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Aber er ertappte sich dabei, wie er seinen Sitzgurt löste und unsicher zu den beiden an der offenen Luke hinüberging. Das Flugzeug bockte leicht, und Jamie packte die Stange an der Decke mit beiden Fäusten.

»Fallschirmspringerplatz.« Zawgorodny zeigte zur Luke hinaus. »Wir machen hier Übungssprünge.«

»Heute? Jetzt?«

»Ja.«

Der andere Kosmonaut hat sich einen Plastikhelm aufgesetzt.

Er schob das getönte Glasvisier über die Augen herunter, brüllte etwas auf Russisch und sprang aus dem Flugzeug.

Jamie umklammerte die Stange an der Decke noch fester.

»Sehen Sie!« brüllte Zawgorodny ihm zu und zeigte hin.

»Schauen Sie zu!«

Vorsichtig spähte Jamie durch die klaffende Luke. Der Kosmonaut fiel mit ausgebreiteten Armen und Beinen wie ein Stein in die Tiefe, schrumpfte zu einem winzigen hellbraunen Punkt vor dem dunkelbrauneren Land so tief unten.

»Ist viel Spaß«, brüllte Zawgorodny Jamie ins Ohr.

Jamie erschauerte, und das nicht nur wegen des eisigen Windes, der durch sein leichtes Hemd schnitt.

Zawgorodny drückte ihm einen Helm in die Hände. Jamie starrte ihn an. Das Plastik war zerkratzt und zerbeult, die rote und weiße Farbe fast vollständig abgewetzt.

»Ich bin noch nie gesprungen«, sagte er.

»Wissen wir.«

»Aber ich…« Er wollte sagen, daß ihm gerade die Fäden gezogen worden waren, daß man sich beim Fallschirmspringen leicht beide Beine brechen konnte, daß es ihnen nie und nimmer gelingen würde, ihn dazu zu bringen, aus diesem Flugzeug zu springen.

Doch er setzte den Helm auf und schnallte ihn unter dem Kinn fest.

»Ist leicht«, sagte Zawgorodny. »Sie haben Gymnastik gemacht. Steht in Ihrer Akte. Beugen Sie bei der Landung nur die Knie und rollen Sie sich ab. Leicht.«

Jamie zitterte. Der Helm fühlte sich an, als wöge er drei Zentner. Seine linke Hand war um die Stange über ihm geschlossen, als wäre sie bereits von der Totenstarre erfaßt. Seine rechte fummelte an den Fallschirmgurten herum und suchte blindlings nach dem D-Ring, der den Fallschirm öffnen würde.

Zawgorodny schaute jetzt sehr ernst drein. Das Flugzeug legte sich leicht in die Kurve und kippte sie zu dem gähnenden Loch in der Seitenwand des Flugzeugs. Jamie stemmte die Füße auf den Metallboden, so fest er konnte, froh, daß er wenigstens feste Stiefel angezogen hatte.

Der Russe nahm seine rechte Hand und legte sie an den DRing. Das Metall fühlte sich für Jamie so kalt an wie der Tod.

»Kein Grund für Sorge«, rief Zawgorodny. Seine Stimme wurde von Jamies Helm gedämpft. »Ich mache Aufziehleine oben fest. Öffnet Fallschirm automatisch. Kein Problem.«

»Ja.« Jamies Stimme zitterte. Seine Eingeweide kochten. Er fühlte, wie ihm der Schweiß die Rippen hinunterlief, obwohl ihm eiskalt war.

»Sie steigen aus. Sie zählen bis zwanzig. Verstanden? Wenn Fallschirm sich bis dahin nicht geöffnet hat, Sie ziehen Ring.

Verstanden?«

Jamie nickte.

»Ich springe gleich hinterher. Wenn Sie sterben, ich werde Sie begraben.« Sein Grinsen kehrte zurück. Jamie hätte sich am liebsten übergeben.

Zawgorodny warf ihm einen langen, prüfenden Blick zu.

»Sie wollen zurückgehen und hinsetzen?«

Jedes Atom in Jamies Wesen wollte darauf mit einem leidenschaftlichen ›Ja!‹ antworten. Aber er schüttelte den Kopf und machte einen zaghaften, ängstlichen Schritt zu der offenen Luke.

Der Russe langte nach oben und schob Jamie das Visier über die Augen. »Bis zwanzig zählen. Langsam. Wir sehen uns auf dem Boden, in zwei Minuten. Vielleicht drei.«

Jamie schluckte schwer und ließ sich von Zawgorodny unmittelbar an den Rand der Luke führen. Der Erdboden schien eisenhart und sehr, sehr weit weg zu sein. Sie standen nicht in der Sonne; die Tragfläche über ihnen beschattete sie, und der Propeller war zu weit vorn, als daß er eine Gefahr dargestellt hätte. Jamie nahm all das mit einem einzigen, wilden Blick in sich auf.

