Die anderen hatten in rund hundert Metern Umkreis um den Stein herum keine weiteren grünen Stellen entdeckt. Der Boden war jetzt kreuz und quer mit den Abdrücken ihrer dicksohligen Stiefel überzogen, bis auf einen sakrosankten halben Meter um den Stein herum. Niemand hatte sich näher herangewagt, aus Angst, einen entscheidenden Hinweis zu beschädigen oder zu vernichten.
Wosnesenski blieb stehen und beugte sich ein wenig vor, die Hände in den Hüften, als wollte er dem Stein huldigen. In seinem knallroten Anzug sah er für Jamie wie eine dicke, bucklige Paprikaschote aus.
Joanna nahm die Sache in die Hand. »Fassen Sie den Stein nicht an. Bevor wir irgend etwas unternehmen, brauche ich Bodenproben aus dem Erdreich unmittelbar um den Stein herum und unter ihm.«
»Das kann ich mit dem Kernbohrer machen«, sagte Jamie und griff nach dem Werkzeug an seinem Gürtel. »Den kann man an der Stange befestigen, so daß wir Proben aus bis zu fünf Meter Tiefe kriegen können.«
»Gut«, sagte Joanna.
»Damit könnten wir auch feststellen, ob es im Boden Permafrost gibt, nicht?« fragte Ilona. Zum ersten Mal seit der Landung klang ihre Stimme erregt.
Er nickte; dann wurde ihm klar, daß niemand die Geste durch sein getöntes Visier sehen konnte, und er fügte hinzu:
»Ja, das stimmt.«
»Pete«, befahl Wosnesenski, »bringen Sie die Videokamera her. Wir müssen das aufzeichnen.«
»In Ordnung«, sagte der Astronaut und ging zur Kamera zurück, die er auf ihrem Stativ stehenlassen hatte.
»Der Film in meinem Apparat ist fast zu Ende«, sagte Toshima. »Ich werde jetzt die letzten paar Bilder machen und dann einen neuen einlegen.«
»Nein!« fauchte Naguib. »Gehen Sie nicht das Risiko ein, daß hochenergetische Strahlung den Film zerstört. Hier, nehmen Sie meinen Apparat. Es ist noch ein kompletter Film drin.«
»Danke«, sagte Toshima.
Connors kam wieder ins Blickfeld gestapft. Die Videokamera baumelte von einer behandschuhten Hand. Als Wosnesenski sich überzeugt hatte, daß Kameramann und Fotograf soweit waren, befahl er: »Fahren Sie fort.«
Aber niemand rührte sich, bis Joanna sagte: »Ich möchte vier Proben, eine von jeder Seite des Steins, so tief, wie es geht.«
Dann setzte sie hinzu: »Bitte.«
Jamie lehnte sich auf die Stange, und der Kernbohrer grub sich in den Boden. Die ersten paar Zentimeter überwand er mit Leichtigkeit, aber dann wurde es schwierig. Jamie drückte mit aller Kraft, bis ihm der Schweiß ausbrach.
»Das ist so was wie Ortstein«, grunzte er.
»Oder Permafrost?« schlug Ilona hoffnungsvoll vor.
Jamie zog die Stange heraus und überließ es Patel, dem zweiten Geologen, den Mechanismus zu bedienen, der die dünne Säule aus rotem Staub aus den scharfen Zähnen des Kernbohrers löste und behutsam in einem von Joannas Probenbehältern verstaute. Patel arbeitete langsam und vorsichtig, damit der bröckelige Zylinder nicht zerfiel.
Jamie bemerkte, daß die Säule gestreift war. Verschiedene Rottöne. Fluviale Ablagerungen, vermutete er. Hier mußte es einmal ein Meer gegeben haben. Oder zumindest einen großen See.
Vier Proben von den Seiten des Steines. Jamie mußte beim Graben mehrmals innehalten, damit das Gebläse den Nebel beseitigen konnte, der sich in seinem Helm gebildet hatte.
Trotz seiner Bemühungen unternahm weder Patel noch einer der anderen auch nur den leisesten Versuch, ihm zu helfen.
