»Ich liebe Mozart«, sagte Mr. Kott. »Ich lege einmal dieses Band ein.«
Die Kleider, die sie trug, juckten sie, sie waren voller Haare und Staub und dem Mist der Käferworte. Sie kratzte sich, und die Kleider zerrissen zu Streifen. Sie schlug ihre Zähne in die Streifen und kaute sie.
Mr. Kott fingerte an den Knöpfen des Verstärkers herum und sagte: »Bruno Walter dirigiert. Eine Rarität aus der goldenen Zeit der Schallplatte.«
Ein schauerliches Kreischen und Kratzen explodierte irgendwo im Zimmer, und nach einer Weile wurde ihr klar, daß es von ihr kam; in ihr zuckte es, all die Leichendinge in ihr wuselten und krochen umher, kämpften darum, ans Licht des Zimmers zu gelangen. Herrje, wie sollte sie sie aufhalten? Sie traten aus ihren Poren aus und huschten davon, ließen sich an klebrigen Netzfäden zu Boden und verschwanden zwischen den Diehlenritzen.
»Tut mir leid«, murmelte Arnie Kott.
»Das war ja ein schöner Schreck. Mit so was solltest du uns lieber verschonen, Arnie.« Sie erhob sich vom Sofa und schob das dunkle, übelriechende Etwas beiseite, das sich an sie klammerte. »Dein Sinn für Humor ...« sagte sie.
Er drehte sich um und sah, wie sie ihr letztes Kleidungsstück abstreifte. Er hatte das Tonband weggelegt und kam jetzt mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
»Mach schon«, sagte sie, und dann lagen sie zusammen auf dem Boden; er entledigte sich seiner Kleidung mit den Füßen, grub die Zehen in das Gewebe und riß solange daran, bis er es los war. Die Arme umeinandergeschlungen, wälzten sie sich in die Dunkelheit unter dem Ofen und schwitzten und stießen dort, schluckten gierig den Staub und die Hitze und die Feuchtigkeit ihrer Leiber. »Weiter«, sagte sie und preßte ihm die Knie in die Seiten, bis es ihm weh tat.
»Ein Mißgeschick«, sagte Arnie, und dabei hielt er sie auf den Boden gedrückt und atmete ihr ins Gesicht.
Am unteren Rand des Ofens erschienen Augen; etwas lugte zu ihnen herein, während sie sich gemeinsam in der Dunkelheit bewegten - sah ihnen zu. Es hatte Leim, Schere und Zeitschrift zur Seite gelegt, alles fallen gelassen, um ihnen zuzusehen und sich daran zu erfreuen und jeden einzelnen Stoß, mit dem sie sich gegeneinander rammten, auszukosten.
»Hau ab!« keuchte sie. Aber es haute nicht ab. »Weiter«, sagte sie dann, und es lachte sie an. Es lachte und lachte, während sie und das Gewicht auf ihr weitermachten. Sie konnten einfach nicht aufhören.
Kwatsch mich weiter, sagte sie. Kwatsch kwatsch kwatsch mich, steck deinen Kwatsch in mich rein, in meinen Kwatsch, du Kwatscher. Kwatsch kwatsch, ich liebe Kwatsch! Hör nicht auf. Kwatsch, kwatsch kwatsch kwatsch, kwatsch!
*
Als Jack Bohlen mit dem Hubschrauber der Yee Company den Landeplatz der Public School direkt unter sich anflog, schaute er kurz zu Manfred und fragte sich, was dem Jungen wohl durch den Kopf ging. In Gedanken versunken starrte Manfred Steiner reglos nach draußen, sein Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die Jack abstieß und von der er schleunigst den Blick abwandte.
Wieso hatte er sich überhaupt auf den Jungen eingelassen? fragte er sich. Doreen hatte recht; er steckte bis zum Hals mit drin, und seine eigene unterschwellige Veranlagung zur Schizophrenie wurde durch die Gegenwart des Jungen an seiner Seite wieder zum Leben erweckt. Aber er wußte nicht, wie er aus der Sache herauskommen sollte; irgendwie war es dafür zu spät, als wäre die Zeit kollabiert und hätte ihn hier für alle Ewigkeit in einer Symbiose mit diesem unglückseligen, stummen Geschöpf vereint, das nichts weiter tat, als wieder und wieder seine private Welt zu durchstöbern und zu überprüfen.
Er hatte sich Manfreds Weltsicht in mancher Hinsicht zu eigen gemacht, und offenbar führte das dazu, daß seine eigene kaum merklich zerfiel.
Heute abend, dachte er. Bis heute abend muß ich noch durchhalten: Irgendwie muß ich es schaffen, bis ich mich mit Arnie Kott treffe. Dann kann ich alles zum Teufel schicken und in mein eigenes Reich, meine eigene Welt zurückkehren; dann brauche ich Manfred Steiner nicht mehr zu sehen.
Arnie, um Himmels willen, rette mich, dachte er.
»Da wären wir«, sagte er, als der Hubschrauber mit einem Ruck auf dem Dachlandeplatz aufsetzte. Er stellte den Motor ab.
