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Li fühlte, wie das Gewicht von zwei Dutzend Leben auf ihm lastete. Das Gewicht von zwei Welten.

Als die letzte Untersuchung abgeschlossen war, fragte Tony Reed Yang Meilin: »Wonach suchen Sie eigentlich?«

Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. »Nach der Ursache dieser Epidemie.«

Reed hatte sich kaum aus der Ecke des Krankenreviers wegbewegt, von wo aus er ihr dabei zugesehen hatte, wie sie alle Personen in der Kuppel untersuchte. Jetzt hob er verwirrt die Schultern.

»Wosnesenski meint, es könnte an dem marsianischen Staub liegen, den wir einatmen«, sagte er.

Yangs Mandelaugen betrachteten ihn unverwandt unter ihren glatten Ponyfransen hervor. »Glauben Sie das?«

»Nein. Wir haben die Luft hier in der Kuppel getestet. Sie ist bei weitem sauberer als die Luft in London.«

Sie stand von dem Stuhl auf, eine kleine Chinesin mit unscheinbarer Figur und einem alles andere als einprägsamen runden, ausdruckslosen Gesicht – bis auf diese Augen. Reed fand, daß sie ihn anklagend ansahen. Warum auch nicht?

Warum sollte sie mir nicht die Schuld an dieser Katastrophe geben? Es ist meine Schuld. Ich bin dafür verantwortlich. Man hat mich hierhergebracht, damit ich die Gesundheit dieser Männer und Frauen schütze. Ein toller Beschützer!

»Nun«, fragte er, »was meinen Sie?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sämtliche Daten der Tests, die wir eben durchgeführt haben, werden gerade vom medizinischen Computer an Bord der Mars 2 analysiert.

Bevor dessen Ergebnisse nicht vorliegen, kann ich nichts weiter sagen.«

Reed gab einen erbitterten Seufzer von sich. »Es wird nichts bringen, wissen Sie. Als die anderen diese Krankheit bekamen, habe ich als erstes alle medizinischen Unterlagen durch das Computerdiagnoseprogramm laufen lassen. Es hat nur Unsinn ausgespuckt.«

»Vielleicht jetzt, mit mehr Daten…«

»Ich bezweifle es. Der Computer kann einem nur sagen, was er bereits weiß, und wir haben es hier mit etwas Neuem und noch nie Dagewesenem zu tun.«

»Vielleicht auch nicht. Es könnte etwas ganz Normales, aber Unerwartetes sein. Das ist die große Stärke des Computers: Seine Wahrnehmung ist nicht von menschlichen Erwartungen oder Gefühlen getrübt. Er analysiert alle Symptome und gibt an, welche Krankheitsbilder zu den Daten passen.«

»Ja«, sagte Reed verächtlich. Er spürte, wie Zorn in ihm aufwallte. »Ich werde Ihnen sagen, was der verdammte Computer uns geben wird. Er wird erklären, daß es sich bei der Krankheit um eine Variante der Grippe handeln könnte – was sie nicht ist, weil wir keine Grippeviren in den Blutproben gefunden haben; oder um Malaria – was lächerlich ist, weil der nächste Moskito zweihundert Millionen Kilometer von hier entfernt ist; oder um Strahlenverseuchung – was es nicht sein kann, weil die Dosimeter zeigen, daß die Strahlenbelastung jedes Mitglieds des Teams sich durchaus innerhalb der Toleranzgrenzen bewegt; oder um Vitaminmangel – was absurd ist, weil ich darauf achte, daß jeder seine verdammten Vitaminpräparate einnimmt.«

»Vielleicht ein Slow Virus?« sagte Yang. »Vielleicht eine Infektion wie die Legionärskrankheit?«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, fauchte Reed. »Die Symptome passen nicht dazu.«

Die chinesische Ärztin murmelte etwas, aber so leise, daß Reed es nicht verstehen konnte. Ohne sie zu beachten, fuhr er fort: »Die wundervolle Computeranalyse wird auch eine Salmonellose, Tuberkulose oder Typhus als Möglichkeit anbieten

– mit abnehmender Wahrscheinlichkeit natürlich.«

Er hielt atemlos inne. In ihm brodelte ein Zorn, von dessen Existenz er noch gar nichts bemerkt hatte.

»Warum sind Sie wütend auf mich?« fragte Yang. Ihre ausdruckslose Maske war verschwunden. Sie sah schockiert und verletzt aus.

