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Brownstein schüttelte den Kopf, und Gretschko sagte nachdenklich: »Die Schlucht ist jedenfalls ein günstigerer Ort für Leben als die Vulkane. Es ist, als würde man den brasilianischen Dschungel mit den Bergen von Tibet vergleichen, nicht wahr?«

»Deren marsianische Gegenstücke, ja«, stimmte DiNardo zu.

»Es gefällt mir trotzdem nicht«, murrte Brownstein. »Wenn wir den Politikern diesmal nachgeben, öffnen wir eine Büchse der Pandora, die auf lange Sicht alles ruinieren wird.«

»Dann dürfen wir nicht den Anschein erwecken, als würden wir den Politikern nachgeben«, sagte DiNardo. »Wir müssen unsere Kollegen und Kolleginnen dazu bewegen, auf die Exkursion nach Tithonium zu bestehen — und darauf, daß der frühere Missionsplan trotzdem so weit wie möglich beibehalten wird.«

Brownstein verzog das Gesicht. »Das ist ganz schön viel verlangt.«

»Aber es geht«, sagte DiNardo ruhig. »Ich bin sicher, daß Brumado dafür sein wird.«

Gretschkos Lächeln wurde breiter. »Dann können Sie das Wort ergreifen und versuchen, die anderen zu überzeugen.«

DiNardo erwiderte das Lächeln. »O nein. Ich werde Brumado überzeugen. Dann wird er alle anderen überzeugen.«

»Da spricht der echte Jesuit«, sagte Gretschko.

Brownstein schnaubte, schwieg jedoch.

Die Menge strömte wieder nach oben. Die drei Männer machten sich auf den Rückweg zum Saal.

Gott schenke mir die Kraft, es zu schaffen, sagte sich DiNardo. Dann dachte er: Und Gott schenke James Waterman Jagdglück auf dem Mars.

SOL 22

NACHMITTAG

Ravavishnu Patel starrte auf den riesigen, königlichen Kegel von Pavonis Mons. Der Vulkan füllte den Horizont aus wie ein ruhender Buddha, wie ein schlafender Shiva, Zerstörer der Welten — und ihr Erneuerer.

»Schade, daß Toshima nicht bei uns ist.« Abdul al-Naguibs leise Stimme brach den beinahe hypnotischen Bann, unter dem Patel stand.

Die beiden Männer beugten sich über die leeren Sitze im Cockpit des Rovers. Jamie und der Kosmonaut Mironow waren draußen und stellten geologischmeteorologische Baken in dem steinigen Gelände auf.

»Toshima?« fragte Patel ein bißchen verwirrt.

Naguib lächelte. »Pavonis würde ihn an den Fudschijama erinnern, meinen Sie nicht?«

»Oh. Ja, vielleicht. Obwohl dieser Vulkan sehr viel größer ist. Es gibt auch keinen Schnee auf dem Gipfel. Und die Hangneigung ist eine ganz andere.«

»Ein anderes Schwerefeld«, sagte Naguib, als würde das alles erklären.

»Ja. Natürlich.«

Nach einer Tagesreise und einer Übernachtung im offenen Gelände waren sie am Vormittag über das immer unebener werdende Terrain geholpert, aber der Rover war immer noch über hundert Kilometer vom Fuß des Pavonis Mons entfernt. Der Berg war so groß, daß man ihn aus der Nähe nur noch ausschnittsweise sehen konnte. Nur aus dieser Entfernung hatten sie ihn komplett im Blickfeld.

Wie die Vulkane, die die hawaiianischen Inseln gebildet haben, sind die Riesen der Tharsis-Region Schildvulkane, deren hohe Kegel von ausgedehnten Fundamenten aus verfestigter Lava umgeben sind. Pavonis Mons war der mittlere von drei solchen Vulkanen und lag der Kuppelbasis der Forscher am nächsten. Die anderen beiden befanden sich weit jenseits des Horizonts. Noch weiter entfernt lag der größte und höchste Vulkan im ganzen Sonnensystem: Olympus Mons.

Verglichen mit dem mächtigen Olymp, ist Pavonis Mons nur ein Mittelgewicht. Er hat einen Basisdurchmesser von kaum vierhundert Kilometern und ist damit ungefähr so groß wie Ohio. Sein Gipfel erhob sich nur knappe sechzehn Kilometer über die Hochebene, auf welcher der Rover stand. Den Gipfel selbst bildete ein Krater, eine Caldera, die kaum groß genug ist, um Delhi oder Kalkutta in sich aufzunehmen.

