehr als zweihundert Trainingsteilnehmern. Jamie wurde klar, daß die Konkurrenz unter den Kosmonauten und Astronauten genauso heftig sein mußte.

»Hat man euch allen auch den Blinddarm rausgenommen?« fragte er.

Das Grinsen erlosch. Der Kosmonaut neben ihm antwortete: »Nein. Ist nicht nötig. Wir fliegen nicht zum Mars.«

»Nein?«

»Wir sind Ausbilder«, sagte Zawgorodny über die Schulter hinweg. »Wir sind für Flugmission schon abgelehnt worden.«

Jamie wollte fragen warum, entschied sich jedoch dagegen. Das war kein angenehmes Gesprächsthema.

»Ihr Blinddarm?« fragte der Mann zu seiner Linken. Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle.

Jamie nickte. »Gestern haben sie die Fäden gezogen.« Dann wurde ihm bewußt, daß er in Wahrheit am Freitag im Bethesda gewesen war und daß jetzt Sonntag war, aber es kam ihm wie gestern vor.

»Sie sind Indianer?«

»Halber Navajo.«

»Die andere Hälfte?«

»Anglo«, sagte Jamie. Er sah, daß die Russen mit dem Wort nichts anfangen konnten. »Weiß. Englisch.«

Der Mann, der vorne neben Zawgorodny saß, drehte sich zu ihm um. »Als sie Ihnen Blinddarm herausgenommen haben — war da Medizinmann dabei, der Rasseln über Ihnen geschwenkt hat?«

Alle vier Russen brachen in brüllendes Gelächter aus. Zawgorodny lachte so heftig, daß der Wagen auf der leeren Landstraße ausschwenkte.

Jamie grinste sie gezwungen an. »Nein. Ich habe eine Betäubung bekommen, wir ihr sie auch kriegen würdet.«

Die Russen schwatzten miteinander. Jamie stellte sich vor, daß sie Witze über Indianer rissen, vielleicht über einen Roten, der zum Roten Planeten fliegen wollte. Es lag jedoch keine Boshaftigkeit darin, das spürte er. Sie waren einfach vier biertrinkende Flieger, die sich mit einem neuen Bekannten einen kleinen Spaß erlaubten.

Ich wünschte, ich verstünde Russisch, sagte er sich. Wenn ich bloß wüßte, was diese vier Clowns vorhaben. Viel Spaß.

Dann fiel ihm ein, daß keiner dieser Männer auch nur hoffen konnte, noch zum Mars fliegen zu dürfen. Sie waren zu Ausbildern degradiert worden. Ich habe noch eine Chance, an der Mission teilzunehmen. Ob sie mir das verübeln? Was, zum Teufel, haben sie bloß mit mir vor?

Zawgorodny fuhr von der Landstraße herunter und bog in eine zweispurige, unbefestigte Straße ein, die parallel zu einem hohen Drahtzaun verlief. In der Ferne sah Jamie Hangars und aufs Geratewohl abgestellte Flugzeuge. Wir sind also wirklich zu einem Flughafen unterwegs, stellte er fest.

Sie fuhren durch ein unbewachtes Tor und zu einer abgelegenen Ecke des weitläufigen Flughafens hinaus, wo ein einzelner kleiner Hangar stand, wie ein Ausgestoßener oder ein nachträglicher Einfall. Ein zweimotoriger Hochdecker mit niedrigem dreirädrigem Fahrwerk stand auf dem betonierten Vorfeld vor dem Hangar. Für Jamie sah er wie die russische Version einer Twin Otter aus, eines Flugzeugs, in dem er während seines einwöchigen Aufenthalts in der eisigen Brooks Range in Alaska geflogen war.

»Sie fliegen gern?« fragte Zawgorodny, als sie aus dem Wagen stiegen.

Jamie streckte die Arme und den Rücken, froh, nicht mehr in den Fond des Wagens gepfercht zu sein. Es war noch nicht einmal neun Uhr, aber die Sonne brannte sich schon in seine Schultern ein; sie fühlte sich heiß und gut an.

»Sogar sehr gern«, sagte er. »Ich habe aber keinen Pilotenschein. Ich bin nicht berechtigt …«

Zawgorodny lachte. »Gut so! Wir sind vier Piloten. Das sind drei zuviel.«

Die vier Kosmonauten trugen bereits einteilige Fliegeroveralls in einem verblichenen, abgenutzten Hellbraun. Jamie hatte ein weißes, kurzärmeliges Strickhemd und eine Jeans angezogen, als sie ihn im Hotel aus dem Bett geholt hatten. Er folgte den anderen in die plötzliche kühle Dunkelheit des Hangars. Es roch nach Maschinenöl und Benzin. Zwei der Kosmonauten polterten eine Metalltreppe zu einem Büro hinauf, das auf dem Steg über ihnen thronte.

Zawgorodny winkte Jamie zu einem langen Tisch mit einer Reihe dicker, klobiger Fallschirmpackhüllen darauf, deren ausgebreitete Gurte den schlaffen Armen von Tintenfischen ähnelten.

»Wir müssen alle Fallschirm tragen«, sagte Zawgorodny. »Vorschrift.«

»Um in dem Ding da zu fliegen?« Jamie reckte einen Daumen zu dem Flugzeug.

»Ja. Militärflugzeug. Vorschrift. Müssen Fallschirm tragen.«

»Wo fliegen wir denn hin?« fragte Jamie.

Zawgorodny nahm eine der unhandlichen Fallschirmpackhüllen und gab sie Jamie wie ein Arbeiter, der einen Sack Zement weiterreicht.

»Überraschung«, sagte der Russe. »Sie werden schon sehen.«

»Viel Spaß«, sagte der andere Kosmonaut. Er schnallte sich bereits die Bauchgurte seines Fallschirms um.

Viel Spaß für wen, fragte sich Jamie im stillen. Aber er schob die Arme durch die Schultergurte des Fallschirms und beugte sich vor, um die Bauchgurte festzuzurren.