»Er ist recht kräftig, Herr«, sagte Helio.
»Sie nehmen den Jungen mit«, murmelte Jack.
»Genau«, sagte Arnie. »Was dagegen?«
Jack Bohlen antwortete nicht, blickte aber grimmiger drein denn je. Plötzlich platzte es aus ihm heraus: »Sie können dem Jungen nicht zumuten, fünf Tage lang durch die Wüste zu laufen - das bringt ihn ja um.«
»Weshalb kannst du nicht ein Fahrzeug nehmen?« fragte Doreen. »Einen dieser billigen Traktorbusse, den UN-Briefträger benutzen, um die Post zuzustellen. Es würde immer noch lange dauern; es wäre immer noch eine Wallfahrt.«
»Wie sieht's damit aus?« sagte Arnie zu Helio.
Nach längerem Nachdenken sagte der Bleichmann: »Ich denke, das kleine Gefährt, von dem Sie sprechen, wäre zulässig.«
»Fein«, sagte Arnie, und damit war es beschlossene Sache. »Ich ruf ein paar Leute an, die ich kenne, und besorg mir einen dieser Postbusse. Du hast mich auf eine tolle Idee gebracht, Doreen; das weiß ich zu schätzen. Natürlich müßt ihr beiden trotzdem über uns bleiben, zur Sicherheit, falls wir eine Panne haben.«
Jack und Doreen nickten.
»Wenn ich erst da bin, wo ich hinwill«, sagte Arnie, »wird euch vielleicht klar, was ich vorhabe.« Todsicher wird es das; daran besteht gar kein Zweifel.
»Das ist alles sehr seltsam«, sagte Doreen; sie stand dicht bei Jack Bohlen und hielt seinen Arm fest.
»Gebt nicht mir die Schuld«, sagte Arnie. »Gebt sie Helio.« Er grinste.
»Stimmt«, sagte Helio. »Es war meine Idee.«
Aber ihre Mienen blieben unverändert.
»Haben Sie heute schon mit Ihrem Dad gesprochen?« fragte Arnie Jack.
»Ja. Ganz kurz, am Telefon.«
»Ist sein Gelände schon eingetragen, alles dingfest gemacht? Keine Schlupflöcher?«
Jack sagte: »Er sagt, alles sei ordentlich abgewickelt worden. Er bereitet jetzt seinen Rückflug zur Erde vor.«
»Tüchtige Leistung«, sagte Arnie. »So was bewundere ich. Taucht hier auf dem Mars auf, steckt sein Gelände ab, geht zum Grundbuchamt, läßt es dort eintragen und fliegt dann zurück. Nicht schlecht.«
»Was haben Sie vor, Arnie?« sagte Jack mit ruhiger Stimme.
Arnie zuckte die Achseln. »Ich muß diese heilige Wallfahrt machen, zusammen mit Manfred. Das ist alles.«
Aber er grinste noch immer; er konnte nicht anders. Er konnte es sich nicht verkneifen und versuchte es auch gar nicht erst.
*
Die Benutzung des UN-Postbusses verkürzte die vorgesehene Wallfahrt von Lewistown zum Schmutzigen Knorren von fünf Tage auf ganze acht Stunden; so rechnete Arnie jedenfalls. Dann brauche ich ja nur noch aufzubrechen, sagte er sich, während er mit großen Schritten durchs Wohnzimmer lief.
Am Straßenrand vor dem Gebäude saß Helio mit Manfred in dem geparkten Billigbus. Arnie konnte sie weit unten durchs Fenster erkennen. Er holte seine Waffe aus der Schreibtischschublade, steckte sie in die Manteltasche, schloß den Schreibtisch ab und eilte ins Vorzimmer hinaus.
Einen Moment später erschien er auf dem Bürgersteig und ging auf den Bus zu.
»Also los!« sagte er zu Manfred. Helio stieg aus dem Bus aus, und Arnie setzte sich hinters Steuer. Er brachte die kleine Turbine auf Touren; sie machte Geräusche wie eine Hummel im Glas. »Klingt prima«, sagte er zufrieden. »Mach's gut, Helio! Wenn die Sache Erfolg hat, kannst du mit einer Belohnung rechnen - vergiß das nicht.«
»Ich erwarte keine Belohnung«, sagte Helio. »Ich erfülle Ihnen gegenüber nur meine Pflicht, Herr; täte ich für jeden.«
Arnie löste die Bremse und fuhr in den Vorabendverkehr des Geschäftsviertels von Lewistown hinaus. Sie waren unterwegs. Jack Bohlen und Doreen kreuzten über ihnen bestimmt schon im Hubschrauber; Arnie machte sich nicht die Mühe, nach ihnen Ausschau zu halten, für ihn stand fest, daß sie da waren. Er winkte Helio zum Abschied, dann nahm ihm ein riesiger Traktorbus hinter seinem Postbus die Sicht; Helio war nicht mehr zu sehen.
