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»Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte Yang ohne weitere Einleitung.

Wosnesenski drehte sich auf seinem Stuhl um, wollte sich hochstemmen, gab es dann auf und blieb einfach sitzen. Er sah die chinesische Ärztin an. Ihre Gesichter waren beinahe auf gleicher Höhe.

»Sie müssen alle sofort anfangen, große Dosen Vitamine einzunehmen.«

»Vitamine?« sagte Wosnesenski dumpf. »Aber wir nehmen doch Vitamine. Wir nehmen sie regelmäßig, jeden Tag.«

»Sie sind verdorben«, sagte Yang.

Wosnesenskis Blick wanderte zu Reed.

»Es stimmt, Mikhail Andrejewitsch«, sagte Tony. »Sie sind nach dem Meteoriteneinschlag in Sauerstoff gebadet worden.

Sie sind praktisch nutzlos.«

»Aber was hat das mit…?«

»Skorbut«, sagte Yang.

»Skorbut?«

»Richtig«, bestätigte Reed. »Ihr habt alle Skorbut bekommen, weil ihr zu wenig Vitamin C zu euch genommen habt.«

Und das ist meine Schuld, fügte er stumm hinzu. Weil ich in Panik geraten bin. Weil ich die Wahrheit nicht sehen wollte.

Ich bin ein Mörder. Das bin ich.

SOL 39

MORGEN

»Vitaminmangel?«

Das Wort weckte Jamie. Er hatte traumlos geschlafen, als Connors’ Stimme, hoch und schrill, zu seinem Bewußtsein durchdrang.

Jamie befreite sich aus der dünnen Decke, schlüpfte aus seiner Koje und tappte auf Strümpfen nach vorn zum Cockpit. Es war eisig kalt im Rover. Connors sprach mit Wosnesenski. Beide Männer sahen völlig entkräftet aus, aber das Gesicht des Russen auf dem Bildschirm war zu einem merkwürdigen Grinsen verzogen.

»Wir haben Skorbut«, sagte Wosnesenski, fast so, als wäre es ein Scherz.

»Skorbut?«

»Es steht fest. Yangs Tests sind während der Nacht analysiert worden. Unsere Vitaminpillen waren vergiftet – nein, das ist nicht das richtige Wort. Das Vitamin C in den Pillen ist deaktiviert worden, weil es nach dem Meteoriteneinschlag reinem Sauerstoff ausgesetzt war. Wir haben nicht mehr genug Vitamin C zu uns genommen. Deshalb haben wir jetzt alle Skorbut bekommen.«

Jamie sank auf den rechten Sitz. »Sie meinen, wie Seeleute in alter Zeit, die zu lange auf See waren?«

»Deshalb nennt man die Briten ›Limeys‹«, sagte Connors, dessen Stimme immer noch ungläubig klang. »Weil sie Limonen und anderes frisches Obst an Bord ihrer Schiffe mitführten, als sie rausgefunden hatten, wodurch Skorbut verursacht wurde.«

»Skorbut«, murmelte Jamie. »Skorbut!«

»Doktor Yang zufolge wird es etliche Tage dauern, bis’ die Symptome wieder verschwinden«, sagte Wosnesenski.

»Und was ist mit uns?« fragte Connors.

Das Grinsen des Russen erlosch so abrupt wie ein Licht. »Bis jetzt hat Kaliningrad einen Rettungsflug aus dem Orbit verboten. Sie müssen erst eine Entscheidung treffen.«

»Wir sitzen hier fest, bis die zu einem Entschluß gekommen sind?« sagte Connors, als wäre das gleichbedeutend mit einem Todesurteil.

»Und unsere Krankheit wird schlimmer werden, nicht besser. Wir können uns jetzt schon kaum noch auf den Beinen halten«, sagte Jamie.

»Da wäre der Ersatzrover«, sagte Wosnesenski.

»Aber wer soll ihn fahren?« fragte Connors. »Ihr seid alle, genauso krank wie wir.«

»Ich.«

»Das geht nicht«, sagte Jamie. »Es ist zu riskant. Sie sind zu krank.«

Wosnesenskis Grinsen erschien wieder, wenn auch schwächer. »Ich fahre den Rover. Ich werde kiloweise Vitaminkapseln schlucken. In weniger als sechsunddreißig Stunden bin ich in eurer Nähe.«

Trotz seiner Erschöpfung begriff Jamie, warum Mikhail lächelte. »Iwschenko und Zieman sind jetzt in der Kuppel. Sie nehmen sie mit. Die beiden sind gesund.«

Der Russe neigte bejahend den Kopf. »Ja, ich nehme Iwschenko mit. Wir kommen euch zu Hilfe wie die Kavallerie in euren Western.«

Wosnesenski hatte seine Entscheidung erst getroffen, als er ihre Gesichter sah. Das von Connors sah ausgezehrt aus, wie das eines Sterbenden. Watermans breite Wangenknochen sprangen hervor, seine Gesichtshaut war straff gespannt, seine Augen waren rot und total wässrig.

