»Großer Gott«, sagte sie ganz verzückt. »Woher haben Sie das?«
»Teuer, aber es lohnt sich.« Die Augen des dunklen Mannes bohrten sich in ihre. »Finden Sie nicht auch? Erinnerungen an die Zeit zu Hause, sanfter Kerzenschein und Tanzmusik von einem Orchester ... wilde Romanzen an wechselnden Orten, ein Genuß für Auge und Ohr.« Er lächelte sie lange und ungeniert an.
Schwarzmarkt, wurde ihr klar.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sagte: »Sehen Sie, das hier ist nicht mein Haus. Ich wohne ungefähr eine Meile weiter unten am Kanal.« Sie wies in die Richtung. »Ich - bin sehr interessiert.«
Das Lächeln des Mannes versengte sie.
»Sie sind zum ersten Mal in dieser Gegend, stimmt's?« sagte sie nun stotternd, regelrecht verwirrt. »Ich habe Sie noch nie hier gesehen. Wie heißen Sie? Ich meine, wie nennt sich Ihre Firma?«
»Ich heiße Otto Zitte.« Er überreichte ihr eine Karte, die sie kaum ansah; sie konnte den Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. »Meine Firma besteht schon lange, ist aber erst kürzlich - aufgrund unvorhersehbarer Umstände - völlig umorganisiert worden, so daß ich nun in der Lage bin, neue Kunden selbst zu begrüßen. Solche wie Sie.«
»Kommen sie rüber?«
»Ja, etwas später am Nachmittag ... dann können wir in aller Ruhe ein verblüffendes Angebot an Importwaren durchgehen, für die ich den Exklusivvertrieb habe.« Er erhob sich katzengleich.
June Henessy war wieder aufgetaucht. »Hallo«, sagte sie mit leisem, vorsichtigem Interesse.
»Meine Karte.« Otto Zitte hielt ihr das weiße Rechteck mit Prägeschrift hin. Nun hatten beide Damen seine Karte; jede las ihre aufmerksam.
Otto Zitte zeigte sein gerissenes, einschmeichelndes, strahlendes Lächeln und winkte seinen zahmen Bleichmann heran, damit er auch noch den anderen Koffer ablegte und öffnete.
*
In seinem Sprechzimmer in Camp Ben-Gurion hörte Dr. Milton eine Frauenstimme auf dem Flur, rauh und voller Nachdruck, aber unmißverständlich weiblich. Er horchte und bekam mit, daß eine Schwester sie fortschicken wollte, und wußte, daß es sich um Anne Esterhazy handelte, die hier war, um ihren Sohn Sam zu besuchen.
Er öffnete den Aktenschrank, blätterte bis E, und kurz darauf lag der Vorgang Esterhazy, Samuel ausgeklappt vor ihm auf dem Schreibtisch.
Das war ja interessant. Der kleine Junge war unehelich geboren, mehr als ein Jahr, nachdem Mrs. Esterhazy sich von Arnie Kott hatte scheiden lassen. Er war auch unter ihrem Namen in Camp B-G aufgenommen worden. Trotzdem handelte es sich zweifellos um einen Nachkommen von Arnie Kott; der Vorgang enthielt reichlich Informationen über Arnie, weil die Gutachterärzte die Blutsverwandtschaft als absolut erwiesen angesehen hatten.
Offenbar sahen sich Arnie und Anne Esterhazy immer noch, obgleich ihre Ehe längst beendet war, nachhaltig genug jedenfalls, um ein Kind zu zeugen. Ihre Beziehung war also nicht bloß geschäftlicher Natur.
Eine Zeitlang dachte Dr. Glaub darüber nach, wie sich diese Information möglicherweise nutzen ließ. Hatte Arnie Feinde? Nicht, daß er wüßte; alle Welt mochte Arnie - das heißt, alle mit Ausnahme von Dr. Glaub. Anscheinend war Dr. Glaub die einzige Person auf dem Mars, die Arnies Hand unangenehm zu spüren bekommen hatte, eine Vorstellung, bei der Dr. Glaub sich nicht gerade wohler fühlte.
Dieser Mann hat mich auf die unmenschlichste und hochmütigste Art und Weise behandelt, sagte er sich zum millionsten Mal. Aber was ließ sich dagegen schon tun? Er konnte Arnie immer noch seine Rechnung schicken ... in der Hoffnung, wenigstens einen Hungerlohn für seine Dienste zu ergattern. Aber das würde auch nicht helfen. Er wollte viel mehr haben - er hatte ein Recht darauf. Wieder studierte Dr. Glaub den Vorgang. Seltsamer Bursche, dieser Samuel Esterhazy; so ein Fall war ihm noch nicht untergekommen. Der Junge schien ein Rückschritt zu einer uralten Form von Halbmensch zu sein, oder zu einer Spielart, die nicht überdauert hatte: einer, die teilweise im Wasser lebte. Das erinnerte Glaub an eine Theorie, die von einer ganzen Reihe Anthropologen vertreten wurde, wonach der Mensch von wasserbewohnenden Affen abstamme, die in der Brandung und in seichten Gewässern zu Hause gewesen seien.
