Nachdem sie mit dem Entladen des zweiten L/AV fertig gewesen waren, hatte Jamie über eine Stunde seiner freien Zeit damit verbracht, ein paar beschwichtigende Zeilen für Houston abzufassen. Er hatte sich so genau an Lis Worte gehalten, wie er sie in Erinnerung hatte: »Ich wurde von Gefühlen überwältigt, als ich den Boden des Mars betrat, und verfiel in die Sprache meiner Vorfahren.« Das müßte die blöden Hurensöhne zufriedenstellen, dachte er, als er seine Entschuldigung zu dem über ihnen kreisenden Raumschiff hinaufschickte.
Jetzt saß er an dem improvisierten Eßtisch, flankiert von Seiji Toshima auf der einen und Tony Reed auf der anderen Seite.
»Ich habe mich gefragt, weshalb die Japaner nicht schon im ersten Team vertreten waren«, sinnierte Reed, während er in seinen vorgekochten Rindfleischstreifen herumstocherte.
»Schließlich wären wir ohne Japans Geld und Elektronik nie im Leben hierher gekommen.«
Toshima blickte von seinem Reis mit Fisch auf und sah den Engländer an. »Diese Entscheidungen sind von den Politikern getroffen worden. Japan ist nicht so stolz; ein Unterschied von einem Tag macht nichts aus. Es genügt uns, daß wir an dieser Expedition beteiligt sind.«
Reed zwinkerte Jamie zu und zog Toshima weiter auf: »Ja, aber immerhin – selbst Israel und Brasilien waren vor Japan vertreten.«
»Und sogar England«, sagte Toshima dünn.
»Ja, aber England vertritt die Europäische Gemeinschaft«, konterte Reed.
Toshima verbeugte sich leicht.
»Und dann sind da natürlich auch noch die Navajo-Indianer«, fuhr Reed liebenswürdig fort.
Jamie legte seine Plastikgabel hin. »Tony, Sie wissen so gut wie jeder andere hier, daß die endgültigen Entscheidungen darüber, wer an Bord welches Schiffes gehen sollte, die Reihenfolge der Landungen festgelegt haben. Warum reiten Sie darauf herum?«
»In der Tat«, sagte Toshima, »es reicht uns, daß wir hier sind, ganz gleich, in welcher Stunde jeder von uns den ersten Stiefelabdruck im Boden hinterlassen hat.«
Reed nickte gnädig und strich die störrische sandfarbene Locke zurück, die ihm in die Stirn fiel. »Ich akzeptiere Ihre überlegene Weisheit. Entschuldigen Sie bitte meine englische Spiegelfechterei.«
Er knüpfte ein Gespräch mit dem Nachbarn zu seiner Linken an, und Toshima begann eine Unterhaltung mit dem ägyptischen Geophysiker zu seiner Rechten, so daß Jamie allein übrigblieb. Er wünschte, auf der Mikrowellenschale vor ihm läge ein Burrito oder auch nur ein Supermarkt-Taco. Seit seiner Abreise aus Houston vor über zehn Monaten hatte er nichts Anständiges mehr zu essen bekommen. Die Ernährungsspezialisten, von denen der Speiseplan für diese Expedition stammte, hatten großes Augenmerk auf die unterschiedlichen nationalen Geschmäcker der Marsforscher gelegt – jedenfalls ihrer Ansicht nach. Jamie aß ihre Version der italienischen Mahlzeiten, die für Pater DiNardo zubereitet worden waren: Sojabohnen-Paste, die sich bemühte, wie Kalbsschnitzel auszusehen; Spaghetti, die es wundersamerweise schafften, trocken und matschig zugleich zu sein. Und es schmeckte alles so fade! Di
Nardos verdammte Gallenblasenprobleme hatten Gewürze offenbar ausgeschlossen. Das kommt davon, wenn man den Platz eines anderen einnimmt, sagte sich Jamie. Iß DiNardos Mahlzeiten und sei dankbar, daß du an seiner Stelle hier bist.
Er warf einen Blick zu den drei Frauen hinüber, die sich miteinander unterhielten. Ilonas patrizisches Gesicht war lebendig, sie lächelte beim Sprechen und gestikulierte wie wild mit den Händen. Die kleine Joanna schaute beinahe ernst drein, als hörte sie schlechte Neuigkeiten. Die andere Frau, Monique Bonnet, nickte im Rhythmus zu Ilonas Gesten.
