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Sie behielten jedoch alle sechs ihre Druckanzüge an und würden sie auch erst ablegen, wenn Wosnesenski entschied, daß man die Luft in der Kuppel problemlos atmen konnte. Jamies Anzug lag schwer auf seinen Schultern. Er hatte nicht mehr diesen ›Neuwagen‹-Geruch nach sauberem Plastik und unberührtem Stoff; er roch nach Schweiß und Maschinenöl.

Der Luftaufbereiter im Tornistergerät tauschte zwar Kohlendioxid gegen atembaren Sauerstoff aus, aber die Filter und Miniaturlüfter im Innern des Anzugs konnten nicht alle Gerüche entfernen, die sich bei körperlich anstrengender Arbeit ansammelten.

»Jetzt kommt der Augenblick der Wahrheit«, hörte er Ilona Malaters heisere Stimme sagen. Sie klang sexy – oder vielleicht auch nur müde.

Wosnesenski hatte die letzten paar Stunden damit verbracht, die Kuppel nach Lecks abzusuchen, den Luftdruck und die Zusammensetzung der Luft zu überprüfen und an den Lebenserhaltungspumpen und Heizgeräten herumzuwerkeln, die mitten auf dem gehärteten Kunststoffboden beisammen standen. Die anderen kamen nacheinander langsam zu ihm herüber, stapften in ihren dicken Stiefeln schwerfällig umher und warteten darauf, daß er den Befehl gab, auf den sie alle mit einer seltsamen Mischung aus Ungeduld und Furcht warteten.

Ob es ihnen paßte oder nicht, Wosnesenski war der Leiter ihres Teams, und das jahrelange Training hatte sie darauf gedrillt, die Befehle ihres Anführers ohne einen Gedanken an seine Nationalität zu befolgen. Alles, was sie auf dieser gefährlich andersartigen Welt taten, würde nach den Regeln und Vorschriften geschehen, die auf der Erde gewissenhaft ausgearbeitet worden waren. Wosnesenskis erste und wichtigste Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, daß sich hier auf dem Mars auch jeder an diese Regeln und Vorschriften hielt.

Jetzt wandte sich der Russe von den leise summenden Luftzirkulationsventilatoren und der Reihe der Sauerstoff-Reservetanks ab und sah, daß seine fünf Teammitglieder sich um ihn herum versammelt hatten. Es war schwierig, sein Gesicht hinter dem Helmvisier auszumachen, und seine Miene konnte man erst recht nicht erkennen. In seinem fast akzentfreien amerikanischen Englisch sagte er: »Die Anzeigen sind alle im normalen Bereich. Wir können unsere Anzüge offenbar gefahrlos ablegen.«

Jamie erinnerte sich an einen Physiker aus Albuquerque, der von einem Experiment, das nicht richtig geklappt hatte, enttäuscht gewesen war und ihm erklärt hatte: »In der Physik geht es letztlich nur darum, eine verdammte Anzeige an einem verdammten Meßinstrument abzulesen.«

Wosnesenski wandte sich an Connors, seinen Stellvertreter.

»Pete, der Missionsplan sieht vor, daß Sie die Luft als erster testen.«

Der Amerikaner kicherte nervös in seinem Helm. »Ja, ich bin das Versuchskaninchen, ich weiß.«

Er stieß einen übertriebenen Seufzer aus, den sie alle in ihren Kopfhörern hören konnten. »Na, dann wollen wir mal«, sagte er.

Connors öffnete sein Helmvisier einen Spaltbreit, schnüffelte, schob das Visier dann ganz hoch und sog die Luft tiefer in die Lungen. Er grinste und fletschte die Zähne. »Verdammt viel besser als das, was da draußen ist.«

Sie lachten alle, und die Spannung löste sich. Sie schoben ihre Visiere hoch, entriegelten dann die Halsverschlüsse ihrer Anzüge und nahmen gemeinsam die Helme ab. Jamies Ohren knackten, aber das war auch schon alles.

Ilona schüttelte ihre kurzgeschnittenen blonden Locken und atmete langsam ein. Ihre schmalen Nasenflügel blähten sich.

»Huh! Riecht ja wie im Trainingsmodul. Zu trocken. Schlecht für die Haut.«

Jamie schaute sich eingehend in ihrem neuen Zuhause um, nachdem sein Blickfeld nun nicht mehr durch den Helm eingeschränkt war.

Er sah die von gebogenen Metallstreben gerippte Kuppel, die sich über ihm in schattenhaftes Halbdunkel erhob, und mußte daran zurückdenken, wie er als Kind in Santa Fe zum ersten Mal in einem Planetarium gewesen war. Die gleiche gedämpfte, einschüchternde Atmosphäre. Die gleiche milde, kühle Luft. Ilona fand die Luft zu trocken; er fand sie köstlich.

