ßig zur Wahl, aber das ist auch schon so gut wie alles. Ich betrachte mich als amerikanischen Bürger, genau wie Sie. Meine Vorfahren sind einerseits amerikanische Ureinwohner, andererseits Yankees aus New England – eine Mischung aus Navajos und Mayflower. Für mich ist es dasselbe, als ob all meine Vorfahren aus einem Land in Europa kämen, wie Ihre. Ich bin stolz auf meine Navajo-Herkunft, aber nicht mehr als Sie auf die Ihre, welche auch immer das sein mag.«
Jamie holte Luft und fuhr fort. »Ich spreche zu Ihnen vom Planeten Mars. Heute nachmittag haben meine Kollegen und ich hier Wasser entdeckt. Das ist viel wichtiger als meine Hautfarbe oder die Art meiner politischen Aktivitäten. Zum ersten Mal haben wir bei der Erforschung des Sonnensystems auf einer anderen Welt Wasser in flüssigem Zustand gefunden. Dazu sollten Sie uns befragen, nicht zu einigen wenigen Worten, die ich in einem sehr emotionalen Augenblick meines Lebens von mir gegeben habe. Alle anderen Mitglieder unseres Teams haben ihre ersten Worte auf dem Mars in ihrer Muttersprache gesprochen. Ich habe sie in meiner gesagt – die einzigen Worte Navajo, die ich kenne. Mehr ist an der Sache nicht dran. Und jetzt sollten wir mit diesem Quatsch aufhören und mit der Erforschung des Mars weitermachen.«
Er drehte sich auf seinem Stuhl zu Abell. »Das war’s.«
»Sie erwarten doch wohl nicht, daß Sie den letzten Satz senden, oder?«
»Ehrlich gesagt, ist mir das scheißegal.«
Der Astronaut schaute ein wenig besorgt drein und spielte die nächste Frage des Moderators ein.
»Nein«, sagte Jamie. »Das war’s. Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe. Schicken Sie’s rauf zu Doktor Li und nach Washington. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.«
Li Chengdu mußte unwillkürlich lächeln, als er sich das Band mit Jamies kurzem Interview ansah. Das wird den Leuten in Washington nicht gefallen, aber der junge Mann hat Courage.
Li legte die Fingerspitzen aneinander und fragte sich, wieviel Ärger er verursachen würde, wenn er sich weigerte, Waterman aus dem Bodenteam herauszunehmen. Natürlich hatte Washington diese Forderung noch nicht erhoben. Aber er zweifelte nicht daran, daß sie es tun würden, sobald sie Watermans Band sahen.
Ja, der junge Mann hat Mut, sagte sich Li. Habe ich den Mut, mich hinter ihn zu stellen und mich den Politikern zu widersetzen?
Ihr Arm reicht nicht bis zum Mars; mich könnten sie nicht auswechseln. Aber was würden sie wohl tun, wenn wir zur Erde zurückkehren? Das ist die interessante Frage. Und sie ist mehr als nur interessant. Vielleicht hängt mein Nobelpreis von dieser Sache ab. So wie die gesamte Karriere des jungen Waterman. Seine Karriere und sein Leben.
ERDE
HOUSTON: Edith hatte zwei Tage gebraucht, um eine Entscheidung zu treffen. Zwei Tage und auch ihren ganzen Mut.
Als Jamie mit seinem Navajogruß vom Mars über den Bildschirm geflimmert war, hatte sie in sich hineingelächelt. An jenem Morgen hatte sie im brechend vollen Nachrichtenraum von KHTV gestanden und keine Ahnung gehabt, was für einen Aufruhr seine wenigen Worte auslösen würden. Eine ihrer Kolleginnen stieß sie leicht an der Schulter an, als sein himmelblauer Raumanzug groß ins Bild kam.
»Das ist dein großer… na, du weißt schon, stimmt’s?« fragte die Frau im Flüsterton.
Sie nickte und dachte: Er war es. Er war es.
Überrascht sah Edith, wieviel Zeit die Network-Nachrichten an jenem Abend darauf verwendeten, daß ein amerikanischer Ureinwohner auf dem Mars war. Als sie am nächsten Morgen allein war, rief sie einige ihrer Kontaktpersonen beim Johnson Space Center an und fand heraus, daß Jamies improvisierte kleine Ansprache in den oberen Rängen der NASA beträchtliche Bestürzung ausgelöst hatte.
