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Ob sie sich zanken werden? fragte sie sich. Lieber Gott, ich hoffe nicht; ich hoffe, daß Leos Besuch nicht alles kaputtmacht. Aber die Stimmen waren leiser geworden, und jetzt döste sie wieder friedlich vor sich hin.

Er ist wirklich ein feiner alter Herr, dachte sie. Ähnlich wie Jack, nur entschiedener in seiner Haltung.

In letzter Zeit, seit er für Arnie Kott tätig war, hatte ihr Mann sich verändert. Das lag zweifellos an dem grausigen Auftrag, den er bekommen hatte; der stumme, autistische Steiner brachte sie ganz durcheinander, und sie hatte es von Anfang an bedauert, daß er aufgetaucht war. Das Leben war auch ohne ihn schon kompliziert genug. Der Junge ging im Haus aus und ein, huschte immer auf Zehenspitzen umher, und seine Blicke schossen durch die Gegend, als ob er Dinge sähe, die gar nicht vorhanden waren, Töne vernahm, die außerhalb des normalen Hörbereichs lagen. Wenn man nur die Zeit zurückdrehen und irgendwie Norbert Steiner wieder zum Leben erwecken könnte! Wenn ...

In ihrem drogenumnebelten Verstand sah sie blitzartig diesen untauglichen kleinen Mann vor sich auftauchen, der morgens mit seinen Koffern voller Waren aufbrach, ein Handelsreisender, der seine Runde machte, mit Yoghurt und Portweinsirup.

Ob er noch irgendwo am Leben ist? Vielleicht konnte Manfred ihn sehen, und er war genau wie der Junge -

Jacks Meinung nach - in einer verzerrten Zeit gefangen. Das gäbe eine schöne Überraschung, wenn sie mit dem Jungen Kontakt aufnähmen und herausfänden, daß sie das traurige kleine Gespenst wiedererweckt hatten ... Aber wahrscheinlicher ist wohl, daß sie mit ihrer Theorie recht haben und es das Bevorstehende ist, er sieht das Bevorstehende. Sie werden bekommen, was sie wollen. Warum Jack? Warum liegt dir soviel daran, Jack? Gibt es ein Einvernehmen zwischen dir und diesem kranken Kind. Ist es das? Oh ... Ihre Gedanken verloren sich im Dunkel.

Und was dann? Wirst du mich wieder mögen?

Kein Einvernehmen zwischen Gesunden und Kranken. Du bist anders; das erdrückt mich. Leo weiß es, ich weiß es. Wirst du? Mich wieder mögen?

Sie schlief ein.

*

Hoch am Himmel kreisten fleischfressende Vögel. Am Fuß des Gebäudes mit den vielen Fenstern lagen ihre Exkremente. Er hob die Haufen auf, bis er mehrere davon in der Hand hielt. Sie gingen auf wie Teig, blähten sich, und er wußte, daß sich Lebewesen darin befanden; behutsam trug er sie in den leeren Flur des Gebäudes. Ein Haufen öffnete sich, bildete einen Spalt in der geflochtenen, haarknäuelartigen Flanke; er wurde zu groß, um ihn weiter halten zu können, und jetzt sah er es in der Wand. Eine Nische, in der es auf der Seite lag, der Spalt gerade breit genug, daß er das Wesen darin erkennen konnte.

Kwatsch! Ein eingerollter Wurm aus nassen, knochenweißen Falten, der Kwatsch-Wurm im Innern des Menschen. Wenn doch nur die weit oben fliegenden Vögel ihn erspähen könnten und auffräßen, einfach so. Er lief die Stufen hinunter, die unter seinen Füßen nachgaben. Einige Diehlen fehlten. Er sah durch das Sieb aus Holz den Boden darunter, die Höhle, dunkel, kalt und voll modrigem Holz, nur noch feuchter Puder, zersetzt von Kwatsch-Fäulnis.

Hochgereckte Arme warfen ihn den kreisenden Vögeln entgegen; er schwebte nach oben und fiel doch zugleich. Sie fraßen ihm den Kopf ab. Und dann stand er auf einer Brücke über dem Meer. Haie zerteilten das Wasser mit spitzen, zerpflügenden Flossen. Er fing einen an der Leine, und mit weit aufgerissenem Rachen glitt er aus dem Wasser, um ihn zu verschlingen. Er wich einen Schritt zurück, doch die Brücke gab nach und sackte durch, so daß ihm das Wasser bis zur Taille stand.