Tony starrte sie an. Seine Eingeweide zuckten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er holte tief Luft und trat dann an seinen Schreibtisch zurück.

»Tut mir leid. Entschuldigen Sie. Es ist nicht Ihre Schuld. Ich glaube, ich bin eigentlich auf mich selbst wütend. Diese Sache

– ich kann ums Verrecken nicht herausfinden, was es ist!« Er schlug mit der Faust auf die dünne Tischplatte.

»Deshalb brauchen wir die Hilfe des Computerprogramms.«

Reed warf ihr ein zynisches Lächeln zu.

»Nicht, damit es uns sagt, um was für eine Krankheit es sich handeln könnte«, erklärte Yang, »sondern um alle Krankheiten auszuschließen, die garantiert nicht in Frage kommen.«

»Ich glaube, daß er nicht einmal das kann.«

Yang versuchte zu lächeln. »War es nicht einer Ihrer englischen Schriftsteller, der gesagt hat, wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß das, was übrigbleibt – ganz gleich, wie unwahrscheinlich es einem erscheinen mag –, die Wahrheit sein?«

Reed sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Arthur C. Clarke?«

So höflich sie konnte, erwiderte Yang: »Ich glaube, es war Conan Doyle.«

ERDE

KALININGRAD: In einem fensterlosen Konferenzraum im Komplex des Kontrollzentrums diskutierten zwanzig Männer und Frauen aus sechs Nationen das Problem aus, das sich ihnen über eine Entfernung von fast zweihundert Millionen Kilometern hinweg stellte.

Der rechteckige Konferenztisch war mit vollgekritzeltem Papier, vertrockneten Sandwichresten, Schaubildern und Diagrammen, Styroporbechern und Aschenbechern voller glimmender Zigarettenstummel übersät. Manche der um den Tisch Versammelten hockten krumm und unglücklich da, den Kopf in die Hände gestützt; sie hatten längst ihre Jacketts ausgezogen und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Andere schlenderten in dem stickigen, verräucherten Raum ziellos auf und ab.

Sie hatten sich schon längst heiser geschrien, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

Am Kopfende des Tisches saß der Chef des Kontrollzentrums, ein hagerer, rothaariger Russe mit einem finsteren Spitzbart und roten Augenbrauen, die wie Spitzgiebel aussahen. Er tippte mit einem langen Fingernagel auf das Holzimitat der Tischplatte. In dem erschöpften Schweigen im Raum drehten sich alle Köpfe abrupt zu ihm.

»Wir können nicht einfach hier herumsitzen, ohne eine Entscheidung zu treffen. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel.

Der Erfolg der gesamten Mission steht auf dem Spiel!«

Eine der Frauen, eine Schwedin, hüstelte leicht, räusperte sich und sagte dann: »Unsere Alternativen sind klar. Entweder wir lassen das Exkursionsteam sterben, oder wir gehen das Risiko ein, daß noch mehr Mitglieder der Expedition bei einem Rettungsversuch ums Leben kommen.«

»Wir können sie doch nicht einfach sterben lassen!« sagte eine andere Frau.

»Aber ein Rettungsversuch könnte fehlschlagen, und dann gibt es noch mehr Töte«, konterte ein Japaner.

»Die Hälfte aller Reporter der Welt klopft an unsere Türen«, bemerkte jemand verdrießlich. »Wir müssen irgend etwas unternehmen, und zwar sofort!«

»Wir hätten die Exkursion in den Canyon niemals genehmigen dürfen«, beklagte sich ein Franzose. »Nicht bei der allerersten Mission. In unserem ursprünglichen Plan war sie nicht vorgesehen. Wir haben uns dem offenen politischen Druck der Amerikaner gebeugt. Das hat uns in diese Bredouille gebracht.«

»Aber Brumados Tochter gehört zu den Gestrandeten. Wir können sie doch nicht aufgeben! Wer wird vor ihn hintreten und ihm sagen, daß wir beschlossen haben, seine Tochter sterben zu lassen?«

»Ich bin davon überzeugt«, sagte ein pausbäckiger Russe mit schütterem Haar, »daß wir nur eins tun können, nämlich die Leute in der Kuppel sofort heraufholen, sie in den Schiffen in der Umlaufbahn in Sicherheit bringen und dann den letzten Lander in den Canyon hinunterschicken, um die vier im Rover zu holen.«