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»Oh, in drei, vier Tagen. Einer Woche.«

Mrs. Esterhazy biß sich in die Fingerknöchel und starrte blicklos auf den Teppich des Sprechzimmers hinunter. Zeit verstrich. Dann sagte sie mit bebender Stimme: »Doktor, wie Sie vielleicht wissen, habe ich mich seit einer Weile dafür eingesetzt, daß ein Gesetzentwurf, der gerade der UN vorliegt und wonach Camp B-G geschlossen werden soll, nicht durchgeht.« Ihre Stimme gewann an Kraft. »Wenn ich gezwungen werde, Sam zu mir zu nehmen, werde ich meine Unterstützung für Ihre Sache zurückziehen, und Sie können sicher sein, daß der Gesetzentwurf wirksam wird. Und ich werde Susan Haynes über die Gründe informieren, aus denen ich meine Unterstützung zurückziehe.«

Ganz allmählich durchlief Dr. Glaub eine kalte Woge des Entsetzens. Er wußte nicht, was er sagen sollte.

»Verstehen Sie, Doktor?« sagte Mrs. Esterhazy.

Es gelang ihm zu nicken.

Mrs. Esterhazy erhob sich und sagte: »Doktor, ich bin schon lange in der Politik tätig. Arnie Kott hält mich für eine Wohltäterin, eine Amateurin, aber das bin ich nicht. Glauben Sie mir, auf manchen Gebieten bin ich politisch äußerst gewitzt.«

»Ja«, sagte Dr. Glaub, »das sehe ich.« Automatisch erhob auch er sich; er geleitete sie zur Tür des Sprechzimmers.

»Bitte schneiden Sie diese Frage wegen Sam nie wieder an«, sagte die Frau, als sie die Tür öffnete. »Es ist zu schmerzlich für mich. Ihn für abnorm zu halten, fällt mir viel leichter.« Sie sah ihn offen an. »Es ist mir einfach nicht möglich, ihn als zurückgeblieben zu betrachten.« Sie drehte sich um und ging rasch davon.

Das war ja wohl ein Schlag ins Wasser, sagte sich Dr. Glaub, als er zitternd seine Sprechzimmertür schloß. Die Frau ist offenbar eine Sadistin - starker Hang zur Feindseligkeit in Verbindung mit extremen Aggressionen.

Er setzte sich hinter den Schreibtisch, zündete sich eine Zigarette an und zog mutlos daran, während er versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen.

*

Als Jack Bohlen das untere Ende der Rampe erreicht hatte, sah er von Manfred keine Spur. Mehrere Kinder schlenderten vorbei, zweifellos auf dem Weg zu ihren Lehrern. Er suchte überall, und fragte sich, wohin der Junge gelaufen sein mochte. Und warum so schnell? Das war kein gutes Zeichen.

Weiter vorn hatte sich eine Gruppe von Kindern um einen Lehrer versammelt, einen hochgewachsenen Herrn mit buschigen Augenbrauen, den Jack als Mark Twain erkannte. Aber Manfred war nicht dabei.

Als Jack an dem Mark Twain vorbeigehen wollte, unterbrach dieser seinen Monolog an die Kinder, paffte ein paarmal an seiner Zigarre und rief hinter Jack her: »Mein Freund, kann ich Ihnen behilflich sein?«

Jack blieb stehen und sagte: »Ich suche einen kleinen Jungen, den ich hierher mitgebracht habe.«

»Ich kenne alle jungen Burschen hier«, antwortete die Mark-Twain-Lehrmaschine. »Wie heißt er denn?«

»Manfred Steiner.« Er beschrieb den Jungen, während die Lehrmaschine aufmerksam zuhörte.

»Hmm«, sagte sie, als er fertig war. Sie rauchte eine Weile und ließ die Zigarre dann wieder sinken. »Ich glaube, Sie werden den jungen Mann drüben beim römischen Kaiser Tiberius finden, in ein Gespräch vertieft. Jedenfalls haben mir das die Mächtigen, die mit der Leitung dieser Organisation betraut sind, gerade mitgeteilt; ich spreche vom Rektorschaltkreis, Sir.«

Tiberius. Ihm war nicht klar gewesen, daß auch solche Personen hier in der Public School vertreten waren: die unrühmlichen und geistesgestörten Gestalten der Geschichte. Der Mark Twain schloß offensichtlich von seinem Gesichtsausdruck auf seine Gedanken.

»Hier in der Schule«, informierte er ihn, »finden Sie bei Ihrem Rundgang durch die Hallen, Sir, als Beispiele, denen es nicht etwa nachzueifern, sondern die es ängstlich zu meiden gilt, eine große Anzahl von Gaunern, Piraten und Schurken, die zur Aufklärung der Jugend wehklagend und lamentierend ihre erbauliche Geschichte predigen.« Wieder paffte der Mark Twain an seiner Zigarre und zwinkerte ihm zu. Ganz verwirrt eilte Jack weiter.

