»Was soll das heißen, die Franklin D. Roosevelt Mountains?« sagte Jack laut. »Du mußt dich irren, Dad, da gibt es nichts - die Gegend ist eine einzige Einöde. Das wird dir jeder im Maklergewerbe bestätigen.«
Die schwache Stimme seines Vaters erklang. »Nein, Jack, ich glaube, das ist eine todsichere Sache. Ich will hin, es mir ansehen und alles mit dir durchsprechen. Wie geht's Silvia und dem Jungen?«
»Gut«, sagte Jack. »Hör zu - mach bloß nichts fest, es ist nämlich allgemein bekannt, daß bis auf den funktionierenden Teil des Kanalnetzes - und vergiß nicht, daß höchstens ein Zehntel davon funktioniert - jeder Grundbesitz auf dem Mars glatt an Betrug grenzt.« Ihm wollte nicht in den Kopf, wie sein Vater mit seiner jahrelangen Berufserfahrung, gerade was Investitionen in noch nicht kultiviertes Land anging, auf so einen Schwindel hereinfallen konnte. Das erschreckte ihn. Vielleicht war sein Dad in all den Jahren, die er ihn nicht gesehen hatte, alt geworden. Briefe besagten nicht viel; sein Dad diktierte sie einer Firmenstenographin.
Oder vielleicht verging die Zeit auf der Erde ja auch anders als auf dem Mars; in einer Zeitschrift für Psychologie hatte er einmal einen Artikel gelesen, der das nahelegte. Sein Vater würde als weißhaariger alter Tattergreis hier ankommen. Gab es einen Weg, sich vor dem Besuch zu drücken? David würde seinen Großvater gern wiedersehen, und Silvia mochte ihn ebenfalls. Die schwache, ferne Stimme erzählte Neuigkeiten aus New York City, nichts von Belang. Für Jack hatte das etwas Unwirkliches. Vor einem Jahrzehnt hatte er gewaltige Anstrengungen unternommen, um sich von seinem Umfeld auf der Erde zu lösen, und es war ihm gelungen; er wollte nichts mehr davon hören.
Und doch bestand noch die Verbindung zu seinem Vater, und der erste Ausflug seines Vaters von der Erde würde sie bald wieder aufleben lassen; er hatte schon immer einen anderen Planeten besuchen wollen, ehe es zu spät war - also vor seinem Tod. Leo war fest dazu entschlossen. Aber trotz Verbesserungen auf den großen Interplanetarschiffen war das Reisen ein Wagnis. Es störte ihn nicht. Nichts konnte ihn beirren; er hatte sogar schon gebucht.
»Meine Güte, Dad«, sagte Jack, »es ist wirklich großartig, daß du meinst, so eine anstrengende Reise unternehmen zu können. Ich hoffe nur, du bist ihr auch gewachsen.« Er ergab sich in sein Schicksal.
Ihm gegenüber saß sein Arbeitgeber, Mr. Yee, der ihn ansah und einen gelben Zettel hochhielt, auf dem ein Kundendienstauftrag notiert war. Der große, spindeldürre Mr. Yee in seinem Einreiher mit Fliege ... die chinesische Art, sich zu kleiden, hatte sich hier auf fremdem Boden bis ins Detail durchgesetzt, so authentisch, als betriebe Mr. Yee seine Firma im Geschäftsviertel von Kanton.
Mr. Yee zeigte auf den Zettel und stellte dann mit ernster Miene dar, worum es ging: Er fröstelte, goß etwas von der linken Hand in die rechte, fuhr sich anschließend über die Stirn und zupfte an seinem Kragen. Dann sah er auf die Armbanduhr an seinem knochigen Handgelenk. Auf einer Milchfarm war eine Kühleinheit ausgefallen, begriff Jack Bohlen, und es war dringend; die Milch würde verderben, wenn es im Laufe des Tages wärmer wurde.
»Okay, Dad«, sagte er, »wir erwarten also dein Telegramm.« Er verabschiedete sich und legte auf. »Tut mir leid, daß ich so lange telefoniert habe«, sagte er zu Mr. Yee. Er griff nach dem Zettel.
»Ein älterer Mensch sollte nicht hierher reisen«, sagte Mr. Yee mit seiner ruhigen, unbeugsamen Stimme.
»Er hat sich eben in den Kopf gesetzt, bei uns nach dem Rechten zu sehen«, sagte Jack.
»Und wenn Sie nicht so gut dastehen, wie er das gern hätte, kann er Ihnen dann helfen?« Mr. Yee lächelte verächtlich. »Erwartet er, daß Sie einen Treffer gelandet haben? Sagen Sie ihm, es gibt keine Diamanten mehr. Die UN hat alle. Und was den Auftrag angeht, den ich Ihnen gegeben habe: Den Unterlagen nach haben wir vor zwei Monaten schon mal wegen der gleichen Beschwerde an der Kühleinheit gearbeitet. Es liegt an der Stromquelle oder am Schaltkreis. Der Motor wird ständig langsamer, bis die Sicherung rausfliegt und verhindert, daß er durchbrennt.«
»Ich seh mir mal an, was so alles am Generator dranhängt«, sagte Jack.