Sams IQ, stellte er fest, lag nur bei 73. Eine Schande. -Um so mehr, dachte er plötzlich, weil man Sam zweifellos eher als geistig zurückgeblieben betrachten mußte denn als anormal. Camp B-G war nicht als Anstalt für bloß Zurückgebliebene gedacht, und ihr Leiter Susan Haynes hatte schon mehrere pseudoautistische Kinder, bei denen sich herausgestellt hatte, daß sie ganz gewöhnliche Schwachsinnige waren, zu ihren Eltern zurückgeschickt. Das Problem der Diagnose hatte die Ausleseprüfung natürlich erschwert. Und im Fall des Esterhazy-Jungen kam noch das körperliche Stigma hinzu ...
Kein Zweifel, entschied Dr. Glaub. Ich habe die Begründung gefunden: Ich kann das Esterhazy-Kind nach Hause zurückschicken. Die Public School konnte ihn problemlos unterrichten, auf sein Niveau herunterschalten. Lediglich physisch konnte man ihn als »abnorm« bezeichnen, und unsere hiesige Aufgabe besteht nicht darin, daß wir uns um Körperbehinderte kümmern.
Aber welches Motiv habe ich? fragte er sich.
Möglicherweise tue ich es, um Arnie Kott heimzuzahlen, daß er mich so grausam behandelt hat.
Nein, entschied er, das erscheint mir nicht sehr wahrscheinlich; ich bin psychologisch gesehen nicht der Typ, der auf Rache sinnt - das täte eher der analausstoßende Typ oder vielleicht der oral-beißende. Und er hatte sich schon vor langer Zeit als spätgenitalen Typ klassifiziert, der sich um reife Geschlechtsbeziehungen bemüht.
Andererseits hatte ihn sein Streit mit Arnie Kott zugegebenermaßen veranlaßt, im Vorgang des EsterhazyKindes herumzustöbern ... es gab also einen geringfügigen, wenn auch begrenzten Kausalzusammenhang.
Als er weiter im Vorgang las, machte ihn die seltsame Beziehung, die sich darin offenbarte, wieder ganz betroffen. Da setzten sie also noch Jahre, nachdem ihre Ehe beendet war, ein sexuelles Verhältnis fort. Wieso hatten sie sich eigentlich scheiden lassen? Vielleicht hatte es eine ernste Kraftprobe zwischen ihnen gegeben; Anne Esterhazy war eindeutig ein dominanter Frauentyp mit stark maskulinen Zügen, was Jung die »animusbesessene« Frau nannte. Um erfolgreich mit so einem Typ umzugehen, mußte man die beherrschende Rolle spielen; man mußte gleich zu Beginn die Autorität für sich beanspruchen und durfte sie nie mehr abgeben. Jeder Zweifel an der angestammten Position führte dazu, daß man schnell unterlag.
Dr. Glaub legte den Vorgang beiseite und schlenderte dann den Flur zum Spielzimmer entlang. Er stöberte Mrs. Esterhazy auf; sie spielte mit ihrem Jungen Bohnentütenfangen. Er ging zu ihnen hinüber und stand beobachtend daneben, bis sie es merkte und aufhörte.
»Hallo, Dr. Glaub«, sagte sie vergnügt.
»Guten Tag, Mrs. Esterhazy. Ehm ... wenn Sie mit dem Besuch fertig sind, kommen Sie dann bitte in mein Büro?«
Es tat ihm wohl zu sehen, wie sich die sachkundige, selbstzufriedene Miene der Frau in plötzlicher Sorge verdüsterte. »Natürlich, Dr. Glaub.«
Zwanzig Minuten später saß er ihr am Schreibtisch gegenüber.
»Mrs. Esterhazy, als Ihr Junge damals ins Camp B-G kam, gab es gewisse Zweifel an der Natur seiner Probleme. Eine Zeitlang war man der Ansicht, daß es sich um eine Geistesstörung handelt, möglicherweise eine traumatische Neurose oder.«
Die Frau unterbrach ihn entschieden. »Doktor, Sie wollen mir sagen, daß Sams einziges Problem seine begrenzte Lernfähigkeit ist und er deshalb nicht länger hier bleiben kann; ist es nicht so?«
»Und das körperliche Problem«, sagte Dr. Glaub.
»Aber das ist nicht Ihre Sorge.«
Er machte eine Handbewegung, die zugleich Resignation und Einverständnis ausdrückte.
»Wann muß ich ihn mit nach Hause nehmen?« Ihr Gesicht war weiß, und sie zitterte; ihre Hände griffen nach ihrer Handtasche, hielten sich daran fest.