Statt dessen betrachteten sie eingehend die Proben und entwickelten spontane Theorien, um ihr Aussehen zu erklären.
Sie sind alle so gebannt von dem Geschehen, daß sie nicht einmal auf die Idee kommen, mir zu helfen, sagte er sich. Au
ßerdem haben sie einen Indianer, der die Schwerarbeit macht.
Warum sollten sie sich damit abgeben?
»Dann wollen wir mal«, sagte Joanna, nachdem vier Proben in dem ersten Behälter lagen. Sie sank langsam auf die Knie und beugte sich über den Stein.
Jamie kniete sich neben sie. »Du wirst Hilfe brauchen, um ihn hochzuheben…«
»Nein!« fuhr sie ihn an. »Das schaffe ich allein. Wir sind schließlich auf dem Mars.«
Jamie errötete vor Wut und kam sich dann töricht vor. Sie hat recht. Der verdammte Stein wiegt hier nur ein paar Kilo.
Und sie wird nicht zulassen, daß jemand außer ihr ihn anfaßt.
Toshima machte ein Foto nach dem anderen, und Connors rückte den Stein groß ins Bild, als Joanna die Hände ausstreckte und ihn an beiden Enden packte, ohne den grünen Fleck an der Seite zu berühren. Sie hob den Stein hoch und legte ihn so behutsam in den anderen silbernen Probenbehälter wie eine Mutter, die ihren neugeborenen Säugling in die Krippe bettet.
Jamie musterte den Boden unter dem Stein aufmerksam.
Vom Gewicht des Steins geplättet und geglättet, aber ansonsten nicht anders als das übrige Erdreich. Was hast du denn gedacht, was darunter ist, fragte er sich. Eine zusammengerollte marsianische Klapperschlange?
»Wenn du jetzt bitte eine Kernprobe von dem Boden unter dem Stein nehmen würdest«, sagte Joanna ungerührt, während sie den Deckel ihres Probenbehälters schloß.
»Wie tief?«
»So tief, wie es geht«, sagte sie. »Wenn du so freundlich wärst.«
Jamie tat es. Während sie alle stumm zuschauten, trieb er die Stange so tief wie möglich hinein. Behutsam und vorsichtig holte er die Kernprobe herauf…
»Schaut!« rief Monique Bonnet.
»Was?«
»Was ist?«
»Ich dachte…« Sie rang beinahe nach Luft. »Als du die Stange herausgezogen hast, war mir, als hätte ich gesehen, wie das Sonnenlicht von… von etwas reflektiert worden ist.«
»Von etwas?«
»Wovon?«
»Waren es Wassertropfen?« fragte Ilona.
»Vielleicht«, sagte Monique. »Ich weiß es nicht. Es war im Nu wieder weg.«
Ilona ließ sich so schwer auf die Knie fallen, daß Jamie befürchtete, sie würde sich verletzen oder ihren Anzug zerbeulen. Sie zwängte ihre behandschuhte Hand in das Loch, das er gegraben hatte, und zog sie rasch heraus. Der Anzugärmel war mit rötlichem Staub und abbröckelnden Stücken rostfarbenen Erdreichs beschmiert.
»Schaut! Schaut!«
Ein halbes Dutzend winzige, glitzernde Tropfen waren an ihren Handschuhfingern, wie Tau auf den Blütenblättern einer Blume. Bevor einer von ihnen auch nur ein Wort sagen konnte, verschwanden die Tröpfchen; sie verdampften in der dünnen, kalten marsianischen Luft.
»Es ist Wasser!«
»Es muß Wasser sein!« sagte Monique. Ihre Stimme vibrierte vor Erregung. »Im Boden. Wasser!«
Naguib lachte wie ein Schuljunge. »Wir haben Wasser entdeckt! Das erste Wasser, das jemals auf einem extraterrestrischen Körper gefunden wurde! Es sind nur ein paar Tropfen, aber es ist Wasser! Und noch dazu flüssiges Wasser!«