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»Du bist weder Psychotherapeut noch Arzt«, sagte Doreen. »Für Milton Glaub ist es ganz normal, Tag für Tag mit autistischen und schizophrenen Personen in engem Kontakt zu stehen, aber du - du bist Mechaniker, der wegen eines verrückten Einfalls von Arnie in die Sache hineingeschlittert ist; du warst einfach nur im selben Raum mit ihm und hast seinen Chiffrierer repariert und bist so in das Ganze verwickelt worden. Du solltest nicht passiv sein, Jack. Du überläßt dein Leben ganz dem Zufall, und du lieber Himmel - merkst du denn überhaupt nicht, was es mit dieser Passivität auf sich hat?«

Nach einer Weile sagte er: »Ich denke schon.«

»Sprich's aus.«

Er sagte: »Schizophrene neigen zur Passivität; das ist mir durchaus klar.«

»Sei entscheidungsfreudiger; mach nicht so weiter. Ruf Arnie an und sag ihm, daß du einfach nicht kompetent genug bist, um dich weiter um Manfred zu kümmern. Er sollte nach B-G zurück, wo Milton Glaub mit ihm arbeiten kann. Sie können diese Verlangsamungskammer auch dort bauen; sie waren doch schon drauf und dran, oder?«

»Sie werden es niemals schaffen. Sie sprechen davon, die Ausrüstung von zu Hause herüberkommen zu lassen; du weißt, was das heißt.«

»Und du wirst es auch nicht schaffen«, sagte Doreen, »weil du schon lange vorher ein geistiges Wrack sein wirst. Ich kann auch in die Zukunft sehen; und weißt du, was ich da sehe? Ich sehe, daß du einen viel schlimmeren Zusammenbruch als je zuvor haben wirst; ich sehe -deinen totalen psychischen Kollaps, Jack, wenn du mit dieser Arbeit weitermachst. Dir setzt doch jetzt schon akute schizophrene Angst zu, Panik - ist es nicht so? Stimmt doch.«

Er nickte.

»Ich habe das bei meinem Bruder erlebt«, sagte Doreen. »Schizophrene Panik, und wenn man einmal erlebt hat, wie sie bei einer Person ausbricht, vergißt man das nie mehr. Der Zusammenbruch ihrer Realität ringsum ... der Zusammenbruch ihrer Wahrnehmung von Raum und Zeit, Ursache und Wirkung ... geschieht das nicht gerade bei dir? Du redest, als ob dieses Treffen mit Arnie sich durch nichts, was du tust, ändern ließe - und das ist für dich ein gewaltiger Rückschritt von der Verantwortung und Reife eines Erwachsenen; das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.« Sie atmete tief durch, so daß sich ihre Brust schmerzhaft hob und senkte, und fuhr fort: »Ich werde Arnie anrufen und ihm sagen, daß du aussteigst, dann muß er sich jemand anderen suchen, der die Sache mit Manfred zu Ende bringt. Und ich sage ihm, daß du keine Fortschritte erzielt hast, daß es zwecklos für euch beide ist, weiterzumachen. Ich habe diese Marotten bei Arnie schon früher erlebt; er hält einige Tage oder Wochen daran fest, und dann vergißt er sie wieder. Das hier kann er auch vergessen.«

Jack sagte: »Er wird es nicht vergessen.«

»Laß es drauf ankommen«, sagte sie.

»Nein«, sagte er. »Ich muß heute abend dort hingehen und ihm von meinen Fortschritten berichten. Das habe ich ihm versprochen; ich schulde es ihm.«

»Du bist ein verdammter Narr«, sagte Doreen.

»Ich weiß«, sagte Jack. »Aber aus einem anderen Grund, als du meinst. Ich bin ein Narr, weil ich einen Job angenommen habe, ohne die Folgen zu bedenken. Ich ...« Er brach ab. »Vielleicht ist es auch so, wie du sagst. Ich bin nicht kompetent genug, um mit Manfred zu arbeiten. So wird's sein, punktum.«

»Und du machst trotzdem weiter. Was kannst du Arnie heute abend denn vorweisen? Zeig's mir, sofort.«

Jack holte einen Jiffy-Umschlag hervor, griff hinein und zog das Bild mit den Gebäuden heraus, das Manfred gezeichnet hatte. Doreen betrachtete es lange. Dann gab sie es ihm zurück.

»Das ist eine teuflische, krankhafte Zeichnung«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Ich weiß, was das ist. Die Gruftwelt, nicht wahr? Das ist es, was er gezeichnet hat. Die Welt nach dem Tod. Und genau das sieht er auch, und jetzt beginnst du es durch ihn zu sehen. Das willst du Arnie bringen? Du hast wohl schon jeden Sinn für die Realität verloren; meinst du, Arnie will so eine Scheußlichkeit sehen? Verbrenn's!«

»So schlimm finde ich's gar nicht«, sagte er, tief betrübt durch ihre Reaktion.

