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Joanna nickte zustimmend und drehte sich dann zu Monique um.

»Ihr fahrt«, sagte die französische Geochemikerin. »Ihr beide. Ich bleibe hier und kümmere mich um die Pflanzen.«

Ilona sah sie stirnrunzelnd an.

»Willst du denn nicht mitfahren?« fragte Joanna.

Monique hob anmutig die Schultern. »Ihr seid viel erpichter darauf als ich. Und ich finde es auch sinnvoller, daß unsere Biologin und Biochemikerin daran teilnehmen.«

»Aber du gehörst auch zu unserem Biologieteam«, sagte Ilona und setzte sich aufrecht hin. »Wir werden deine Sachkenntnis bei der Untersuchung des Bodens auf dem Grund des Canyons brauchen.«

»Ihr könnt mir ja Proben mitbringen.«

»Und was ist mit Fossilien?« fragte Joanna mit besorgter Miene. »Du hast die beste paläontologische Ausbildung. Es wäre möglich, daß wir etwas übersehen.«

Monique lachte hell auf. »Wenn es da draußen irgendwelche Knochen oder Schädel gibt, findet ihr sie bestimmt ebenso leicht wie ich.«

»Und wenn es Mikrofossilien sind?« fragte Reed.

Sie wandte dem Engländer ihr lächelndes Gesicht zu. »Tony, ich habe jede Bodenprobe untersucht, die wir bisher genommen haben. Ich habe Steine zerschlagen und mikroatomdünne Scheiben unters Mikroskop gelegt. Hier gibt es keine Fossilien. Und auch keine Mikroben, weder lebendige noch längst tote.«

Reed zupfte etwas zögernd an seinem dünnen Schnurrbart. »Nun ja …«

»Aber Monique«, sagte Joanna, »angenommen, wir stoßen auf dem Grund des Canyons auf Fossilien, erkennen sie aber nicht als solche? Organismen, die auf dem Mars beheimatet sind. Woher sollen wir wissen, daß wir Fossilien vor uns haben?«

»Woher sollte ich es wissen?« erwiderte Monique. »Oder sonst jemand von uns?«

Joanna warf ihren Kolleginnen am Tisch einen unsicheren Blick zu.

Reed setzte ein breites Grinsen auf. »Ein klassisches Problem, nicht wahr? Woran erkennt man etwas, das man noch nie gesehen hat?«

Die drei Frauen hatten keine Antwort darauf.

* * *

Jamie spürte, wie die Feindseligkeit in dem engen Rover mit jedem Kilometer wuchs, den sie auf ihrem Weg zum Pavonis Mons zurücklegten.

Das Abendessen nahmen sie praktisch schweigend ein. Selbst Mironow, der normalerweise immer ein freundliches Lächeln zur Schau trug, hatte nichts zu sagen und keine Scherze auf Lager. Patel hockte wie ein nervöser Vogel gegenüber von Jamie auf dem Rand seiner Bank und vermied es, ihn anzusehen.

Naguib versuchte, die Spannung zu mildern.

»Morgen erreichen wir endlich die Bruchzone«, sagte er und tunkte die letzten Reste seiner Mahlzeit mit einem dünnen Stück Pita-Brot auf.

»Stimmt«, griff Jamie die Worte des älteren Mann dankbar auf. »Dann bekommen wir die ersten sicheren Daten über das Alter der Lavaströme.«

Patel legte seine Gabel weg. »Wir haben nur drei kurze Tage Zeit für die Arbeit, für die ursprünglich eine ganze Woche eingeplant war.«

»Ich bin bereit, in diesen drei Tagen Doppelschichten einzulegen, Rava«, sagte Jamie. »Ich weiß, wie Ihnen …«

»Gar nichts wissen Sie!« fauchte der Hindu ihn an. »Sie sind doch nur von Ihrem verrückten Wunsch erfüllt, zu dem Canyon zurückzukehren und der Held dieser Expedition zu werden.«

»Der Held?«

»Wissen Sie, wie viele Jahre ich mit dem Studium der Tharsis-Vulkane verbracht habe? Nicht drei. Nicht fünf. Nicht zehn.« Patel zitterte vor Zorn. »Fünfzehn Jahre! Seit meiner Studentenzeit in Delhi! Fünfzehn Jahre lang habe ich über Fotos dieser Schildvulkane gehockt, habe die Fernmessungen der Raumsonden studiert. Und jetzt, wo ich endlich hier bin, haben Sie meine Zeit auf drei elende Tage zusammengestrichen.«

Jamie verspürte keinen Zorn. Er wußte genau, was Patel durchmachte. Er erinnerte sich, wie es ihm gegangen war, als Wosnesenski die Untersuchung des Canyons und der Felsenbauten wegen Konoyes Tod abgebrochen hatte.