Die glatte Kunststoffhaut der Kuppel war von einem polarisierenden elektrischen Strom abgedunkelt worden, damit die Wärme im Innern blieb. Bei Tageslicht würde der untere Teil der Kuppel transparent werden, um die Sonnenwärme auszunutzen, aber bei Nacht war sie ein überdimensionaler Iglu, der abgedunkelt auf der gefrorenen Marsebene stand, um die Wärme zu halten und sie nicht in die dünne, eisige Marsluft entweichen zu lassen. Längliche, sonnenlicht-äquivalente Neonlampen erhellten den Bodenraum ein wenig, aber die oberen Bereiche der Kuppel waren in der Dunkelheit, die sich dort sammelte, kaum zu sehen.

Die Kuppel hatte eine doppelwandige Kunststoffhaut, die ähnlich wie bei Isolierglasfenstern die Kälte draußen halten sollte. Der oberste Teil war undurchsichtig und mit einem speziellen, dichten Kunststoff gefüllt, der schädliche Strahlung absorbieren und den Ingenieuren zufolge sogar kleinen Meteoriten standhalten konnte. Der Gedanke, die Kuppel könnte punktiert werden, war furchteinflößend. Flicken und Klebstoff standen rundum an der Hülle bereit, aber würde die Zeit ausreichen, ein Loch zu flicken, bevor die ganze Luft ausströmte?

Jamie erinnerte sich an den uralten Witz der Fallschirmpacker:

»Keine Angst. Wenn der Fallschirm nicht funktioniert, tauschen Sie ihn einfach um.«

Der elektrische Strom, der die Kuppel heizte, kam aus dem kompakten Atomstromgenerator in einem der Frachtmodule.

Morgen, nach der Landung des zweiten Teams, würde der Roboter den Generator herausholen und ihn einen halben Kilometer von der Kuppel entfernt im Erdreich des Mars vergraben.

Erdreich ist nicht das richtige Wort, ermahnte sich Jamie.

Erdreich wimmelt von Mikroorganismen, Bodenwürmern und anderen Lebewesen. Hier auf dem Mars heißt das Regolith, genau wie der ganz und gar tote Boden auf dem ganz und gar toten Mond.

Jamie fragte sich, ob der Mars wirklich tot war. Er erinnerte sich an die Stories, die er als Junge gelesen hatte, wüste Geschichten über Marsianer, die sich in den um ihren Planeten herumlaufenden Kanälen bekriegten, hübsche Hirngespinste von schachbrettartig angelegten Städten und von Häusern, die sich drehten, um wie Blumen der Sonne zu folgen. Jamie wußte, daß es auf dem Mars keine Kanäle gab. Keine Städte. Aber war der Planet wirklich völlig leblos? Gab es nicht vielleicht doch Fossilien, nach denen man in diesem roten Sand graben konnte?

TRAINING

KASACHSTAN

Auf der Fahrt am Fluß entlang gestikulierte Juri Zawgorodny mit seiner freien Hand.

»Wie bei euch in New Mexico, nein?« fragte er in seinem stockenden Englisch.

Jamie Waterman rieb sich unbewußt die Seite. Erst gestern hatten sie die Fäden gezogen, und der Schnitt tat immer noch weh.

»New Mexico«, wiederhole Zawgorodny. »So wie hier? Ja?«

»Nein«, hätte Jamie beinahe geantwortet. Aber die Administratoren der Mission hatten sie alle ermahnt, den Russen – und allen anderen – gegenüber so diplomatisch wie möglich zu sein.

»Irgendwie schon«, murmelte Jamie.

»Ja?« fragte Zawgorodny über das Zischen des glühend hei

ßen Windes hinweg, der durch die Wagenfenster wehte.

»Ja«, sagte Jamie.

Das flache braune Land, das sich jenseits des Flusses erstreckte, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit New Mexico. Der Himmel war von einem ausgewaschenen, blassen Blau, die Wüste in jeder Richtung öde und leer. Das ist ein altes, müdes Land, sagte sich Jamie, während er die Augen gegen den ofenheißen Wind zusammenkniff. Ausgelaugt. Ausgetrocknet.

Ganz anders als die lebhaften Berge und kräftigen Himmel meiner Heimat. New Mexico ist ein neues Land, rauh, magisch und mysteriös. Diese langweilige Staubwüste da draußen ist uralt; sie ist von zu vielen Heeren plattgetrampelt worden, die darüber hinweggezogen sind.