Beim Immanuel Kant blieb er stehen, um nach der Richtung zu fragen. Mehrere halbwüchsige Schüler bildeten einen Halbkreis um den Lehrer.

»Den Tiberius«, erklärte dieser mit starkem Akzent, »finden Sie da hinten.« Er wies ihm mit absoluter Autorität den Weg; es gab keinen Zweifel, und Jack lief sofort den entsprechenden Flur entlang.

Einen Augenblick später stellte er fest, daß er sich der schmächtigen, weißhaarigen, zerbrechlich aussehenden Gestalt des römischen Kaisers näherte. Sie schien in Gedanken versunken zu sein, als er auf sie zuging, aber ehe er sie ansprechen konnte, wandte sie ihm den Kopf zu.

»Der Knabe, nach dem Sie suchen, ist nicht mehr hier. Er gehört doch zu Ihnen, oder? Ein auffallend hübscher Jüngling.« Dann verstummte sie, als hielte sie Zwiesprache mit sich selbst. In Wahrheit, wußte Jack, setzte sie sich wieder mit dem Rektorschaltkreis der Schule in Verbindung, der jetzt alle Lehrmaschinen anwies, Manfred für ihn ausfindig zu machen. »Zur Zeit spricht er mit niemandem«, sagte der Tiberius gleich darauf.

Also ging Jack weiter. Eine blinde Frauengestalt mittleren Alters lächelte ihn an, als er vorbeikam; er wußte nicht, wer sie war, und es sprachen auch keine Kinder mit ihr. Aber plötzlich sagte sie: »Der Junge, den Sie suchen, ist bei Philipp dem Zweiten von Spanien.« Sie deutete auf den Flur rechts von ihm und sagte dann mit seltsamer Stimme: »Bitte beeilen Sie sich; wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie ihn so bald wie möglich aus der Schule entfernen würden. Vielen Dank.« Mit einem Klicken verstummte sie. Jack eilte den Flur entlang, den sie ihm gewiesen hatte.

Unmittelbar darauf bog er in einen weiteren Flur ein und stellte fest, daß er vor der bärtigen, asketischen Gestalt Philipps des Zweiten stand. Manfred war nicht mehr hier, aber ein unfaßbarer Hauch seiner Gegenwart schien noch in der Luft zu hängen.

»Er ist gerade erst gegangen, werter Herr«, sagte die Lehrmaschine. Ihre Stimme wies die gleiche seltsame Dringlichkeit auf wie einen Augenblick zuvor die Frauengestalt. »Bitte suchen Sie ihn und bringen Sie ihn fort; wir wären Ihnen sehr dankbar.«

Ohne noch länger zu warten, stürzte Jack den Flur entlang, von panischer Angst erfüllt.

»... sehr dankbar«, sagte eine sitzende Gestalt in weißer Robe, als er vorbeikam. Und als er einen Grauhaarigen im Frack passierte, nahm auch dieser die drängende Litanei der Schule auf. »... so bald wie möglich.«

Er bog um eine Ecke. Und da war Manfred.

Der Junge saß allein auf dem Boden, an die Wand gelehnt, den Kopf gesenkt und offenbar tief in Gedanken.

Jack beugte sich zu ihm hinab und sagte: »Wieso bist du weggelaufen?«

Der Junge antwortete nicht. Jack berührte ihn, aber er reagierte immer noch nicht.

»Ist mit dir alles in Ordnung?« fragte Jack ihn.

Plötzlich bewegte der Junge sich, rappelte sich auf und stand Jack gegenüber.

»Was hast du?« wollte Jack wissen.

Es kam keine Antwort. Aber auf dem Gesicht des Jungen lagen die Schatten undeutlicher, aufgewühlter Gefühle, die kein Ventil fanden; er starrte Jack an, als sähe er ihn gar nicht. Ganz von sich in Anspruch genommen, unfähig, in die Außenwelt durchzubrechen.

»Was ist passiert?« fragte Jack. Aber er wußte, daß er es nie herausfinden würde; das Wesen vor ihm war nicht imstande, sich zu verständigen. Nur das Schweigen blieb, die völlige Abwesenheit von Kommunikation zwischen ihnen, eine Leere, die nicht gefüllt werden konnte.

Da wandte der Junge den Blick ab und setzte sich wieder wie ein Häufchen Elend auf den Boden.

»Du bleibst hier«, sagte Jack zu ihm. »Ich seh zu, ob ich sie nicht dazu bringen kann, mir David herzuholen.« Vorsichtig entfernte er sich von dem Jungen, und Manfred rührte sich nicht. Als er zu einer Lehrmaschine kam, sagte Jack zu ihr: »Ich möchte gern David Bohlen sprechen; ich bin sein Vater. Ich nehme ihn mit nach Hause.«