»Sie haben recht, Rava«, sagte er. Seine Stimme war tief, ruhig und unnachgiebig. »Nur drei Tage. Ich werde tun, was ich kann, damit Sie während unseres Aufenthalts bei Pavonis soviel wie möglich in Erfahrung bringen können. Aber nach drei Tagen fahren wir zurück.«

»Damit Sie zum Canyon fahren können.«

»Ja.«

»Um nach Ihren absurden Felsenbauten zu suchen.«

»Nach Leben.«

»Pah! Unsinn! Totaler Unsinn.«

»Rava, wenn es wirklich nach mir ginge, würden wir ein Jahr oder länger hier auf dem Mars bleiben. Neue Teams würden zu uns kommen. Wir würden diesen Planeten auf einer rationalen, wissenschaftlichen Basis erforschen. Aber es geht nicht nach mir. Es geht nach keinem von uns.«

»Es geht jedenfalls mehr nach Ihnen als nach mir«, murrte Patel.

Das gestand ihm Jamie mit einem kurzen Nicken zu.

»Ja, so ist es. Aber wenn Sie eines Tages zum Mars zurückkommen und sich ohne zeitliche Begrenzung mit der Erforschung dieser Vulkane beschäftigen wollen, dann müssen wir den Politikern etwas mitbringen, das sie nicht ignorieren können. Beweise für Leben können sie nicht ignorieren, Rava. Und wenn wir überhaupt irgendwo Leben finden können — oder auch nur Spuren erloschenen Lebens —, dann am ehesten auf dem Boden von Tithonium Chasma.«

»Es gibt noch andere Stellen«, sagte Naguib, »wo die Wahrscheinlichkeit ebenso groß wäre. Hellas zum Beispiel …«

»Das ist für diese Mission zu weit«, sagte Jamie. »Es liegt praktisch auf der anderen Seite des Planeten. Weiter als bis zu dem Canyon kommen wir diesmal nicht, und selbst das geht schon hart an die Grenze unserer Möglichkeiten.«

»Sie können total vernünftig sein, wenn Sie kriegen, was Sie wollen, nicht wahr?« sagte Patel.

»Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, Rava«, erwiderte Jamie. »Ich verstehe Ihre Gefühle. Ich würde genauso empfinden, wenn unsere Rollen vertauscht wären.«

»Ja, natürlich.«

Jamie schlüpfte hinter dem schmalen Tisch hervor und richtete sich zu seinen vollen Größe auf. Er blickte auf Patel herab. »Wenn man meinen Ausflug zum Canyon zugunsten eines ausgedehnten Aufenthalts bei Ihren Vulkanen gestrichen hätte, wäre ich höllisch wütend. Aber ich würde es akzeptieren und mein Bestes tun, um Ihre Exkursion zu einem echten Erfolg zu machen.«

Patel wandte sich von ihm ab.

Mironow, dessen übliches Lächeln schon längst erloschen war, sagte leise: »Ich schlage vor, daß wir dieses Thema fallenlassen. Der Missionsplan steht fest. Wir verbringen die nächsten drei Tage am Pavonis Mons und kehren dann zur Basis zurück. Keine weiteren Diskussionen.«

Jamie nickte und ging nach vorn ins Cockpit. Naguib akzeptierte den Vorschlag mit einem leichten Achselzucken. Patel verzog das Gesicht und starrte Jamie nach. Seine dunklen Augen brannten.

* * *

Als Tony Reed einzuschlafen versuchte, hörte er den Nachtwind des Mars außerhalb der Kuppel seufzen. Das Geräusch beunruhigte ihn. Ein einziger kleiner Meteoriteneinschlag, ein so winziges Staubkörnchen, daß hinterher keine Spur mehr davon zu finden gewesen war, hätte sie beinahe alle umgebracht. Oh, sollen Wosnesenski und die anderen ruhig damit prahlen, daß alle Sicherheitssysteme funktioniert haben und wir nie wirklich in Gefahr waren. Du meine Güte! Wir hätten alle ersticken können. Nein, so lange hätten wir gar nicht gelebt. Unser Blut und die anderen Körperflüssigkeiten hätten gekocht. Wir wären geplatzt wie zu rasch erhitzte Würstchen, wie angestochene Ballons.

Er erschauerte unter seiner leichten Decke.

Ich bin kein Feigling. Tony hätte es beinahe laut ausgesprochen. Er sah seinen Vater über seinem Bett stehen und mit finsterer Miene auf ihn herabschauen. Ich bin kein Feigling. Es ist nicht feige, wenn man Angst vor einer echten Gefahr hat. Wir stehen hier fortwährend am Rand des Todes. Jeder Atemzug, den wir tun, könnte unser letzter sein.