Trotz der Ausmaße des Berges wirkten seine Hänge jedoch täuschend sanft, ganz anders als jene der steilen, zerklüfteten Himalaya-Berge; die Flanken von Pavonis Mons stiegen nur in einem Winkel von fünf Grad an. Sofern man ein paar Tage Zeit hatte, dachte Patel, könnte man mühelos zu Fuß zum Gipfel hinaufgehen und in diese gähnende Caldera hineinschauen. Ob der Vulkan wirklich erloschen war? Oder würde man Fumarolen sehen, die Wasserdampf oder Spuren anderer Gase abließen und damit den nächsten Ausbruch vorbereiteten? Der Himmel sah klar und wolkenlos aus. Aber was würde er vorfinden, wenn er bis zum Gipfel des Berges vordrang?

Kopfschüttelnd und den Tränen nahe sagte Patel zu Naguib: »Wenn man bedenkt, daß wir dort nur drei Tage verbringen können. Drei kurze Tage! Wir würden Monate brauchen, um uns auch nur einen groben Überblick zu verschaffen.«

Diese Exkursion zum Pavonis Mons war das erste Opfer, das Jamies Beharren auf die Rückkehr zum Grand Canyon gefordert hatte. Im ursprünglichen Missionsplan war ein einwöchiger Aufenthalt bei Pavonis vorgesehen gewesen. Dieser war nun auf drei Tage reduziert worden.

Naguib klopfte ihm väterlich auf den Rücken. »Selbst drei Jahre würden nicht reichen. Ein Mensch könnte sein ganzes Leben damit verbringen, dieses Ungetüm zu untersuchen.«

»Es ist nicht fair!« explodierte Patel und schlug mit der Faust auf die Rücklehne des leeren Fahrersitzes. »Ich bin nur aus einem einzigen Grund zum Mars geflogen, nämlich um die Tharsis-Schildvulkane zu untersuchen, und jetzt hat dieser … dieser … Emporkömmling …«

»Beruhigen Sie sich, mein Freund«, sagte Naguib. »Beruhigen Sie sich. Akzeptieren Sie, was nicht zu ändern ist.«

Patel trat abrupt zurück und ging durch das Rover-Modul bis zur Luftschleuse. Dann drehte er sich zu dem Ägypter um. Die beiden Männer standen schweigend da und sahen einander durch das lange, schmale Modul hindurch an: der schlanke Hindu mit den feuchten Augen, dessen dunkles Gesicht glänzte, als wäre es in Schweiß gebadet; der ältere, stämmigere Geophysiker mit den ergrauenden Schläfen, um dessen Mundwinkel und Augen sich tiefe Falten gegraben hatten.

»Als nächstes werden Sie mir noch erzählen, dies sei Allahs Wille«, sagte Patel.

»Ich bin Atheist«, erwiderte Naguib mit sanftem Lächeln. »Aber mir ist klar, daß unser Navajo-Freund den Sieg über die Missionsleiter davongetragen hat und daß die Amerikaner die Kontrolle über den Missionsplan an sich gerissen haben. Es gibt nichts, was wir dagegen tun können.«

Sie hörten die schweren Schritte der anderen beiden Männer, die in die Luftschleuse traten. Pateis schlanke Hände ballten sich zu Fäusten, und Naguib dachte einen Moment lang, daß er Waterman mit Freuden ermorden würde.

* * *

Während die drei Geologen auf ihrer Exkursion waren, verbrachten die drei Biologinnen ihre freie Zeit mit der Planung der bevorstehenden Reise zum Tithonium Chasma.

Sie saßen am Eßtisch, der mit Karten und von den Raumschiffen im Orbit aus aufgenommenen Fotos übersät war. Sie hatten sich Jamies Videobänder immer wieder angesehen und kannten sie mittlerweile in- und auswendig.

»Ist es wirklich denkbar, daß es sich bei der Formation um eine Art Bauwerk handelt?« fragte Monique Bonnet.

Tony Reed hatte die drei Frauen mit ihren Fotos und Karten in die Messe gehen sehen und sich zu ihnen gesetzt. »Bei Jamie ist das eine Projektion, ein wohlbekanntes psychologisches Phänomen«, tat er den Gedanken ab. »Wir sehen, was wir sehen wollen. Wir hören, was wir hören wollen. So machen Wahrsagerinnen ihr Geld — sie erzählen ihren Kunden, was diese hören wollen, ganz gleich, wie haarsträubend es ist. Etwas in Jamies Unterbewußtsein wollte Felsenbehausungen sehen — und voilà: er sah sie.«

Ilona lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie erinnerte Reed an einen gelbbraunen Jaguar, der sich auf dem Ast eines Baumes ausstreckte.

»Die Formation existiert wirklich. Sie ist kein Phantasiegebilde. Wenn wir dort sind, werden wir ja sehen, ob sie natürlich oder künstlich ist«, sagte sie. Ihre heisere Stimme klang beinahe gelangweilt. »Aber zunächst mal müssen wir festlegen, wer von uns mit Jamie auf die Exkursion geht.«