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»Und die Expedition zwei Wochen früher abbrechen, als es der Plan vorsieht?«

»Der Plan?« rief ein Amerikaner. »Der Plan? Wen, zum Teufel, interessiert schon der verdammte Plan? Wir reden hier über Menschenleben!«

Der oberste Flugleiter preßte die Hände zusammen, fast so, als würde er beten. »Ich fürchte, Ihr Vorschlag ist das einzig Vernünftige, was wir tun können. Obwohl er mit hohem Risiko behaftet ist.«

»Das bedeutet, daß die Leute im Rover mindestens noch zwei Tage warten müssen, bis der Lander zu ihnen geschickt werden kann.«

»Ich bezweifle, daß wir innerhalb von nur zwei Tagen die Operationen in der Kuppel abschließen und all diese Leute samt ihrer Ausrüstung und ihren Proben heraufholen können.

Der Plan sieht eine volle Woche für die Stillegung der Kuppel vor.«

»Das ist ein Notfall! Lassen Sie die Ausrüstung und die Proben dort, wo sie sind. Holen Sie die Leute herauf und beginnen Sie mit der Rettungsaktion, um Himmels willen!«

»Alles dortlassen?«

»Wir können es bei der nächsten Mission abholen.«

»Es wird keine nächste Mission geben. Nicht, wenn wir diese abbrechen und wie Diebe in der Nacht vom Mars fliehen müssen.«

»Das ist die dümmste Metapher, die ich je gehört habe!«

»Nur weil Sie eine Frau sind, gibt Ihnen das noch lange nicht das Recht…«

» Ruhe! « brüllte der oberste Flugleiter. »Ich werde nicht dulden, daß wir uns wie Kinder auf dem Schulhof zanken. Wir brechen die Mission ab. Wir holen die Leute in der Kuppel so schnell wie möglich herauf und schicken dann den letzten Lander in den Canyon, um das Exkursionsteam aufzulesen.

Wer offiziell gegen diese Entscheidung stimmen will, soll seine Hand heben. Jetzt sofort.«

Keine einzige Hand ging hoch.

»Und wir sind uns ebenfalls einig«, fügte der oberste Flugleiter hinzu, »daß kein Mitglied der Expedition zur Erde zurückkehren darf, bis dieses medizinische Problem gelöst ist – sofern das überhaupt jemals gelingt. Sie werden in der Erdumlaufbahn unter Quarantäne gestellt.«

»Wenn sie so weit kommen«, flüsterte jemand hörbar.

WASHINGTON: Edith sah Albertos Miene an, daß etwas Schlimmes passiert war.

»Was ist los?« fragte sie.

Sie saßen in der Küche des Hauses in Georgetown und waren gerade dabei, zu frühstücken, bevor sie zum Capitol Hill aufbrachen. Brumado hatte einen Termin vor einem Unterausschuß des Kongresses, der Anhörungen über das Raumfahrtbudget im nächsten Haushaltsjahr durchführte. Von der Küche ging der Blick in einen hübschen Garten, der von einer roten Ziegelmauer eingefaßt war. Die meisten Blumen waren so spät im Sommer schon verwelkt, nur das unverwüstliche kleine Springkraut säumte den gebogenen Ziegelweg mit rosa-weißen Blüten, die in der sanften Morgenbrise nickten.

»Was ist?« wiederholte Edith.

Brumado stand am Telefon beim Spülbecken. Sein Gesicht war aschfahl. »Meine Tochter… das Exkursionsteam… sie sind im Canyon gestrandet. Ihr Rover-Fahrzeug ist steckengeblieben.«

Edith hatte ihr Frühstück auf der Stelle vergessen. Sie stand von dem Glastisch auf. »Sie haben doch den Ersatzrover, oder?

Damit können sie sie abholen…«

Aber Brumado schüttelte den Kopf. »Sie sind krank. Das gesamte Bodenteam. Etwas hat sie alle sehr krank gemacht und stark geschwächt.«

»Jamie auch?«

»Ja. Ihn auch.«

Edith merkte, daß sie auf einmal keine Luft mehr bekam. Sie schluckte schwer, dann fragte sie: »Was wird man unternehmen?«

»Die NASA hat angeboten, mich nach Houston zu fliegen, zum dortigen Kontrollzentrum.«

»Aber was ist mit Jamie und Ihrer Tochter?«

»Ich muß vor dem Unterausschuß aussagen«, murmelte Brumado geistesabwesend, als hätte er einen Schock. »Sie haben mich gebeten, nichts darüber verlauten zu lassen. Noch nicht.«

»Aber Jamie?«

Er schien erst jetzt zu bemerken, daß sie vor ihm stand.

