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»Diese Informationen sind doch in der Datenbank, oder nicht?« fragte Hoffmann.

Er war ungefähr so alt und so groß wie Jamie, wirkte aber dünn und beinahe schwächlich, während Jamie kräftig und gedrungen war. Hoffmann hatte runde Schultern und ein rundes Gesicht. Sein Haar wurde bereits grau und war so kurz geschnitten, daß es dicht am Schädel anlag. Sein Gesicht war der Inbegriff finster brütenden Mißtrauens – kleine, zusammengekniffene Augen und schmale, fest zusammengepreßte Lippen.

Wenn man ihm ein Monokel aufsetzen würde, dachte Jamie, dann sähe er wie ein alter Nazi-General aus.

»Ja, im Computer ist eine vollständige Datei von meinen Exkursionen auf den Gletscher«, erwiderte Jamie gelassen. »Aber wenn man erst mal da draußen auf dem Eis ist, verlieren die Computerdaten viel von ihrer Bedeutung. Nicht mal die Satellitenbilder sind da draußen noch eine große Hilfe.«

»Ich habe schon Arbeit im Gelände gemacht«, sagte Hoffmann steif. »Ich bin im Schatten der Alpen geboren. Das ist mir alles keineswegs neu.«

»Wie Sie meinen«, sagte Jamie. Er wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie.«

»Wozu?«

Hoffmann stand mitten im Zimmer. Seine Finger trommelten ungeduldig an die Seiten seiner schweren Wollhose, ohne daß er es merkte.

»Sagen Sie«, sein Ton war nicht mehr ganz so scharf, »wie kommt Doktor Li darauf, daß ich einen Assistenten brauche?«

»Es ist nicht…«

Hoffmann ließ Jamie nicht aussprechen. »Sie hatten keinen Assistenten. Keiner der anderen Geologen hat Assistenten. Ist Li etwa der Meinung, daß ich unfähig bin? Glaubt er, ich schaffe es nicht allein? Will er mich auf diese Art dezent loswerden?«

Jamie merkte, wie ihm das Kinn herunterfiel. Hoffmann war ebenso besorgt und ängstlich wie er. Hinter der spröden Fassade steckte ein Mann, der genau wie Jamie Angst davor hatte, auf der Strecke zu bleiben.

Mist! knurrte Jamie in sich hinein. Es wäre so viel einfacher, wenn ich den Kerl hassen könnte.

4

Nach dem Mittagessen und der kurzen Einführungsansprache des Kommandanten der Basis verbrachte Jamie den Rest des Tages damit, alle Neuankömmlinge einzeln zu begrüßen und ihnen zu erklären, daß er dazu da sei, ihnen auf Wunsch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Er fühlte sich unwohl und kam sich eher wie ein unerwünschter und nicht benötigter Gehilfe als wie ein geschätzter Verbündeter vor, dem man vertraute.

Sein Inneres war in Aufruhr wegen Hoffmann. Gehe eine Meile in den Mokassins des anderen, dachte er. Klar. Tolle Idee. Kein Wunder, daß die Indianer von den Weißen überrannt worden waren.

Nach seinen Gesprächen mit den ersten drei Neuankömmlingen hatte Jamie eine kleine Rede fertig, die rasch und mit einem Minimum an Peinlichkeit erklärte, warum er in der Basis geblieben war und was er ihnen anbot. Die Reaktionen der Neuankömmlinge variierten von Hoffmanns Angst, für unzulänglich gehalten zu werden, bis zu Tony Reeds zynischem, wissendem Lächeln.

»Ist die kleine Joanna darüber im Bild, daß Sie ihren persönlichen Begleiter spielen sollen?« fragte Reed.

»Ich glaube nicht, daß jemand es ihr mitgeteilt hat«, erwiderte Jamie.

Reeds schiefes Grinsen wurde beinahe höhnisch. »Sie müßte ja ein Dummkopf sein, wenn sie nicht von selbst darauf käme.«

»Mag sein«, sagte Jamie.

