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Reed schaute auf einmal äußerst unbehaglich drein. Wosnesenski zuckte die Achseln und kam langsam auf die Beine, wobei er sich schwer auf die Metallstreben der oberen Liege stützte.

»Sie sollten versuchen zu schlafen«, sagte er.

»Ja«, pflichtete Reed ihm rasch bei. »Ruhen Sie sich aus. Sie haben es verdient.«

»Dimitri steht mit Connors und den Frauen in Verbindung.

Sobald die Sonne aufgeht, fahre ich an dem Kabel zu ihrem Fahrzeug hinüber und helfe ihnen in die Anzüge. Dann holen wir sie mit der Winde zu uns herüber.«

Jamie nickte. Seine Augen schlossen sich bereits.

»Gut«, sagte er. »Gut.«

Sein letzter bewußter Gedanke war, daß Reed ein Held wider Willen zu sein schien. Gott weiß, womit Mikhail ihm gedroht hat. Aber Tony ist über seinen Schatten gesprungen. Das ist das Entscheidende. Tony ist über seinen Schatten gesprungen, als es darauf ankam.

Der oberste Flugleiter saß in seinem Büro in Kaliningrad hinter dem Schreibtisch. Nur der Chef des britischen Kontingents war bei ihm. Draußen vor dem einzigen Fenster des Zimmers fiel ein kalter, trüber Regen, der erste Vorbote des Herbstes und des grimmigen Winters.

Der in die vertäfelte Wand eingebaute Bildschirm hatte sich gerade abgeschaltet. Während der letzten fünfzehn Minuten hatten die beiden Männer sich das Band mit dem letzten Bericht von Dr. Li angesehen und angehört. Der Expeditionskommandant hatte ein vorbereitetes Manuskript verlesen; sein Gesicht war dabei eine unbewegte Maske geblieben, die keine wie auch immer gearteten Gefühlsregungen preisgab.

Nun war der Bildschirm leer. Lis Band war zu Ende. Der Schnee draußen dämpfte die üblichen Geräusche von der Stra

ße. Im Büro herrschte absolute Stille.

Der oberste Flugleiter zupfte geistesabwesend an seinem ungepflegten Spitzbart. »Nun«, sagte er auf englisch, »was denken Sie?«

Der Chef des britischen Teams im Marsprojekt war ein schottischer Ingenieur, der aus dem Technikerteam zum Administrator aufgestiegen war. Er war ein zierlicher Mann mit ergrauendem dunklem Haar, dessen Augen selbst dann listig dreinschauten, wenn er sich im privaten Kreis entspannte.

»Das ist ein schwerer Schlag«, sagte er. »Der Arzt hätte die Symptome früher erkennen und Maßnahmen ergreifen müssen, um das Problem zu beseitigen.«

»Er hat die Lösung ja schließlich noch gefunden«, entgegnete der oberste Flugleiter.

»Ja, aber er war nahe daran, sie alle umzubringen.«

»Wie können wir verhindern, daß die Medien von der Sache Wind bekommen?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte der Schotte rundheraus.

»Nicht, wenn Brumado in Houston mit all diesen Reportern spricht.«

»Dann werden wir Brumado diese Information vorenthalten müssen.«

»Wollen Sie das ganze Team wirklich für den Rest der Mission von der Außenwelt abschotten? Seien Sie vernünftig, Mann. Das geht nicht.«

Der oberste Flugleiter schüttelte den Kopf. »Wir würden sie alle für den Rest ihres Lebens zum Schweigen verdonnern müssen, nicht wahr?« Er vergrub seine Finger wieder in dem mißhandelten Spitzbart.

»Ich weiß, was Sie denken. Es ist eine Sache, wenn die Politiker unter vier Augen davon erfahren. Wir können ihnen alles vernünftig erklären und ihnen einsichtig machen, daß es ein unvermeidlicher Unfall war. Aber wenn die Medien sich der Geschichte bemächtigen und sie in die Welt hinausposaunen, müssen die Politiker darauf reagieren, was die Medien sagen, nicht darauf, was wir ihnen erzählen.«

»Genau. Das wird das Ende des Marsprojekts sein. Es wird keine Nachfolgemission geben.«

»Ein haariges Problem.«

Der oberste Flugleiter starrte aus dem Fenster auf den fallenden Schnee. »Schade, daß wir sie nicht einfach alle auf dem Mars lassen können.«

Der Schotte lächelte grimmig.

Als Jamie erwachte, war es vollständig hell. Iwschenko war vorn im Cockpit; Wosnesenski hatte bereits den Anzug angelegt und war durch die Luftschleuse hinausgegangen, um mit Hilfe der Winde über den trügerischen Sandsee zu dem steckengebliebenen Rover hinüberzufahren. Es war das rauhe Summen des Windenmotors, das Jamie aufgeweckt hatte.

