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Die Frage erschien ihm seltsam; er grübelte gar nicht, sein Kopf war leer. Das Streichholzbriefchen füllte noch immer sein ganzes Wahrnehmungsfeld aus. Dennoch war es unumgänglich, ihnen Rechenschaft darüber abzulegen, was ihn so sehr beschäftigte; sie alle erwarteten das, also dachte er sich folgsam ein Thema aus. »Die Luft«, sagte er. »Auf dem Mars. Wie lange werde ich wohl brauchen, um mich anzupassen? Das wechselt, je nach Person.« Ein Gähnen, das nie nach draußen fand, hatte sich in seiner Brust eingenistet und breitete sich langsam durch Lunge und Luftröhre aus. Sein Mund stand halb offen; mühsam schaffte er es, die Kiefer wieder zu schließen. »Ich hau jetzt besser ab«, sagte er. »An der Matratze horchen.« Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihm aufzustehen.

»Um neun Uhr schon?« rief Fred Clarke.

Später, als er durch die kühlen dunklen Straßen von Oakland zu seinem Apartment schlenderte, fühlte er sich prima. Er fragte sich, was bei den Nottings losgewesen war. Vielleicht schlechte Luft oder die Klimaanlage.

Aber etwas stimmte nicht.

Der Mars, dachte er. Er hatte die Fesseln abgestreift, seinen Job aufgegeben, seinen Plymouth verkauft und dem Funktionär, der sein Vermieter war, Bescheid gegeben. Dabei hatte er ein Jahr gebraucht, um das Apartment überhaupt zu bekommen; das Gebäude war Eigentum der gemeinnützigen West-Coast-Genossen-schaft, ein gewaltiger, teilweise unterirdischer Bau mit Tausenden von Einheiten, einem Supermarkt, Wäschereien, Kindertagesstätte, Krankenhaus, sogar einem eigenen Psychiater in den Ladengalerien tief unter der Straßenebene. Im obersten Stockwerk befand sich eine FM-Rundfunkstation, die von den Bewohnern selbst ausgewählte klassische Musik sendete, und auf halber Höhe des Gebäudes gab es ein Theater und einen Versammlungsraum. Es war das neueste der riesigen Apartmenthäuser der Genossenschaft - und das hatte er alles aufgegeben, Knall auf Fall. Eines Tages hatte er im Buchladen des Gebäudes gestanden und in der Schlange gewartet, weil er ein Buch kaufen wollte, und da war ihm der Gedanke gekommen.

Nachdem er seinen Antrag gestellt hatte, war er durch die Flure der genossenschaftlichen Galerie gewandert. Als er zur Anschlagtafel mit den angehefteten Zetteln kam, war er unwillkürlich stehengeblieben, um sie zu lesen. Kinder waren an ihm vorbeigeflitzt, unterwegs zum Spielplatz hinter dem Gebäude. Ein Zettel mit großen Druckbuchstaben hatte seine Aufmerksamkeit erregt: Helfen Sie, die genossenschaftliche Bewegung in neu

KOLONISIERTE GEGENDEN ZU TRAGEN. ALS ANTWORT AUF DIE AUSBEUTUNG MINERALREICHER GEBIETE AUF DEM MARS DURCH DIE GROSS VERBÄNDE FÜR HANDEL UND ARBEIT BIETET DIE GENOSSENSCHAFTSLEITUNG IN SACRAMENTO GELEGENHEIT ZUR AUSWANDERUNG. MELDEN SIE SICH JETZT!

Das las sich fast so wie alle genossenschaftlichen Mitteilungen, und doch - warum nicht? Viele junge Menschen meldeten sich. Und was hatte er auf der Erde noch zu suchen? Er hatte zwar sein Apartment aufgegeben, war aber nach wie vor Mitglied der Genossenschaft; er hatte immer noch seine Anteilsscheine und seine Nummer.

Später, als er sich verpflichtet hatte und das Prozedere von Untersuchungen und Impfungen durchlief, war er mit der Reihenfolge durcheinandergeraten; seiner Erinnerung nach war der Entschluß, zum Mars zu gehen, zuerst dagewesen, und er hatte anschließend seinen Job und das Apartment aufgegeben. So herum erschien es ihm einleuchtender, und diese Geschichte erzählte er auch seinen Freunden. Aber es war einfach nicht wahr. Was war wahr? Fast zwei Monate lang war er verwirrt und verzweifelt umhergelaufen, sich über nichts im klaren außer der einen Sache, daß am 14. November seine Gruppe, zweihundert Mitglieder der Genossenschaft, zum Mars aufbrächen und sich dann alles änderte; die Verwirrung würde sich legen, und er könnte wieder klarsehen, wie es irgendwann in grauer Vorzeit einmal der Fall war. Soviel wußte er: Früher war es ihm möglich gewesen, die Ordnung der Dinge in Raum und Zeit zu gewährleisten; heute hatten sich Raum und Zeit aus für ihn unerfindlichen Gründen verschoben, so daß er sich zu keinem von beiden mehr ins Verhältnis setzen konnte.