»O doch, es ist schlimm«, sagte Doreen. »Und es ist entsetzlich, daß dir das nicht mal mehr auffällt. War das schon immer so?«

Er mußte den Kopf schütteln.

»Dann weißt du ja, daß ich recht habe«, sagte sie.

»Ich muß weiter«, sagte er. »Wir sehen uns heute abend bei ihm.« Er ging zum Fenster hinüber und tippte Manfred auf die Schulter. »Wir müssen gehen. Wir sehen diese Dame heute abend, und Mr. Kott auch.«

»Mach's gut, Jack«, sagte Doreen und begleitete ihn zur Tür. In ihren großen dunklen Augen lag tiefe Verzweiflung. »Ich habe getan, was ich konnte, um dich davon abzubringen; keine Frage. Du hast dich verändert. Du bist jetzt nicht mehr so - lebhaft, wie du es gestern noch warst ... weißt du das?«

»Nein«, sagte er. »Das wußte ich nicht.« Aber es erstaunte ihn nicht, das zu hören; er spürte, wie es schwer auf seinen Gliedern lastete, ihm das Herz zusammenpreßte. Er beugte sich vor und küßte sie auf die vollen, wohlschmeckenden Lippen. »Dann bis heute abend.«

Sie stand an der Tür und sah schweigend zu, wie er mit dem Jungen davonging.

In der Zeit, die noch bis zum Abend blieb, wollte Jack Bohlen bei der Public School vorbeifliegen und seinen Sohn abholen. Dort, an dem Ort, den er mehr als alle anderen fürchtete, würde er herausfinden, ob Doreen recht hatte; er würde erfahren, ob seine Moral und seine Fähigkeit, die Realität von den Projektionen seines eigenen Unbewußten zu unterscheiden, gelitten hatte oder nicht. Für ihn bedeutete die Public School den Scheideweg. Und während er den Hubschrauber der Yee Company dorthin steuerte, spürte er in seinem tiefsten Innern, daß es ihm gelingen würde, einen zweiten Besuch zu bestehen.

Außerdem war er furchtbar neugierig, wie Manfred wohl auf den Ort reagierte, auf die Simulakra, die Lehrmaschinen. Seit einiger Zeit hatte er das dunkle Gefühl, daß Manfred eine deutliche Reaktion zeigen würde, wenn er den Schullehrern gegenüberstünde, vielleicht seiner ähnlich, vielleicht auch ganz anders. Jedenfalls würde er reagieren; davon war er überzeugt.

Aber dann dachte er resigniert: Ist nicht alles schon zu spät? Ist es nicht längst vorbei mit dem Job, hat Arnie ihn nicht zurückgepfiffen, weil ihm nichts mehr daran liegt?

Bin ich heute abend nicht schon bei ihm gewesen? Wie spät ist es eigentlich?

Entsetzt dachte er: Ich habe jedes Zeitgefühl verloren.

»Wir fliegen zur Public School«, murmelte er Manfred zu. »Was hältst du davon? Die Schule sehen, in die David geht.«

Die Augen des Jungen strahlten erwartungsvoll. Ja, schien er zu sagen. Dazu hätte ich Lust. Also los.

»Okay«, sagte Jack, dem es nur mit Mühe gelang, die Kontrollen des Hubschraubers zu bedienen; er kam sich vor wie auf dem Grund eines großen stehenden Meeres, als kämpfte er bloß noch darum, Luft zu bekommen, fast unfähig, sich zu bewegen. Aber wieso?

Er wußte es nicht. Er machte weiter, so gut er konnte.

Elf

Unter Mr. Kotts Haut befanden sich abgestorbene Knochen, glänzend und feucht. Mr. Kott war ein Sack voller Knochen, schmutzig und dennoch feucht glänzend. Sein Kopf war ein Totenschädel, der Geldscheine in sich aufnahm und zerkaute; in seinem Innern verrotteten die Scheine, etwas fraß sie und machte sie tot. Auch Jack Bohlen war ein abgestorbener Sack, in dem es von Kwatsch wimmelte. Das Äußere, auf das fast jeder hereinfiel - es war wunderschön bemalt und roch gut -, beugte sich über Miss Anderton, und er sah das; er sah, daß er sie auf ekelhafte Weise begehrte. Er spülte sein nasses, klebriges Selbst immer näher an sie heran, und die Worte des toten Käfers brachen aus ihm hervor und fielen auf sie herab. Die Worte des toten Käfers krabbelten in ihre Kleiderfalten, und einige zwängten sich in ihre Haut und drangen in ihren Körper ein.