»Die drehen da oben total durch«, erzählte ihr einer ihrer Informanten. »Aber von mir haben Sie das nicht, ist das klar?«
Am zweiten Tag waren Gerüchte in Umlauf, denen zufolge der Space Council in Washington sich noch einmal mit der Weigerung des Indianers befaßte, den von der NASA für ihn vorbereiteten Text aufzusagen.
Die Vizepräsidentin sei empört, hieß es. Was sie tat, hatte Nachrichtenwert. Jeder wußte, daß sie nächstes Jahr die Kandidatin ihrer Partei für die Präsidentschaftswahl werden wollte.
Edith sah sich noch einmal die üblichen, langweiligen Interviews mit Jamies Eltern in Berkeley und mit nichtssagend-höflichen, ausweichenden NASA-Vertretern an. Als sie an diesem zweiten Abend ins Bett ging, überlegte sie, was sie tun sollte.
Am nächsten Morgen stand ihre Entscheidung fest. Sie rief im Sender an und erklärte ihrem sprachlosen Nachrichtenchef, sie werde den Rest der Woche freinehmen.
»Das geht nicht! Ich lasse nicht zu, daß…«
»Ich habe noch zwei Wochen Urlaub und einen Haufen Krankheitstage, die ich nicht genommen habe«, sagte Edith zuckersüß ins Telefon. »Am Montag bin ich wieder da.«
»Verdammt noch mal, Edie, die werden dich feuern! Du weißt doch, wie die da oben sind!«
Sie stieß einen Seufzer aus, den er nicht überhören konnte.
»Dann werden sie mich wohl feuern und mir meine Abfindung auszahlen müssen.«
Sie legte auf und reservierte sich dann sofort telefonisch einen Platz in einer Maschine nach New York.
Als sie in zehntausend Metern Höhe über die Appalachen hinwegflog, ging Edith im Geist noch einmal durch, was sie dem Nachrichtenchef des Network erzählen würde. Ich komme an James Watermans Eltern heran. Und an seinen Großvater. Und an die Leute, mit denen er trainiert hat und die nicht für den Flug zum Mars ausgewählt worden sind. Ich kenne seine Geschichte, und ich weiß, wie es beim Marsprojekt zugeht. Ich kann Ihnen eine Insider-Story darüber liefern, wie diese Sache läuft. Die menschliche Seite des Mars-Projekts.
Nicht bloß leuchtende Wissenschaft, sondern die internen Machtkämpfe, die Konkurrenz, die ganzen saftigen Details.
Während sie sich innerlich auf das Gespräch vorbereitete, dachte sie an Jamie. Er wird mich dafür hassen, daß ich das tue. Er wird mich wirklich hassen.
Aber es ist meine Eintrittskarte für einen Job beim Network.
Er hat den Mars. Er hat mich für den Mars sitzenlassen. Jetzt kann ich mir den Mars auf meine Weise zunutze machen, damit auch ich etwas davon habe.
DER ABFLUG
1
Die ausgewählten Teilnehmer der Marsexpedition wurden zur Montagestation hinaufgebracht, die sich in einer erdnahen Umlaufbahn knapp dreihundert Kilometer über der Erdoberfläche befand. Aus dieser Höhe war der Planet eine gewaltige, massige, unglaublich schöne Kugel, die den Himmel füllte und die Sinne mit riesigen Flächen blauer, von glänzenden weißen Wolken geschmückter Ozeane überwältigte, eine Welt voller pulsierendem Leben, die leuchtend vor der kalten schwarzen Leere des Raumes hing.
Der Mars war ein ferner, winziger Punkt in dieser Schwärze, ein lockendes, stetiges rötliches Leuchtfeuer jenseits des Welten trennenden Abgrunds.
Die Montagestation selbst – ein zusammengesetztes Habitat
– bestand aus einer russischen Mir-Station und dem general
überholten externen Treibstofftank einer amerikanischen Raumfähre, der größer war als ein Zwanzigzimmerhaus. Der Mir-Teil der Montagestation war ungefähr in der Mitte des Shuttle-Tanks an dessen langer, gekrümmter Flanke angebracht und sah aus wie eine winzige grüne Gondel an einem riesigen mattbraunen Zeppelin. Das russische Metallgebilde verfügte über drei Anlegedocks für Shuttles oder die kleineren Orbitalschlepper.
Hier würden die sechzehn ausgewählten Wissenschaftler vor ihrem Abflug zum Mars über einen Monat lang leben und arbeiten, um sich aneinander und an ihren Expeditionskommandanten, Dr. Li, zu gewöhnen. Und an die acht Astronauten und Kosmonauten, die das Marsschiff fliegen und das Kommando über die Bodenteams führen würden.