Sein Leben war ohne Ziel. Vierzehn Monate lang hatte er nur auf eines hingearbeitet: im riesigen neuen Genossenschaftsgebäude ein Apartment zu bekommen, und dann, als er eines hatte, war da nichts mehr. Die Zukunft hatte aufgehört zu existieren. Er hörte sich die Bach-Suiten an, die er sich gewünscht hatte; er kaufte Lebensmittel im Supermarkt und stöberte im Buchladen des Gebäudes herum ... doch wozu? fragte er sich. Wer bin ich? Und im Beruf ließen seine Fähigkeiten nach. Das war das erste Anzeichen gewesen, und in gewisser Hinsicht das unheilvollste von allen; das hatte ihn am meisten erschreckt.

Es begann mit einem eigenartigen Vorfall, den er sich niemals ganz hatte erklären können. Offenbar war ein Teil davon reine Halluzination gewesen. Aber welcher Teil? Es war wie ein Traum gewesen, und einen Augenblick lang hatte er überwältigende Panik empfunden, das Verlangen wegzulaufen, um jeden Preis zu entrinnen.

Er hatte einen Job bei einer Elektronikfirma in Redwood City gehabt, im Süden von San Francisco; er bediente eine Maschine, die die Qualitätskontrolle am Montageband überwachte. Er war dafür verantwortlich, daß seine Maschine bei keinem einzigen Bauteil von ihrer Einstellung für die annehmbaren Toleranzen abwich: eine Flüssigheliumbatterie, nicht größer als ein Streichholzkopf. Eines Tages war er unerwartet ins Büro des Personalchefs gerufen worden; er hatte nicht gewußt, was sie von ihm wollten, und als er den Lift nach oben genommen hatte, war er ganz schön nervös gewesen. Später fiel es ihm wieder ein; er war ungewöhnlich nervös gewesen.

»Treten Sie ein, Mr. Bohlen.« Der Personalchef, ein gutaussehender Mann mit lockigem grauem Haar -vielleicht eine modische Perücke - hieß ihn in seinem Büro willkommen. »Es dauert nur einen Moment.« Er musterte Jack kritisch. »Mr. Bohlen, warum lösen Sie eigentlich Ihre Gehaltsschecks nicht ein?«

Schweigen folgte.

»Tue ich das nicht?« sagte Jack. Sein Herz wummerte so heftig, daß sein Körper bebte. Er fühlte sich unsicher und müde. Ich dachte, ich täte es, sagte er sich.

»Sie könnten einen neuen Anzug vertragen«, sagte der Personalchef, »und Sie sollten sich einmal die Haare schneiden lassen. Natürlich ist das Ihre Sache.«

Jack legte die Hand auf seinen Kopf und tastete verblüfft umher; mußte er sich die Haare schneiden lassen? War er nicht erst vorige Woche beim Friseur gewesen? Vielleicht war es auch schon länger her. Er sagte: »Danke.« Er nickte. »Okay, mach ich. Wie Sie meinen.«

Und dann kam es zu der Halluzination, wenn es denn eine war. Er sah den Personalchef in einem neuen Licht. Der Mann war tot.

Er sah durch die Haut des Mannes hindurch sein Skelett. Es wurde von Drähten zusammengehalten, die Knochen waren mit feinem Kupferdraht verbunden. Die verdorrten Organe hatte man durch künstliche Bauteile ersetzt, Niere, Herz, Lunge - alles bestand aus Plastik und rostfreiem Stahl, alles arbeitete im Einklang miteinander, aber ohne jedes echte Leben. Die Stimme des Mannes ertönte vom Band, durch Verstärker und Lautsprechersysteme.

Möglicherweise war der Mann früher einmal echt und am Leben gewesen, aber das war vorbei, und heimlich war es zum Austausch gekommen, Zentimeter für Zentimeter, schleichend von einem Organ zum nächsten fortschreitend, und das gesamte Gebilde diente dazu, andere hinters Licht zu führen. Das hieß, ihn hinters Licht zu führen, Jack Bohlen. Er war allein in diesem Büro; es gab keinen Personalchef. Niemand sprach mit ihm, und wenn er selber sprach, so hörte es keiner; er stand in einem leblosen, mechanischen Zimmer.

Er war sich nicht sicher, was er tun sollte; er versuchte, das menschenähnliche Gebilde vor ihm nicht zu eindringlich anzustarren. Er versuchte ruhig zu reden, ungezwungen, über seinen Job und sogar über seine persönlichen Probleme. Das Gebilde sondierte; es wollte etwas aus ihm herausholen. Natürlich erzählte er ihm so wenig wie möglich. Und die ganze Zeit sah er, während er auf den Teppich starrte, die Röhren und Klappen und anderen mechanischen Teile arbeiten; sie zogen immer wieder seinen Blick auf sich.