Ein leichter Klaps auf seine Schulter. Jamie zögerte einen Herzschlag lang und stieß sich dann mit beiden Beinen ab.

Nichts. Keine Bewegung. Kein Geräusch, außer dem Rauschen des Windes, der an ihm vorbeibrauste. Jamie hatte auf einmal das Gefühl zu träumen, einfach in der Leere zu hängen oder vielmehr zu schweben und darauf zu warten, daß er wohlbehalten und irgendwie enttäuscht im Bett aufwachte.

Das Flugzeug war irgendwo hinter und über ihm verschwunden. Der Boden lag kilometerweit unter ihm und rotierte langsam, ohne merklich näherzurücken.

Er trudelte und drehte sich träge, während er in der Luft schwebte. Es war beinahe angenehm. Fast ein Vergnügen. Einfach im Nichts hängen, losgelöst von der Welt, allein, völlig allein und frei.

Es war, als hätte er keinen Körper, gar keine physische Existenz. Nichts als der pure Geist, sauber und leicht wie die Luft selbst. Er erinnerte sich an die alten Sagen, die sein Großvater ihm erzählt hatte, die Sagen von den Navajo-Helden, die über die Regenbogenbrücke gegangen waren. Das muß genauso sein, dachte er, hoch über der Welt, schwebend, schwebend.

Wie Cojote, als er auf einem Kometen mitflog.

Mit einem Ruck, der ihm beinahe das Herz stillstehen ließ, erkannte er, daß er vergessen hatte zu zählen. Und seine Hand hatte sich von dem D-Ring gelöst. Er fummelte unbeholfen herum, sah jetzt, daß ihm der ausgedörrte, harte, trockene Boden entgegengerast kam, um ihn zu zerschmettern, zu pulverisieren, zu töten, zu töten, zu töten.

Eine gigantische Hand packte ihn und riß ihm beinahe den Kopf ab. Er drehte sich in der Luft, als überall um ihn herum neue Geräusche explodierten. Mit einem Knallen wie dem eines Segels öffnete sich sein Fallschirm und breitete sich über ihm aus, so daß Jamie in den Gurten hing und sanft dem kahlen Boden entgegenschwebte.

Das Herz hämmerte ihm in den Ohren, und dennoch war er enttäuscht. Wie ein Kind, das gerade die Schrecknisse seiner ersten Achterbahnfahrt hinter sich gebracht hatte und dann traurig ist, daß sie vorbei war.

Weit unten sah er die winzige Gestalt eines Mannes, der einen schmutzigweißen Fallschirm einsammelte.

Ich hab’s getan! dachte Jamie. Ich bin gesprungen. Er wollte einen echten indianischen Siegesschrei ausstoßen.

Aber der nüchterne Teil seines Verstandes warnte ihn: Du mußt erst noch landen, ohne dir die Knöchel zu brechen. Oder den verdammten Schnitt aufzureißen.

Der Boden raste ihm jetzt wirklich entgegen. Entspann dich.

Beuge die Knie. Laß die Beine den Stoß absorbieren.

Er schlug schwer auf, überschlug sich zweimal und spürte dann, wie der heiße Wind an seinem geblähten Fallschirm zerrte. Plötzlich war Zawgorodny neben ihm und zog an den Leinen, und der andere Kosmonaut schlang seine Arme um den Fallschirm wie ein Mann, der eine Tonne Einwickelpapier wieder in die Schachtel zu stopfen versucht.

Jamie stand mit weichen Knien auf. Sie halfen ihm, aus den Fallschirmgurten zu schlüpfen. Das Flugzeug kreiste träge über ihnen.

»Gut gemacht«, sagte Zawgorodny, der jetzt breit lächelte.

»Wie sind Sie so schnell runtergekommen?« fragte Jamie.

»In freiem Fall, an Ihnen vorbei. Haben Sie mich nicht gesehen? Ich war wie eine Rakete!«

»Juri ist nämlich Freifall-Meister«, sagte der andere Kosmonaut.

Das Flugzeug kam mit ausgefahrenen Klappen und hustenden Motoren herunter. Seine Räder setzten auf dem Boden auf und wirbelten enorme Staubwolken hoch.

»Und jetzt fliegen wir nach Muschestwo?« erkundigte sich Jamie bei Zawgorodny.

Der Russe schüttelte den Kopf. »Wir haben schon gefunden.

Muschestiwo bedeutet auf Englisch Mut. Sie haben Mut, James Waterman. Ich bin froh.«

Jamie holte tief Luft. »Ich auch.«