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Auf der Erde war Japan eine Macht, mit der man rechnen mußte. Ohne Japans finanziellen und technischen Beitrag wäre das Marsprojekt im Gezänk und Hin- und Hergeschiebe der Kosten zwischen Europäern, Russen und Amerikanern zugrunde gegangen. Trotzdem hatte kein einziger Japaner zu der ersten Gruppe gehört, die auf dem Mars gelandet war. Und der einzige Mensch, der bei dieser Expedition bisher den Tod gefunden hatte, war der brillante japanische Geochemiker Konoye gewesen.

Seiji Toshima war der Sohn eines Fabrikarbeiters, aber in ihm schlug das Herz eines Samurai. Ich werde die Ehre des japanischen Volkes hochhalten. Ich werde dafür sorgen, daß diese Ausländer Japan respektieren. Ich werde dafür sorgen, daß die ganze Welt den Beitrag Japans zur Erforschung des Mars anerkennt.

Ganz plötzlich wurde ihm klar, wohin seine Gedanken führten. Das ist unwürdig, sagte er sich. Wir sind Wissenschaftler. Wissen kennt keine Nationalität. Ich bin Teil eines Teams, kein mittelalterlicher Egomane.

»Wir können den Zentralrechner benutzen«, sagte er zu Jamie Waterman und beugte sich dabei unbewußt ein bißchen vor, um den etwas über kniehohen Minicomputer zu tätscheln, der in seiner Ecke des Labors stand. Waterman war ein eigenartiger Mensch; fast so zurückhaltend und introvertiert wie ein Japaner. Ein Mann, der weiß, was korrektes Benehmen ist, dachte Toshima, der aber trotzdem bereit ist, für seine Überzeugungen zu kämpfen.

»Haben Sie von hier aus Zugriff auf die geologische Datei, oder muß ich zum Geologiecomputer gehen und sie auf eine Diskette kopieren?« fragte Jamie.

»Ich müßte eigentlich darauf zugreifen können«, antwortete Toshima. Sein rundes, flaches Gesicht war konzentriert und ernst. Dann lächelte er ein wenig. »Sofern Sie die Datei nicht mit einem speziellen Zugangsbeschränkungscode versehen haben, um sie geheimzuhalten.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Nein. Keineswegs.«

Der Meteorologe zog sich eine Tastatur auf den Schoß und ließ seine kurzen Finger darüberfliegen. Jamie sah, daß der Bildschirm des Computers vor ihm einen Moment lang dunkel wurde, dann zeigte er eine farbige Karte des Mars, die aus einer Montage aus dem Orbit aufgenommener Fotos bestand.

Toshima murmelte etwas auf Japanisch, und auf dem Bildschirm legte sich plötzlich eine Wetterkarte über das Fotomosaik. Jamie erkannte die Symbole für eine Kaltfront und für Hoch- und Tiefdrucksysteme sowie die unregelmäßigen und schiefen Flächen von Isobaren.

»Das ist die aktuelle Wetterlage«, sagte Toshima. »Und hier ist die Computervorhersage für heute nacht« — die Symbole veränderten sich leicht; die Zahlen, die für die Temperaturen standen, fielen um hundert oder mehr ab — »und für morgen mittag, nach unserer Zeit.« Die Front kam erneut ein wenig näher. Die Temperaturen schossen in die Höhe. Auf ihrem Breitengrad stiegen sie sogar über den Gefrierpunkt.

Ein Anflug von Stolz klang in Toshimas Stimme mit, als er hinzufügte: »Ich kann Ihnen sogar die Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen auf einem großen Teil des Planeten zeigen.«

»Woher kommen die Daten?« fragte Jamie, als Vektorpfeile die Karte sprenkelten. Sie zeigten die Windrichtungen an; die Anzahl der Fähnchen an ihrem hinteren Ende bezeichnete die Windgeschwindigkeit.

»Von dem Netz ferngesteuerter Beobachtungsstationen, das um den Planeten herumgelegt worden ist«, antwortete Toshima. »Und von den Ballons, natürlich.«

Die meteorologischen Ballons waren herrlich simpel, nicht viel mehr als lange, schmale, mit Wasserstoff gefüllte Schläuche aus außerordentlich dünnem, widerstandsfähigem Mylar. Sie wurden von den Raumschiffen im Orbit nach Bedarf in ihren winzigen Kapseln in die Marsatmosphäre abgeworfen und bliesen sich automatisch auf, wenn sie die richtige Höhe erreichten. Dann schwebten sie wie phantastische, riesige weiße Zigaretten über der Landschaft.