Jetzt regnete es Kwatsch; alles war Kwatsch, wohin er auch sah. Eine Gruppe derer, die ihn nicht mochten, tauchte am Ende der Brücke auf und hielt eine Schlinge aus Haifischzähnen in die Höhe. Er war der Kaiser. Sie krönten ihn mit der Schlinge, und er wollte ihnen danken. Aber sie zwängten ihm die Schlinge über den Schädel bis zum Hals und machten sich daran, ihn zu erdrosseln. Sie verknoteten die Schlinge, und die Haifischzähne bissen ihm den Kopf ab. Erneut saß er in dem dunklen, feuchten Keller inmitten der pudrigen Fäulnis und lauschte dem Schwappen der Gezeiten ringsum. Eine Welt, regiert von Kwatsch, und er hatte keine Stimme; die Haifischzähne hatten ihm die Stimme herausgebissen.

Ich bin Manfred, sagte er.

»Glaub mir«, sagte Arnie Kott zu dem Mädchen, das neben ihm in dem breiten Bett lag, »du wirst einfach begeistert sein, wenn wir Kontakt mit ihm aufnehmen -ich meine, dann haben wir einen Insiderblick: Wir kennen dann die Zukunft, und was denkst du wohl, wo sich die Dinge sonst entscheiden, wenn nicht in der Zukunft?«

Doreen Anderton bewegte sich und murmelte etwas.

»Schlaf nicht ein«, sagte Arnie und beugte sich vor, um sich noch eine Zigarette anzuzünden. »Hör zu, weißt du was - heute ist ein wichtiger Grundstücksspekulant von der Erde eingetroffen; ein Gildebruder war am Raketenterminal, und der hat ihn erkannt, obwohl der Spekulant sich natürlich unter falschem Namen eintragen ließ. Wir haben den Frachter überprüft, und er stieg einfach aus und ist unserem Mann entwischt. Ich habe ja gleich gesagt, daß sie auftauchen werden! Hör zu, wenn dieser Steiner-Junge plaudert, sind wir volle Kanne dabei. Stimmt's?« Er schüttelte das schlafende Mädchen. »Wenn du nicht aufwachst«, sagte Arnie, »kipp ich dich aus dem Bett, daß du auf deinen dicken Arsch fällst, und dann kannst du von mir aus zu Fuß nach Hause in dein Apartment latschen.«

Doreen stöhnte, wälzte sich herum und setzte sich auf. Im düsteren Licht von Arnie Kotts bevorzugtem Schlafzimmer saß sie blaß und durchscheinend da, strich sich das Haar aus dem Gesicht und gähnte. Ein Träger ihres Nachthemds rutschte ihr von der Schulter, und Arnie sah mit Wohlgefallen die hohe, feste Brust mit einem Juwel von Brustwarze direkt in der Mitte.

Meine Güte, das nenne ich ein Weib, sagte sich Arnie. Die ist wirklich was Besonderes. Und sie hat erstklassige Arbeit geleistet, als es darum ging, diesen Bohlen daran zu hindern, keinen Pfifferling drauf zu geben und einfach abzuschwirren, wie es diese hebephrenen Schizophrenen eben tun - ich meine, es ist fast unmöglich, sie dauernd bei der Stange zu halten, sie sind so launisch und haben kein Verantwortungsgefühl. Dieser Bohlen; er ist ein idiot savant, ein Idiot, der Dinge wieder ins Lot bringt, und wir müssen seiner Idiotie schmeicheln, wir müssen darauf eingehen. So einen Typ kann man nicht zwingen; er gibt dem Zwang nicht nach. Arnie ergriff die Bettdecke und schlug sie zurück, über Doreen hinweg; er lächelte beim Anblick ihrer nackten Beine, lächelte, als er sah, wie sie ihr kurzes Nachthemd über die Knie zog.

»Wie kannst du nur müde sein?« fragte er sie. »Außer herumzuliegen hast du doch nichts getan. Stimmt das nicht? Ist das Herumliegen so schwer?«

Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Nicht mehr«, sagte sie.

»Was?« sagte er. »Du machst wohl Witze? Wir haben gerade erst angefangen. Zieh das Nachthemd aus.« Er packte es am Saum und zog es wieder hoch; er schob einen Arm unter sie, hob sie an und hatte es ihr im Nu über den Kopf gestreift. Er legte es auf den Stuhl neben dem Bett.

»Ich will jetzt schlafen«, sagte Doreen und schloß die Augen. »Wenn du nichts dagegen hast.«

»Warum sollte ich?« sagte Arnie. »Du bist immer noch da, nicht wahr? Wach oder schlafend - ich kann dich auch so vernaschen, und wie.«

»Autsch«, protestierte sie.

»Tut mir leid.« Er küßte sie auf den Mund. »Ich wollte dir nicht wehtun.«

Ihr Kopf rollte zur Seite; sie war tatsächlich kurz vor dem Einschlafen. Arnie fühlte sich gekränkt. Aber zum Teufel - sie tat sowieso nie sehr viel.