»Wie findest du das, Manfred?« sagte Arnie, als er den Bus auf den Stadtrand von Lewistown und die dahinterliegende Wüste zusteuerte. »Ist das nichts? Der macht glatt seine fünfzig Meilen die Stunde, das ist nicht von Pappe.«
Der Junge gab keine Antwort, zitterte aber vor Aufregung am ganzen Leib.
»Ist doch irre«, erklärte Arnie und beantwortete seine Frage selbst.
Sie hatten Lewistown schon fast hinter sich gelassen, als Arnie ein Wagen auffiel, der zu ihm aufgeschlossen hatte und jetzt mit derselben Geschwindigkeit wie sie neben ihnen herfuhr. Er sah, daß zwei Personen in dem Wagen saßen, ein Mann und eine Frau; erst dachte er, es wären Jack und Doreen, aber dann wurde ihm klar, daß es sich um seine Exfrau Anne Esterhazy und Dr. Milton Glaub handelte.
Was, zum Teufel, wollen die? fragte sich Arnie. Sehen die nicht, daß ich zu tun habe und nicht gestört werden will, aus welchem Grund auch immer?
»Kott«, schrie Dr. Glaub, »fahren Sie an den Straßenrand, wir müssen mit Ihnen reden! Es ist lebenswichtig!«
»Schert euch zum Teufel«, knurrte Arnie und beschleunigte. Mit der Linken tastete er nach seiner Waffe. »Ich hab euch nichts zu sagen, und wieso macht ihr eigentlich gemeinsame Sache?« Was er da sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Paßt zu denen, sich zusammenzurotten, sagte er sich. Hätte ich mit rechnen müssen. Er schaltete den tragbaren Sender an und nahm Verbindung mit seinem Kämmerer Eddy Goggins im Gildehaus auf. »Hier Arnie. Mein Kreiselkompaß zeigt genau 8.45702 an, direkt am Stadtrand. Komm schnell her - hier sind welche, um die sich einer kümmern muß. Beeil dich, sie holen auf!« In Wahrheit waren sie nie hinter ihm zurückgefallen; es fiel ihnen nicht schwer, das Tempo des kleinen Busses zu halten und sogar schneller zu fahren.
»Geht klar, Arnie«, sagte Eddy Goggins. »Ich schick gleich ein paar von den Jungs; keine Bange.«
Auf einmal schnitt der Wagen sie und zog zum Straßenrand hinüber. Arnie verlangsamte notgedrungen und brachte den Bus zum Stehen. Der Wagen stellte sich so, daß ihnen der Fluchtweg versperrt war, und dann sprang Glaub heraus und lief mit fuchtelnden Armen auf sie zu.
»Jetzt ist Schluß mit Ihrem ewigen Herumgeschubse und Ihrer Tyrannei«, rief er Arnie zu.
Du liebe Zeit, dachte Arnie. Ausgerechnet jetzt. »Was wollen Sie?« sagte er. »Machen Sie's kurz; auf mich warten dringende Geschäfte.«
»Lassen Sie Jack Bohlen in Ruhe«, keuchte Dr. Glaub. »Ich vertrete ihn, und er braucht Ruhe und Frieden. Sie werden schon mit mir verhandeln müssen.«
Anne Esterhazy stieg aus dem Wagen; sie kam auf den Bus zu und baute sich vor Arnie auf. »Wenn ich die Situation richtig verstehe ...« fing sie an.
»Du verstehst gar nichts«, sagte Arnie giftig. »Laßt mich vorbei oder ich mach euch beide kalt.«
Über ihnen erschien ein Hubschrauber mit der Kennung der Kanalarbeitergilde und sank allmählich tiefer; das waren Jack und Doreen, nahm Arnie an. Und hinter ihnen tauchte mit enormer Geschwindigkeit ein zweiter Hubschrauber auf; das waren zweifellos Eddy und die Gildebrüder. Beide Hubschrauber schienen ganz in der Nähe landen zu wollen.
Anne Esterhazy sagte: »Arnie, ich weiß, daß dir etwas Furchtbares passieren wird, wenn du dein Vorhaben nicht aufgibst.«
»Mir?« sagte er amüsiert und ungläubig.
»Ich spüre es. Bitte, Arnie. Was auch immer du vorhast - überleg's dir noch mal. Es gibt soviel Gutes in der Welt; mußt du unbedingt Rache nehmen?«
»Fahr nach Neu-Israel zurück und kümmer dich um deinen verdammten Laden.« Er ließ den Motor des klapprigen Busses aufheulen.
»Dieser Junge«, sagte Anne. »Das ist Manfred Steiner, nicht wahr? Laß zu, daß Milton ihn ins Camp B-G zurückbringt; das ist für alle Beteiligten besser, für ihn und auch für dich.«
Einer der Hubschrauber war gelandet. Drei oder vier KAG-Leute sprangen heraus; sie kamen die Straße entlanggerannt, und als Dr. Glaub sie entdeckte, zerrte er mißmutig an Annes Ärmel.