Der Junge stürzte an ihm vorbei und schoß die Stufen hinunter, Richtung Kanal; er bewegte sich so schnell, daß man ihn kaum erkennen konnte, und war dann hinter dem Haus der Bohlens verschwunden.
»Mrs. Steiner«, sagte Jack, »ich möchte Ihnen meinen Vater vorstellen.«
Die große Blonde streckte wie geistesabwesend die Hand aus; sie schien nicht ganz bei sich zu sein, fand Leo. Aber er begrüßte sie mit Handschlag. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte er höflich. »Ich bin sehr betrübt über die Nachricht vom Tod Ihres Mannes; das ist wirklich schrecklich, und so plötzlich, ohne daß jemand etwas ahnte. Ich kannte mal jemanden drüben in Detroit, ein guter Freund von mir, der hat das gleiche getan, an einem Wochenende; verließ das Geschäft und sagte auf Wiedersehen, und dann hat keiner mehr was von ihm gesehen.«
Mrs. Steiner sagte: »Wie geht es Ihnen, Mr. Bohlen.«
»Wir wollen Manfred abholen«, sagte Jack zu ihr. »Wahrscheinlich kommen wir erst am späten Nachmittag wieder.«
Als Leo und sein Sohn zurückgingen, blieb die Frau auf der Veranda stehen und blickte ihnen nach.
»Die ist ja wirklich merkwürdig«, murmelte Leo. Jack sagte nichts.
Sie trieben den Jungen auf, der befangen in Davids überflutetem Garten stand, und kurz darauf saßen alle drei im Hubschrauber der Yee Company und flogen über der Wüste zur nördlich gelegenen Bergkette. Leo entfaltete eine große Landkarte, die er mitgebracht hatte und trug Markierungen ein.
»Ich nehme an, wir können frei reden«, sagte er zu Jack und nickte in Richtung des Jungen. »Er wird schon nicht ...« Er zögerte. »Du weißt.«
»Wenn er überhaupt etwas versteht«, sagte Jack nüchtern, »wird er wohl kaum ...«
»Okay, okay«, sagte Leo, »ich wollte nur sichergehen.« Aus Vorsicht unterließ er es, auf der Karte den Ort einzutragen, an dem seines Wissens das UNGelände entstehen sollte. Aber er markierte ihre Route und benutzte dazu die Angaben auf dem Kreiselkompaß im Armaturenbrett des Hubschraubers. »Welche Gerüchte hast du denn gehört?« fragte er. »Über das Interesse der UN an den FDR-Bergen?«
Jack sagte: »Etwas über einen Park oder ein Kraftwerk.«
»Willst du es genau wissen?«
»Klar.«
Leo griff in die Manteltasche und zog einen Briefumschlag hervor. Er entnahm ihm ein Foto, das er Jack reichte. »Erinnert dich das an was?«
Mit einem flüchtigen Blick sah Jack, daß es die Aufnahme eines langen, schmalen Gebäudes war. Er starrte es eine ganze Weile an.
»Die UN«, sagte Leo, »wollen das bauen. Vielzweckwohnungen. Ganze Blocks davon, Meile für Meile, komplett mit Einkaufszentren - Supermärkten, Eisenwarenhandlungen, Apotheken, Wäschereien, Eissalons. Alles durch Fremdarbeit, mit diesen Bauautomaten, die sich selbst Anweisungen geben.«
Schließlich sagte Jack: »Das sieht wie das Wohnhaus der Genossenschaft aus, in dem ich vor Jahren gelebt habe, als ich meinen Zusammenbruch hatte.«
»Genau. Die Genossenschaftsbewegung will in dieser Sache mit der UN zusammenarbeiten. Wie man weiß, waren die FDR-Berge einmal sehr fruchtbar; es gab hier reichlich Wasser. Die Wasserbauer der UN glauben, daß sie enorme Mengen aus der darunterliegenden Schicht an die Oberfläche pumpen können. Der Grundwasserspiegel ist hier in den Bergen näher an der Oberfläche als sonst irgendwo auf dem Mars; er bildete die ursprüngliche Wasserquelle für das Kanalnetz, meinen die UNIngenieure.«
»Die Genossenschaft«, sagte Jack mit sonderbarer Stimme, »hier auf dem Mars.«
»Das werden schöne moderne Bauten«, versicherte Leo. »Ein ganz schön ehrgeiziges Projekt. Die UN wollen die Leute gratis hierherbefördern, für die Überfahrt bis vor die Tür der neuen Wohnung sorgen, und es wird wenig kosten, sich so eine Einheit zu kaufen. Ein großes Stück dieser Berge wird dabei draufgehen, wie du dir denken kannst, und soweit ich gehört habe, setzt man zehn bis fünfzehn Jahre bis zur Beendigung des Projekts an.«
Jack schwieg.
»Massenauswanderung«, sagte Leo. »Damit ist die Sache sichergestellt.«
»Vermutlich«, sagte Jack.