Er hatte sich Joanna bis zuletzt aufgehoben, und jetzt, wo er so frustriert und erschöpft war wie in dem Winter, als er mit dem Fahrrad durch sein Viertel in Berkeley gefahren war und versucht hatte, Zeitschriftenabonnements zu verkaufen, klopfte er an die Tür ihres Zimmers.

Sie öffnete die Tür, blickte zu ihm auf und lächelte.

»Kommen Sie herein«, sagte Joanna Brumado mit ihrer Kleinmädchenstimme. »Setzen Sie sich.«

Sie hatte immer noch den Sweater und die Jeans an, in denen sie angekommen war. Ihr Zimmer war ordentlich aufgeräumt, geleerte Koffer stapelten sich in der gegenüberliegenden Ecke, der Kleidersack hing hinter der Tür. Ihr Laptop stand offen auf dem Schreibtisch, aber der Bildschirm war dunkel und stumm.

An den Wänden hingen keine Bilder, und es waren keine persönlichen Dinge zu sehen.

Jamie nahm auf dem Stuhl Platz, der neben dem Bett stand.

»Wie ich schon allen anderen erzählt habe«, begann Jamie,

»hat Doktor Li mich gebeten, hier in McMurdo zu bleiben, um Ihnen und dem Rest Ihrer Gruppe zu helfen, die sechs Wochen hier möglichst leicht und gewinnbringend zu überstehen.«

Joanna ging zum Schreibtisch, setzte sich auf den Stuhl dahinter und verwandelte den Schreibtisch auf diese Weise in eine schützende Barriere.

Mit völlig ernster Miene sagte sie: »Wir können ehrlich zueinander sein, James.«

»Jamie.«

Ihre Lippen verzogen sich nicht zu einem Lächeln. Ihre leuchtenden dunklen Augen schauten düster drein. »Sie sind hier, um dafür zu sorgen, daß ich diesen Teil des Trainings durchstehe. Sie sind dageblieben, weil ich Alberto Brumados Tochter bin, und aus keinem anderen Grund.«

Na, ein Dummkopf ist sie also nicht, sagte sich Jamie. Sie gibt sich keinen Illusionen hin. Macht sich nichts vor.

»Doktor Li hat mich gebeten zu bleiben«, sagte er.

»Meinetwegen.«

»Es war seine erste große Entscheidung als Expeditionskommandant.«

Ihre Augen ließen seine nicht los. »Und was ist mit Ihrem Training? Ihre eigene Gruppe macht doch mit dem regulären Programm weiter, nicht wahr?«

»Sie gehen nach Utah, ja.«

»Und Sie?«

Jamie zwang sich, die Schultern zu heben. »Ich habe den Sommer meistens in New Mexico verbracht. Vielleicht meint Doktor Li, daß ich nicht noch mehr Zeit in der Wüste brauche.«

Joanna schüttelte den Kopf. »Er hat Sie gebeten, hierzubleiben? Er selbst? Persönlich?«

»Ja.«

»Und Sie haben sich einverstanden erklärt?«

»Was hatte ich denn für eine Wahl? Hätte ich Li sagen sollen, daß ich mich weigere, seiner ersten größeren Entscheidung zu gehorchen? Wie sähe das in meiner Akte aus?«

Sie biß sich auf die Unterlippe. »Ja, er hat Ihnen eigentlich gar keine Wahl gelassen, nicht wahr?«

»Nun, ich bin hier und Sie sind hier, also sollten wir versuchen, das Beste daraus zu machen.«

»Aber Sie verwirken Ihre Chance, bei der Mission mit dabei zu sein, und das nur meinetwegen.«

»Ich glaube, das ist schon entschieden«, sagte Jamie, überrascht von der unüberhörbaren Bitterkeit in seinem Ton.

»Ich könnte meinen Vater anrufen«, sagte Joanna zögernd.

Sie wandte den Blick ab. »Ich könnte ihm sagen, was Doktor Li Ihnen angetan hat.«

Jamie versuchte, hinter ihre Worte vorzudringen, zu verstehen, was in ihr brodelte. Sie war nicht wütend, aber etwas strahlte von dieser elfenhaften Frau aus, die dort hinter dem Schreibtisch saß. War es Angst? Verbitterung? Oder auch Ärger über die Ungerechtigkeit?