Unter jedem Ballon hing eine ›Schlange‹, ein langes, dünnes Metallrohr, das Meßinstrumente, ein Funkgerät, Batterien und auch noch eine Heizung zum Schutz vor der Kälte enthielt.

Tagsüber schwebten die Ballons hoch oben in der Marsatmosphäre und ermittelten die Temperatur (niedrig), den Druck (niedriger), den Feuchtigkeitsgehalt (noch niedriger) und die chemische Zusammensetzung der Luft. Die Höhe, in der jeder Ballon schwebte, wurde von der Wasserstoffmenge in seinem langen, schmalen, zigarettenförmigen Rumpf bestimmt. Die Tageswinde trugen sie wie Löwenzahnsporen über die rote Landschaft.

Bei Nacht, wenn die Temperaturen so eisig wurden, daß sogar der Wasserstoff in den Ballons zu kondensieren begann, sanken sie alle wie eine Truppe anmutig knicksender Ballerinen nach unten. Die ›Schlangen‹ mit den Instrumenten berührten den Boden und übermittelten die ganze Nacht hindurch treu und brav Daten über die Oberflächenbedingungen, während die Ballons, die kaum genug Auftrieb hatten, um in sicherer Höhe über dem steinübersäten Boden zu schweben, in den dunklen Winden tanzten.

Nicht jeder Ballon überlebte. Während die meisten tagelang ununterbrochen über das Antlitz des Mars schwebten, jede Nacht müde hinabsanken und wieder aufstiegen, sobald der morgendliche Sonnenschein sie erwärmte, wurden manche von Felsen zerrissen oder verfingen sich an Berghängen. Einer verschwand in dem riesigen, tiefliegenden Krater von Hellas Planitia und war selbst mit den besten Kameras an Bord der um den Mars kreisenden Überwachungssatelliten nicht wiederzufinden. Aber die meisten Ballons flogen lautlos und ohne jeden Kraftaufwand dahin, paßten sich dem marsianischen Tag-und-Nacht-Zyklus an und berichteten getreulich über die Umwelt zwischen den beiden Polen.

»Wie Sie sehen«, sagte Toshima mit einem Nicken zum Bildschirm, »ist die Wetterlage hier in der nördlichen Hemisphäre ziemlich stabil. Und ziemlich langweilig.«

»Das Sommermuster«, murmelte Jamie.

Toshima freute sich, daß der Geologe sich zumindest ein kleines bißchen mit dem Marsklima auskannte. Doch in der südlichen Hemisphäre, wo Winter herrschte, war das Wetter ebenso ruhig; auch dort gab es kaum Störungen. Keine großen Staubstürme, nicht einmal ein anständiger zyklonartiger Luftstrom, den man studieren und von dem man etwas lernen konnte.

»Können wir näher an Tithonium herangehen?« fragte Jamie, den Blick auf den meteorologischen Bildschirm gerichtet.

»Ja, natürlich«, sagte Toshima.

Die gewundene Spalte des ungeheuren Grabenbruches schien auf Jamie zuzurasen, bis Tithonium Chasma und sein südlicher Gefährte, Ius Chasma, den Bildschirm ausfüllten. Einen Moment lang ignorierte Jamie die meteorologischen Symbole, die das Bild überlagerten; er sah nur die kilometerhohen Felsen und die gewaltigen Rutschungen, die Bereiche des riesigen Canyons teilweise ausfüllten.

»Dort ist eine Anomalie«, sagte Toshima.

Der Meteorologe hatte seinen Hocker nah zu Jamies Stuhl gezogen. Ihre Köpfe berührten sich beinahe, als sie auf den Bildschirm schauten. Jamie blickte auf das gigantische Werk uralter Krustenbrüche, Toshima sah sich mit schmalen Augen die meteorologischen Daten an.

»Eine Anomalie?«

»Ich hätte sie schon vor Tagen bemerken müssen, aber jetzt kommen so viele Daten herein …« Er zuckte leicht die Achseln, was gewiß sowohl eine Rechtfertigung als auch eine Entschuldigung sein sollte. »Wir verfolgen sogar die abgeworfenen Fallschirme unserer Landefahrzeuge, die der Wind über den Boden weht.«

»Was für eine Anomalie?« fragte Jamie.

»Nur zwei der Ballons haben diesen Teil des Grand Canyon überflogen«, sagte Toshima und fuhr mit einer Fingerspitze über das Bild von Tithonium auf dem Monitor. »Sie haben beide viel höhere Lufttemperaturen gemeldet als unser MetSat.«

Jamie sah ihn an. »Der meteorologische Satellit behauptet, die Temperaturen in dem Canyon seien tiefer, als die Meßinstrumente der Ballons gemeldet haben?«

»Richtig«, sagte Toshima.