»Edith, du mußt mir dein Wort geben, daß du deinem Network nichts davon sagst.«

»He, ich habe kein Network mehr. Ich bin arbeitslos, erinnerst du dich? Aber was ist mit Jamie? Ist er…«

»Ich weiß es nicht!« fauchte Brumado. Edith sah, daß er um seine Selbstbeherrschung rang. Sie sah Tränen in seinen Augenwinkeln schimmern.

»Vielleicht solltest du den Auftritt vor dem Unterausschuß absagen«, schlug sie vor.

»Nein«, sagte er sanfter. »Nein, das geht nicht. Es würde Verdacht erregen.«

»Himmel noch mal, du könntest eine Erkältung haben!«

»Und dann nach Houston fliegen?« Er lächelte humorlos.

»Die Hälfte der Mitglieder des Unterausschusses säße in der nächsten Maschine. Oder zumindest ihre Berater.«

»Ja, kann sein«, gab Edith zu.

»Versprichst du mir, daß du niemanden anrufst und die Geschichte nicht veröffentlichst?«

»Kann ich mit dir nach Houston fliegen?«

»Ja. Natürlich.«

»Okay.«

»Du versprichst mir, daß du mit niemandem in dieser Sache Kontakt aufnimmst, während ich heute vormittag aussage?«

»Wir haben eine Abmachung, oder nicht?«

Aber Edith dachte: In Houston kann ich sehen, wie schlimm es wirklich ist, wie übel die Lage ist, in die sie Jamie gebracht haben. Ein Augenzeugenbericht über Alberto Brumado, der zusieht, wie das Team auf dem Mars seine Tochter zu retten versucht, die tausend Kilometer von ihrer Basis entfernt festsitzt. Und krank ist. Das würde mir alle Türen öffnen.

Woran sind sie erkrankt? Was ist mit ihnen passiert? Mit Jamie?

Sie beschloß insgeheim, das Schweigen nur solange zu wahren, bis sie sicher war, daß man für Jamie und die anderen alles tat, was man konnte. Ich muß herausfinden, wie sie in dieses Schlamassel hineingeraten sind. In dem Moment, in dem ich herausfinde, wer daran schuld ist, sind alle Abmachungen ungültig.

Das könnte eine noch größere Story sein als die vom Leben auf dem Mars: vier kranke Forscher, die tausend Kilometer vom sicheren Zufluchtsort entfernt in der Falle sitzen. Das ist eine echte Story! Man muß kein Wissenschaftler sein, um das aufregend zu finden.

SOL 58

ABEND

Tony Reed lächelte bitter, als die Liste mit den Analyseresultaten des medizinischen Programms über den Bildschirm lief.

»Genau, wie ich Ihnen gesagt habe«, erklärte er Dr. Yang.

»Die blöde Maschine hat uns nichts Neues mitzuteilen.«

Yang Meilin saß neben ihm am Schreibtisch im Krankenrevier und betrachtete die kurze Liste, wie eine Frau, die sich in der Wüste verirrt hat, den Horizont nach einer Oase absuchen würde.

»Die Antwort ist hier«, sagte sie kaum laut genug, daß Reed es hörte. »Ich bin sicher.«

Der Zorn, den Tony zuvor verspürt hatte, war jetzt verflogen. Yang würde ihn nicht ausbooten. Sie war ebenso verwirrt und frustriert wie er. Sie tat ihm beinahe leid. Sie taten ihm alle beide leid. Die beiden großen medizinischen Experten, dachte er, die sich ratlos am Kopf kratzen wie zwei Schimpansen. Spricht Bände für die Arbeit der Auswahlkommission, nicht wahr?

»Ich habe das Gefühl«, sagte Yang und preßte eine Hand flach auf ihren Bauch, »daß wir die Antwort gesehen haben, sie aber noch nicht erkennen.«

Reed gab einen dünnen Seufzer von sich. »Gefühle sind eine Sache«, sagte er beinahe sanft. »Was wir brauchen, sind Tatsachen.«

»Die einzige klare Tatsache, die wir haben«, sagte sie, »ist, daß jeder hier auf dem Mars krank ist, nur Sie nicht.«

Tony verspürte ein leises Schuldgefühl. »Ja. Das ist das Verwirrende an der ganzen Sache, nicht wahr?«

»Was tun Sie, was die anderen nicht tun?«

Er schüttelte den Kopf. »Absolut nichts, soviel ich weiß. Ich atme dieselbe Luft, ich esse mit ihnen…«