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Brumado schob seinen Stuhl zurück und stand langsam auf.

Seine Tochter zeigte immer noch nichts als Verachtung für den schluchzenden Mann, der zusammengekrümmt am Kopfende des Tisches saß. Die Mission ist gerettet, dachte Brumado. Das ist das Wichtigste. Die Mission wird trotz dieses armen Teufels weitergehen.

5

Es war noch dunkel, als das Telefon Jamie weckte. Er kämpfte sich aus einem Traum empor, in dem Menschen aus uralter Zeit einen Turm auf dem windgepeitschten Hochplateau einer kahlen, graslosen Mesa bauten. Die Ziegel schmolzen immer wieder in der heißen Sonne, und der Turm wurde nie höher, als er selbst mit der Hand greifen konnte.

Das Telefon läutete beharrlich. Jamie schlug die Augen auf, entsann sich, daß er wieder in seiner eigenen Wohnung war –

allein –, und tastete nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Die Digitaluhr zeigte sechs Uhr sechsundzwanzig. Durch die heruntergezogenen Jalousien des Schlafzimmerfensters war keine Spur vom Sonnenaufgang zu sehen.

»Doktor Waterman?« fragte eine Männerstimme knapp.

»Richtig.«

»Dies ist eine offizielle Nachricht aus Kaliningrad. Ich bin Jegorow, Personalabteilung.«

»Ja?« Jamie war auf der Stelle hellwach.

»Sie sollen sich um acht Uhr Ortszeit im Johnson Space Center melden und Ihre Reisebefehle abholen. Sie werden unverzüglich zum Kennedy Space Center in Florida gebracht. Dort besteigen Sie die Raumfähre und fliegen zur orbitalen Montageeinrichtung hinauf.«

»Sie meinen, ich fliege zum Mars?« rief Jamie ins Telefon.

»O ja. Haben Sie das nicht gewußt? Sie sind zum Geologen des ersten Landeteams ernannt worden. Viel Glück.«

Jamies erster Impuls war, einen ohrenbetäubenden Kriegsschrei auszustoßen. Statt dessen sagte er nur: »Danke.«

Er legte auf. Mit einemmal fühlte er sich innerlich hohl und leer, als wäre er endlich durch eine Tür gebrochen, die ihm verschlossen gewesen war, und hätte festgestellt, daß dahinter nichts als leere Luft lag.

Er stieg aus dem Bett, duschte, rasierte sich, packte erneut seine vielbenutzte Reisetasche und fuhr zum Zentrum hinaus.

Im Reisebüro wartete natürlich ein Team grinsender Männer und Frauen auf ihn.

»In einer halben Stunde steht eine Maschine für Sie auf dem Rollfeld bereit.«

»Was ist mit meinem Auto?« Jamie stellte plötzlich fest, daß er keine Vorsorge für den Wagen, die Wohnung, die Möbel getroffen hatte. Absurderweise fragte er sich, was er mit seinen Zeitschriften- und Zeitungsabonnements machen sollte.

»Wir kümmern uns um alle Einzelheiten. Unterschreiben Sie nur diese Formulare.«

Jamie kritzelte seinen Namen hin, ohne die Formulare zu lesen. Scheiß drauf, dachte er. Sie können den Wagen und alles andere haben. Werde ich auf dem Mars nicht brauchen!

Sie fuhren ihn zum Rollfeld. Sämtliche Mitarbeiter im Raum quetschten sich in einen grauen Station Wagon der Agentur und drückten sich an Jamie, weil sie dem Mann, der zum Mars fliegen würde, so nahe wie möglich sein wollten. Jamie hatte nichts gegen ihre Nähe, er war dankbar, daß er chauffiert wurde; er hätte sich nicht zugetraut, selber zu fahren. Allmählich packte ihn die Erregung. Der Mars. Geologe des ersten Landeteams. Der Mars.

Edith stand in Jeans und einem leichten Pullover am Eingang des Hangars. Offenkundig nicht ihre Arbeitskleidung. Er schämte sich auf einmal, daß er sie nicht angerufen hatte.

»Wie hast du’s erfahren?« fragte er, die Reisetasche in einer Hand.

Sie grinste zu ihm hinauf. »Ich habe meine Quellen. Ich bin bei den Nachrichten, weißt du.«

»Ich…« Jamie wußte nicht, was er sagen sollte. Die Mitarbeiter, die ihn hergefahren hatten, die Flughafenmechaniker – zu viele Menschen beobachteten ihn.