Monique Bonnet war sehr klein, sogar noch kleiner als Joanna, aber so plump wie eine provenzalische Matrone. Sie war älter als die anderen beiden, ihr dichtes dunkles Haar war grau gesprenkelt, und sie hatte Lachfalten in den Augenwinkeln. Ihr Gesicht war rund, und in den geröteten Wangen zeigten sich Grübchen, wenn sie lächelte. Sie muß eine Schönheit gewesen sein, als sie jünger war, dachte Jamie. Und dünner.
Nach den Missionsvorschriften war Alkohol streng verboten.
Daher hatte natürlich jedes männliche und weibliche Mitglied der Expedition ein oder zwei Flaschen unter seinen persönlichen Sachen an Bord geschmuggelt. Nur Jamie, der erst in letzter Minute ins Team gekommen und unerwartet von seiner Unterkunft in Houston zum Startzentrum in Florida geflogen worden war, hatte nicht mehr die Zeit gehabt, auch nur eine Dose Bier zu kaufen, zu leihen oder zu stehlen.
Wosnesenski klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch, so daß dieser gefährlich klapperte.
»Ich möchte klarstellen«, sagte er beinahe knurrend, »daß dies der letzte Anlaß ist, bei dem Alkohol geduldet wird.«
Stöhnen und Murren am Tisch.
»Wir haben viel Arbeit zu erledigen und nur wenig Zeit. Alkohol ist strikt verboten; er könnte ein Sicherheitsrisiko darstellen.«
Wosnesenski gab einfach nur die Missionsvorschriften wieder, aber keiner war sonderlich begeistert darüber.
»Da dies jedoch der erste Abend ist, an dem wir alle zwölf auf dem Mars sind«, sagte er und stand auf, »möchte ich einen Toast ausbringen.«
Seufzer der Erleichterung und grinsende Gesichter am Tisch.
Sieben Männer und die drei Frauen hoben Gläser mit Whiskey, Wodka, Brandy, Wein und Sake hoch. Jamie hob sein Glas Wasser und stellte fest, daß das Zeug in Wosnesenskis Glas –
was immer es sein mochte – ebenfalls klar war.
»Wir haben eine schwierige Zeit hinter uns«, sagte Wosnesenksi. Seine grobes Gesicht war völlig ernst. Mit einem Blick zu Ilona Malater fuhr er fort: »In den neun Monaten an Bord des Raumschiffes haben sich gewisse Spannungen, gewisse Probleme aufgebaut.«
»Wenigstens ist niemand schwanger geworden«, flüsterte Tony Reed laut genug, um ein paar Lacher zu ernten.
Wosnesenski funkelte ihn an. »Morgen beginnt unsere eigentliche Arbeit: die Eroberung des Mars.«
Eroberung? Vor Jamies geistigem Auge blitzten Bilder von der Eroberung Amerikas durch den weißen Mann auf. Dazu sind wir nicht hier. Niemand wird den Mars erobern.
»Die nächsten sieben Wochen werden eine harte Prüfung für uns sein«, fuhr Wosnesenski fort. »Täuschen Sie sich da nicht.
Jeder von uns wird bis an seine Grenzen belastet werden. Die Männer wie die Frauen. Der Mars wird für uns alle ein Test sein.«
»Unsere Arme werden müde, Mikhail Andrejewitsch«, witzelte Mironow grinsend. »Ist das ein Toast oder eine Ansprache?«
Wosnesenski lächelte nicht. Mit vollkommen ernster Miene hob er sein Glas noch höher und sagte: »Möge jeder von uns auf dem Mars das finden, was er sucht.«
»So wasche Sdarowje!« rief Mironow aus.
»Sdarowje«, erwiderte Wosnesenski.
Sie tranken alle. Jamies Wasser schmeckte schal und steril.
»Ich frage mich nur, was ein jeder von uns sucht«, rief Tony Reed an seinem Ende des Tisches.
»Gute Frage«, sagte Abell, der amerikanische Astronaut, mit einem Grinsen, das sein Gesicht vom Kinn bis zum Haaransatz in Falten legte. Er erinnerte Jamie an einen Frosch: vorquellende Augen, runde Wangen und ein breiter, grinsender Schlitz von einem Mund.
»Ich zum Beispiel würde gern ein paar hübsche Marsfrauen finden, die seit tausend Jahren oder so keinen Mann mehr gehabt haben.«
Ein paar tolerante Gluckser von den Wissenschaftlern. Ilona warf ihm einen glutvollen Blick zu.
»Nein, im Ernst«, sagte Reed. »Ich wüßte wirklich gern, was jeder von uns auf dem Mars zu finden hofft.«
Tony nimmt seine Aufgabe als Teampsychologe zu ernst, grummelte Jamie in sich hinein.
»Ich persönlich wünsche mir nur«, sagte Wosnesenski und legte sich eine Hand mit Wurstfingern an die breite Brust,