»Die Zuschüsse dafür sind phantastisch«, sagte Leo. »Allein die Genossenschaft bringt fast eine Billion Dollar auf. Sie verfügt über riesige Bargeldreserven, weißt du; sie ist eine der größten Unternehmensgruppen auf der Erde - ihr Vermögen ist größer als das der Versicherungsgruppe oder der großen Bankenkonsortien. Wenn die mitmachen, ist es ausgeschlossen, daß die Sache schiefgeht.« Er fügte hinzu: »Die UN haben in dieser Angelegenheit sechs Jahre mit ihnen verhandelt.«
Schließlich sagte Jack: »Und was bringt das dem Mars? Die FDR-Berge werden urbar gemacht - mehr nicht.«
»Und dicht besiedelt«, erinnerte Leo ihn.
»Das glaube ich kaum«, sagte Jack.
»Ja, ich weiß, Junge, aber das steht außer Frage; in ein paar Wochen ist es allgemein bekannt. Ich hab es vor einem Monat erfahren. Ich habe Investoren, die ich kenne, veranlaßt, Risikokapital aufzubringen ... ich vertrete sie, Jack. Allein habe ich einfach nicht das Geld dafür.«
Jack sagte: »Dein Plan läuft also darauf hinaus, hier gewesen zu sein, bevor die UN das Land in Besitz nehmen. Du kaufst es zum Spottpreis auf und verscherbelst es hinterher viel teurer wieder an die UN.«
»Wir wollen große Flächen erwerben«, sagte Leo, »und sie dann splitten. Sie in Areale von, sagen wir, hundert mal achtzig Fuß aufteilen. Ein großer Kreis von Einzelpersonen wird Anspruch haben: Ehefrauen, Cousins, Arbeitnehmer, Freunde von Angehörigen meiner Gruppe.«
»Deines Syndikats«, sagte Jack.
»Ja, darum handelt es sich«, sagte Leo erfreut. »Um ein Syndikat.«
Nach einer Weile sagte Jack heiser: »Und du hast nicht das Gefühl, daß daran etwas nicht stimmt?«
»Was soll da nicht stimmen? Ich verstehe nicht, mein Sohn.«
»Himmel«, sagte Jack. »Das liegt doch auf der Hand.«
»Nicht für mich. Erklär's mir.«
»Du betrügst die ganze Erdbevölkerung - sie ist es, die das viele Geld aufzubringen hat. Du treibst die Kosten für dieses Projekt in die Höhe, nur um einen beispiellosen Reibach zu machen.«
»Aber Jack, darum geht es nun mal bei der Grundstücksspekulation.« Leo war verdutzt. »Was ist Grundstücksspekulation denn deiner Ansicht nach? So läuft es doch schon seit Jahrhunderten; man kauft billig Land, wenn niemand es haben will, weil man aus diesem oder jenem Grund glaubt, daß es eines Tages viel mehr wert sein wird. Und dabei verläßt man sich auf Insidertips. Mehr steckt letzten Endes nicht dahinter. Jeder Grundstücksspekulant auf der Welt wird versuchen aufzukaufen, wenn sich das herumspricht; übrigens tun sie das schon. Ich bin ihnen nur einige Tage voraus. Diese Verfügung, nach der man sich wirklich auf dem Mars aufhalten muß, bricht ihnen das Genick; sie sind nicht darauf vorbereitet, Knall auf Fall herzukommen. Also -haben sie das Nachsehen. Ich gehe nämlich davon aus, daß ich die Anzahlung für das Land, das wir haben wollen, schon vor Einbruch der Nacht leisten werde.« Er zeigte nach vorn. »Es ist da drüben. Ich habe alle möglichen Landkarten dabei; es dürfte kein Problem sein, es zu finden. Das Gelände befindet sich in einem großen Canyongebiet namens Henry Wallace. Nach dem Gesetz muß ich meinen Fuß auf das Stück Land setzen, das ich zu kaufen beabsichtige, und an leicht erkennbarer Stelle eine genau identifizierbare, dauerhafte Markierung anbringen. So eine Markierung habe ich bei mir, einen vorschriftsmäßigen Stahlpflock, der meinen Namen trägt. Wir landen im Henry Wallace, und dann hilfst du mir, den Pflock einzuschlagen. Reine Formsache; dauert nur ein paar Minuten.« Er lächelte seinem Sohn zu.
Jack blickte seinen Vater an und dachte: Er ist wahnsinnig. Aber Leo lächelte ihm in aller Gemütsruhe weiter zu, und Jack wurde klar, daß sein Vater nicht wahnsinnig war, daß es genauso war, wie er sagte: Grundstücksspekulanten machten das so, das war ihr Geschäftsgebaren, und die UN-Genossenschaft nahm wirklich ein derartiges Mammut-Unternehmen in Angriff. Ein so gerissener und erfahrener Geschäftsmann wie sein Vater konnte sich nicht irren. Leo Bohlen und seine Mitstreiter handelten nicht auf Grund von Gerüchten. Sie hatten die allerbesten Verbindungen. Etwas war durchgesickert, bei der Genossenschaft oder der UN oder bei beiden, und Leo hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinen Vorteil daraus zu ziehen.