Für Mr. Yee zu arbeiten war nicht leicht, dachte er, als er die Treppe zum Dach, auf dem die Firmenhubschrauber parkten, hinaufstieg. Alles wurde auf streng rationaler Grundlage entschieden. Mr. Yee sah aus und handelte wie etwas, das zum Rechnen erschaffen war. Vor sechs Jahren, mit zweiundzwanzig, hatte er sich ausgerechnet, daß er auf dem Mars ein profitableres Unternehmen aufziehen könnte als auf der Erde. Da die Kosten für das Verschiffen neuer Anlagen von der Erde so hoch waren, herrschte auf dem Mars brennende Nachfrage nach Kundendienst für alle Arten von Maschinen, für alles, was bewegliche Teile hatte. Ein alter Toaster, den man auf der Erde achtlos verschrottet hätte, mußte auf dem Mars funktionsfähig erhalten werden. Mr. Yee gefiel der Gedanke, Altmaterial zu verwerten. Da er in der einfachen, puritanischen Atmosphäre der Volksrepublik China aufgewachsen war, billigte er keine Verschwendung. Und als Elektroingenieur aus der Provinz Honan verfügte er über eine gute Ausbildung. Also war er auf seine ruhige und gewissenhafte Art zu einem Entschluß gekommen, der für die meisten Menschen eine verheerende emotionale Zerreißprobe dargestellt hätte; er bereitete sich darauf vor, von der Erde auszuwandern, so wie er sich auf einen Besuch beim Zahnarzt vorbereitet hätte, um sich ein neues Gebiß aus rostfreiem Stahl anpassen zu lassen. Als er seinen Laden auf dem Mars einmal aufgemacht hatte, wußte er bis auf den letzten UN-Dollar genau, wie niedrig er seine laufenden Geschäftskosten halten konnte. Das Unternehmen warf zwar wenig Gewinn ab, wurde aber äußerst professionell geführt. In den sechs Jahren seit 1988 war er unablässig expandiert, bis man in Notfällen jetzt seinen Technikern den Vorzug gab - und was war in einer Kolonie, der es immer noch schwerfiel, ihre eigenen Radieschen zu ziehen und den eigenen kleinen Milchertrag zu kühlen, kein Notfall?
Jack Bohlen zog die Tür des Hubschraubers zu, ließ den Motor an, und schon stieg er zu seinem ersten Kundenauftrag des Tages über die Bauten von Bunchewood Park in den leicht diesigen Vormittagshimmel auf.
Weit entfernt zu seiner Rechten war gerade ein riesiges Schiff von der Erde eingetroffen und ging auf dem Basaltkreis nieder, bei dem es sich um den Landeplatz für lebende Fracht handelte. Andere Frachten mußten einhundert Meilen weiter östlich abgeliefert werden. Das hier war ein Frachter erster Klasse, und schon bald würde er Besuch von ferngesteuerten Apparaten bekommen, die die Passagiere aller Viren, Bakterien, Insekten und Unkrautkeime, die ihnen noch anhaften mochten, beraubten; sie würden so nackt wie am Tag ihrer Geburt daraus hervorgehen, chemische Bäder durchlaufen und während der achtstündigen Tests ihrer Empörung Ausdruck verleihen - um dann schließlich entlassen zu werden, damit sie sich, nachdem das Überleben der Kolonie gesichert war, um ihr persönliches Überleben kümmerten. Manche würde man vielleicht sogar zur Erde zurückschicken; diejenigen, deren Zustand auf genetische Defekte schließen ließ, die erst der Reisestress an den Tag gebracht hatte. Jack stellte sich seinen Vater vor, wie er sich geduldig den Einwanderungprozeduren unterzog. Muß sein, mein Junge, würde sein Vater sagen.
Unvermeidlich. Der Alte, wie er Zigarre rauchte und nachdachte ... ein Philosoph, dessen ganze offizielle Ausbildung aus sieben Jahren öffentliches Schulsystem von New York bestand, und das zur schlimmsten Zeit. Seltsam, dachte er, wie doch immer wieder der Charakter durchbricht. Der Alte stand mit einer Ebene des Wissens in Verbindung, die ihm sagte, wie er sich zu verhalten hatte, nicht in gesellschaftlicher Hinsicht, sondern auf tiefere, nachhaltige Weise. Er wird sich dieser Welt hier anpassen, wurde Jack klar. Bei seinem kurzen Besuch wird er besser mit ihr zurechtkommen als Silvia und ich. Ungefähr so, wie David zurechtgekommen ist ...