Es gibt keine andere Möglichkeit, sagte sich Wosnesenski.

Ich fahre mit dem Rover zu ihnen und hole sie zur Kuppel zurück. Ich nehme einen Vitaminvorrat und Nahrungsmittel für sie mit. Iwschenko fährt mit, Zieman bleibt hier. Das ist alles durch die Missionsvorschriften abgedeckt; es werden keine Sicherheitsmaßnahmen verletzt.

Nachdem er sich entschieden hatte, rief er Dr. Li oben in der Mars 2 an und teilte ihm mit, was er zu tun gedachte.

Li machte ein überraschtes Gesicht. »Sie sind nicht in der Verfassung für eine solche Exkursion.«

»Iwschenko schon«, sagte Wosnesenski störrisch. »Und ich bin durchaus fähig, in einem Sitz zu hocken und das Fahrzeug zu lenken. Wir koppeln die mittlere Sektion ab und nehmen nur das Kommandomodul und das Logistikmodul mit. Ich werde die ganze Zeit Verbindung zu Doktor Yang und Doktor Reed halten und alle Medikamente einnehmen, die sie mir verschreiben.«

»Kaliningrad wird die Genehmigung verweigern«, sagte Lis Bild auf dem Monitor. »Sie sind zu dem Schluß gekommen, daß ihr acht in der Kuppel wichtiger seid als die vier im Rover.«

»Die vier im Rover haben die Proben der marsianischen Organismen bei sich«, betonte Wosnesenski.

Li schüttelte den Kopf. »Man hat beschlossen, zuerst die Besatzung in der Kuppel zu evakuieren und dann zu sehen, ob es möglich ist, das Exkursionsteam noch zu retten.«

»Wenn das so ist«, sagte Wosnesneski, »fahre ich ohne die Genehmigung aus Kaliningrad. Und auch ohne Ihre.«

Lis Augen wurden groß. »Ist Ihnen klar, was Sie da sagen?«

Wosnesenski spürte, wie die ganze Kraft von Mütterchen Rußland durch seine Adern strömte und ihn stärkte. »Natürlich, Doktor Li. Aber Ihnen muß doch auch klar sein, was Sie sagen. Als Expeditionskommandant tragen Sie eine schwere Verantwortung, eine so schwere, daß ich sie nicht würde tragen wollen. Aber ich würde niemals zulassen, daß Kaliningrad oder Gott der Allmächtige vier meiner Kameraden abschreibt.«

»Die Sicherheit Ihrer verbliebenen Teammitglieder ist im Moment am wichtigsten.«

»Ja, vielleicht. Ich bin nur der Leiter dieses Bodenteams. Ich muß mir keine Gedanken um Flugkontrolleure oder die über ihnen stehenden Politiker machen. Ich bin für die Männer und Frauen hier auf dem Mars verantwortlich. Für sie alle, einschließlich der vier Gestrandeten da draußen im Canyon.«

»Sie würden Ihr eigenes Leben und das derjenigen aufs Spiel setzen, die Sie mitnehmen«, sagte Li.

»Iwschenko wird sich mit Freuden freiwillig melden, Doktor.

Dafür werde ich schon sorgen, keine Angst. Wir werden alle Sicherheitsvorschriften genauestens beachten.«

»Ich kann Ihnen jetzt nicht die Genehmigung dazu erteilen!«

»Ja, ich verstehe. Das ist Ihre Pflicht. Aber ich habe eine Verpflichtung meinen Kameraden gegenüber.«

»Besprechen wir das mit Kaliningrad.«

Wosnesenski hätte beinahe gelacht. »Bis die Flugkontrolleure die Sache ausdiskutiert haben, sind wir alle reif für die Pension – oder für unsere Beerdigung. Nein, das muß jetzt geschehen, nicht erst in zwei Tagen.«

Li fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Auf dem Kommunikationsbildschirm sah er für Wosnesenski auf einmal wie ein erschrockenes Kaninchen aus, das ihn anstarrte, bereit, sich mit ein paar Sätzen in Sicherheit zu bringen. Die beiden Männer sahen einander eine Weile wortlos an.

Schließlich sagte Li: »Viel Glück.«

Wosnesenski versammelte die elf Männer und Frauen in der Messe und gab seine Entscheidung bekannt.

»Iwschenko und ich fahren mit dem zweiten Rover zum Canyon und holen Watermans Team zurück. Wir werden drei Tage fort sein – höchstens vier.«