Als Reed merkte, daß Jamie wach war, brachte er ihm sofort eine Schale mit warmem Frühstück. Neben einem Plastikbecher Orangensaft lagen sechs Gelatinekapseln.

»Reeds Genesungsrezept«, sagte der Engländer, als Jamie ihn fragend ansah. »Genug Vitamine, um ein Pferd in die Umlaufbahn zu schicken.«

Jamie fühlte sich immer noch schwach und hatte nach wie vor Schmerzen, aber es ging ihm schon besser als am Tag zuvor. Ihm wurde bewußt, daß es nicht seine körperlichen Symptome waren, die sich gebessert hatten; vielmehr war die schreckliche Furcht verschwunden, die sich in seinem Innern aufgestaut hatte. Der Körper wird gesund werden, sobald der Geist zu der Überzeugung gekommen ist, daß Heilung möglich ist. Das wirkliche Leiden ist immer im Geist.

Er holte tief Luft. Die Schmerzen in seiner Brust waren verschwunden. Der Aufruhr in seinem Innern hatte sich ebenfalls gelegt. Alles sah anders aus, klarer als jemals zuvor. Als ob er die Welt durch einen Schleier betrachtet hätte. Bis jetzt.

Zum ersten Mal in seinem Leben empfand Jamie eine innere Gelassenheit, eine Gewißheit. Er fühlte sich so sicher und stabil wie die alten Berge. Das ist es, wovon Großvater Al mir erzählt hat. Ich habe mein Gleichgewicht gefunden, meinen Platz in der Ordnung der Dinge. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Ich weiß, wo ich hingehöre. Was ich dort draußen in der Dunkelheit durchgemacht habe, hat alles verändert. Sobald man den Tod akzeptiert, kann einem nichts mehr etwas anhaben. Ich kann jetzt mit allem fertigwerden. Mit allem. Er lächelte insgeheim. Diesmal nicht, Lebensnehmer. Noch nicht.

»Ich möchte mich noch mal bei Ihnen bedanken, Tony…«

Reeds Augenbrauen zogen sich zusammen. »Das haben Sie schon zur Genüge getan. Ich würde es vorziehen, wenn Sie das Thema fallenließen, sofern es Ihnen nichts ausmacht.«

Jamie setzte sich auf und nahm das Tablett aus Reeds Händen entgegen. »Wo ist Mikhail?« fragte er.

»Weg, um Ihren gestrandeten Kameraden zu helfen.«

»Allein? Ist er kräftig genug?«

»Er hat sieben Stunden durchgeschlafen«, sagte Reed. »Heute morgen geht es ihm schon viel besser. Die Vitamine tun ihre Wirkung bei ihm.«

Iwschenko rief aus dem Cockpit zu ihnen nach hinten: »Mikhail ist drüben beim anderen Rover angekommen. Er hilft Connors in den Anzug.«

»Dann steige ich lieber mal in meinen«, murmelte Reed. »Ich habe den Auftrag, unsere Gäste an der Luftschleuse zu empfangen.«

»Ich helfe Ihnen«, sagte Jamie.

»Sie bleiben liegen«, sagte Reed fest. »Sie haben genug getan.

Den Rest erledigen wir.«

Reed ging nach hinten zur Luftschleuse. Jamie verschlang die aus Konzentrat zubereiteten Eier, trank den Zitronentee aus und ging dann nach vorn. Iwschenko grinste ihn an, als er gebückt ins Cockpit trat. Das linke Bein des Kosmonauten war von einem starren Plastikgips umhüllt, der ungelenk abstand.

Jamie achtete darauf, daß er nicht dagegenstieß, als er auf den linken Sitz glitt.

Durch die gewölbte Kanzel sah Jamie das Windenseil, das sich straff zu dem steckengebliebenen Rover jenseits des im Staub begrabenen Kraters spannte.

»Connors hat schon den Anzug an«, meldete Iwschenko.

»Was ist mit Joanna und Ilona?« fragte Jamie, während er sich eine Kopfhörergarnitur aufsetzte.

»Doktor Malater ist offenbar so krank, daß sie nicht ohne fremde Hilfe von ihrer Liege aufstehen kann. Doktor Brumado scheint es ein bißchen besser zu gehen, aber nicht viel.«

»Vielleicht sollte ich wieder zurückgehen und ihnen helfen.«

»Sie bleiben hier«, sagte Iwschenko fest. »Mikhail Andrejewitsch hat strikte Anweisungen gegeben. Er macht das schon.«

Jamie verspürte ein Gefühl zwischen Frustration und Schuldbewußtsein und merkte, wie sein Körper sich verspannte. Er wollte helfen, wollte aktiv sein und nicht wie ein Zuschauer herumsitzen. Aber eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm: Du bist nicht in der Verfassung, wieder hinauszugehen. Du hast dein Teil getan. Du kannst nicht alles tun. Laß die anderen helfen. Die Spannung löste sich.