Ediths Grinsen wurde wehmütig. »Tja, wir haben gewußt, daß es nicht für immer sein würde. Es war aber schön mit dir.«

»Du bist der wichtigste Mensch auf der Welt für mich, Edith.«

»Aber nur auf dieser Welt. Jetzt mußt du an eine andere denken.«

»Ja.« Er lachte. Er fühlte sich unsicher und ganz schwach.

Sie schlang ihm die Arme um den Hals und gab ihm einen dicken Kuß. »Viel Glück, Jamie. Ich wünsche dir alles Gute in beiden Welten.«

Ihm fiel nichts anderes ein als: »Ich komme zurück.«

»Aber sicher«, antwortete sie.

SOL 3

VORMITTAG

»Heute ist der große Tag, hm?«

Obwohl Pete Connors Düsenjägerpilot war und als Astronaut über zwanzig Shuttle-Einsätze vorzuweisen hatte, erinnerte er Jamie an einen Highschool-Footballspieler Sekunden vor dem Kickoff. Seine dunklen braunen Augen, die normalerweise besorgt dreinblickten, zeigten jetzt eine Erregung, die die meisten Menschen nach ihrer Jugendzeit verlieren, eine kaum zu bändigende Abenteuerlust.

Connors, Jamie und die meisten anderen zogen sich für ihren ersten Tag richtiger wissenschaftlicher Arbeit auf dem Mars an. Heller Sonnenschein fiel durch den transparenten, doppelwandigen Kunststoff im unteren Teil der aufgeblasenen Kuppel herein; die Wettervorhersage versprach einen typischen Spätsommertag: klarer Himmel, leichter Wind, hohe Temperatur, die nach nächtlichen minus achtzig Grad Celsius bis auf rund minus fünfzehn Grad ansteigen würde.

»Der große Tag«, pflichtete ihm Jamie bei und zerrte an der himmelblauen Hose seines Raumanzugs.

Ihre Kleidung bestand aus mehreren Schichten. Zuerst kam der enganliegende Unteranzug, der von dünnen, biegsamen Wasserschläuchen durchzogen war. Das Wasser führte die Körperwärme ab und sorgte dafür, daß die Temperatur in dem stark isolierten Raumanzug für den Träger akzeptabel blieb. Als nächstes kam ein Stoff-Overall und dann der harte Anzug selbst, der so konstruiert war, daß in seinem Innern ein normaler erdähnlicher Luftdruck von etwa neunhundert Millibar herrschte, selbst wenn sich nichts als reines Vakuum au

ßerhalb seiner Metall- und Kunststoffhülle befand.

Man lehnte sich an einen Spind und zog sich mühsam die Hose des harten Anzugs über die Hüften. Das Oberteil ruhte auf einem Gestell, so daß man geduckt daruntertreten und die Arme in die Ärmel stecken konnte, während man gleichzeitig den Kopf durch den glänzenden Metallring des Halsverschlusses steckte. Wenn man den Anzug erst einmal angelegt hatte, war es praktisch unmöglich, sich zu bücken und die Stiefel anzuziehen. Die Forscher kleideten sich immer paarweise an und halfen einander mit den Stiefeln und den Tornistern, die den Luftaufbereiter, die Heizung sowie die Batterien, Pumpen und das Gebläse des Lebenserhaltungssystems enthielten.

Als Jamie auf der Erde zum ersten Mal versucht hatte, einen harten Anzug anzulegen, hatte er mehr als eine Stunde dafür gebraucht, und es war ihm wie eine besonders ausgeklügelte Kombination von Folter und Demütigung erschienen. Als er es zum ersten Mal bei marsianischer Schwerkraft versucht hatte, während ihr Raumschiff sich im Anflug auf den roten Planeten befand, war es viel leichter gewesen. Jetzt jedoch gewöhnte er sich allmählich an die geringe Marsschwerkraft, und es wurde wieder eine schwierige Aufgabe, in den Anzug zu steigen.

Acht Mitglieder des Teams bereiteten sich darauf vor, die Kuppel zu verlassen. Sie zwängten sich in ihre Anzüge wie eine nicht ganz vollständige Football-Mannschaft, die ihre Polster und Trikots anzog. Oder wie Ritter, die ihre Rüstung anlegten. Jamie fragte sich, ob König Artus’ Männer gemurrt und geflucht hatten, wenn sie sich rüsteten.

Der Ankleidebereich bestand aus einer Reihe von Gestellen und Spinden, an und in denen die Anzüge untergebracht waren, mit zwei langen Plastikbänken davor. Die Bänke waren für die Marsschwerkraft gebaut und sahen für Jamie zu dünn aus, als daß man sich gefahrlos daraufsetzen konnte; ihre zierlichen Beine standen zu weit auseinander.