Sofort schob sich Manfred zur Tür, ganz versessen darauf, auszusteigen.
Der Laden hier interessiert dich also, dachte Jack. Möchte wissen, warum. Er richtete sich auf und entriegelte die Hubschraubertür; Manfred hopste hinaus aufs Dach und sauste zur Rampe, fast so, als wüßte er den Weg auswendig.
Als Jack aus dem Schiff stieg, verschwand der Junge gerade aus seinem Blickfeld. Ganz allein war er die Rampe hinuntergeeilt und in die Schule geflitzt.
Doreen Anderton und Arnie Kott, sagte sich Jack. Die beiden Menschen, die mir am meisten bedeuten, die Freunde, zu denen ich den engsten Kontakt habe, die mir im Leben am vertrautesten sind. Und doch ist es dem Jungen gelungen, sich zwischen uns zu drängen; er hat meine Bindungen dort aufgebrochen, wo sie am stärksten sind.
Was bleibt mir noch? fragte er sich. Wenn ich erst von ihnen getrennt bin, folgt der Rest - mein Sohn, meine Frau, mein Vater, Mr. Yee - fast automatisch, zwangsläufig.
Ich weiß, was auf mich zukommt, wenn ich mich weiter Schritt für Schritt an diesen total psychotischen Jungen verliere. Jetzt begreife ich, was eine Psychose ist: hochgradige Wahrnehmungsstörung von Objekten der Außenwelt, besonders den Objekten, die wirklich zählen: warmherzigen Menschen. Und was tritt an ihre Stelle? Entsetzliche Befangenheit - im endlosen Auf und Ab des Selbst. Veränderungen im Innern, die sich nur auf das Innenleben auswirken. Eine Spaltung in zwei Welten, Innenwelt und Außenwelt, so daß keine der beiden die andere mehr zur Kenntnis nimmt. Beide bestehen weiter, gehen aber getrennte Wege.
Es ist ein Innehalten der Zeit. Das Ende der Erfahrung und alles Neuen. Wenn eine Person psychotisch wird, erlebt sie nie wieder etwas.
Und ich, wurde ihm klar, stehe auf der Kippe. Vielleicht war es ja schon immer so; es steckte von Anfang an in mir drin. Aber mit diesem Jungen als Führer habe ich einen langen Weg zurückgelegt. Oder vielmehr, durch ihn bin ich einen langen Weg gegangen.
Ein geronnenes Selbst, starr und unermeßlich, das alles andere auslöscht und das ganze Feld beherrscht. Die geringste Veränderung wird mit größtem Interesse geprüft. In diesem Stadium befand Manfred sich jetzt; er hatte sich schon immer darin befunden. Im letzten Stadium der Schizophrenie.
»Manfred, warte«, rief er und folgte dem Jungen langsam die Rampe hinab ins Gebäude der Public School.
*
Silvia Bohlen saß in June Henessys Küche, trank Kaffee und legte ihr die allerneuesten Probleme dar.
»Das Schreckliche an ihnen ist«, sagte sie und meinte damit Erna Steiner und die Steiner-Kinder, »daß sie, sagen wir's freiweg, vulgär sind. Man sollte ja nicht darüber sprechen, aber ich hatte gezwungenermaßen so oft mit ihnen zu tun, daß ich's einfach nicht länger hinnehmen kann; jeden Tag erhalte ich Kostproben davon.«
June Henessy, in weißen Shorts und mit knappem Oberteil, schlenderte barfuß im Haus hierhin und dorthin und begoß aus einer Glaskaraffe die verschiedenen Zimmerpflanzen. »Das ist wirklich ein seltsamer Junge. Er ist der schlimmste von allen, stimmt's?«
Fröstelnd sagte Silvia: »Und er ist den ganzen Tag bei uns. Jack arbeitet mit ihm, weißt du, er will aus ihm ein Mitglied der menschlichen Rasse machen. Ich finde ja, sie sollten solche Mißgeburten und Schwachköpfe einfach ausmerzen; auf lange Sicht ist es doch mörderisch, sie am Leben zu erhalten; das ist ihnen und uns gegenüber falsche Barmherzigkeit. Der Junge muß sein Leben lang gepflegt werden; er wird nie aus der Anstalt herauskommen.«
June kehrte mit der leeren Karaffe in die Küche zurück und sagte: »Ich muß dir unbedingt erzählen, was Tony gestern gemacht hat.« Tony war ihr derzeitiger Liebhaber; die Affäre dauerte jetzt schon sechs Monate, und sie hielt die anderen Damen, besonders Silvia, auf dem laufenden. »Wir waren neulich im Genf II essen, einem französischen Restaurant, das er kennt; wir hatten Escargots bestellt - du weißt schon, Schnecken. Die werden im Gehäuse serviert, und man puhlt sie mit einer gräßlich aussehenden Gabel heraus, die Zinken hat -einen Meter lang. Natürlich ist das alles Schwarzmarktessen; wußtest du das? Daß es Restaurants gibt, die nur Delikatessen vom Schwarzmarkt servieren? Ich nicht, bis Tony mich dorthin mitgenommen hat. Den Namen darf ich dir natürlich nicht sagen.«