Ich dachte, sie wäre repariert, dachte Arnie zornig. Können diese Idioten denn gar nichts beheben? Womöglich mußte er jetzt auf den Schwarzmarkt pilgern und sich zu einem horrenden Preis ein anderes Gerät kaufen. Er zuckte bei dem Gedanken zusammen.
Die nicht sonderlich gut aussehende Sekretärin vom Pool hatte ihm ruhig wartend gegenübergesessen und reagierte nun auf sein Nicken. Sie zückte Bleistift und Block und begann aufzunehmen, was er diktierte.
»Normalerweise«, sagte Arnie Kott, »kann ich verstehen, wie schwer es ist, alles in Schuß zu halten, wo es doch kaum Ersatzteile gibt und die Witterung hier Metall und Drähte massiv angreift. Aber ich hab's satt, bei einem so lebenswichtigen Gerät wie meiner Chiffriermaschine um kompetente Reparaturarbeiten zu betteln. Ich brauche sie einfach, und damit basta. Wenn ihr Typen also nicht dafür sorgen könnt, daß sie funktioniert, werde ich euch entlassen und euch die Lizenz für das Mechanikerhandwerk hier in der Siedlung entziehen, und unsere Wartung vertraue ich einem Kundendienst von außerhalb an.« Er nickte erneut, und das Mädchen hörte auf zu schreiben.
»Soll ich noch schnell den Chiffrierer in die Reparaturabteilung bringen, Mr. Kott?« fragte sie. »Es wäre mir eine Freude, Sir.«
»Ach was«, brummte Arnie. »Gehen Sie nur.«
Als sie fort war, nahm Arnie wieder seine New York Times zur Hand und las weiter. Zu Hause auf der Erde bekam man einen neuen Chiffrierer praktisch umsonst;
überhaupt konnte man zu Hause sogar ... verdammt. Was die für Sachen anboten - von alten römischen Münzen über Pelzmäntel und Campingausrüstungen bis zu Diamanten, Düsenflugzeugen und giftigem Digitalis. Meine Fresse!
Sein dringendstes Problem war jetzt aber, wie er ohne Chiffrierer seine Exfrau erreichen sollte. Vielleicht kann ich kurz vorbeigehen und mich mit ihr treffen, sagte sich Arnie. Prima Vorwand, um das Büro zu verlassen.
Er griff zum Telefon und ordnete an, daß man oben auf dem Dach des Gildehauses einen Hubschrauber bereitstellte, dann aß er die Reste des Frühstücks auf, wischte sich rasch den Mund ab und ging in Richtung Fahrstuhl.
»He, Arnie«, begrüßte ihn der Hubschrauberpilot, ein freundlich aussehender junger Mann vom Piloten-Pool.
»Hallo, mein Junge«, sagte Arnie, als der Pilot ihm in den Spezialledersitz half, den er eigens im Polsterladen der Siedlung hatte anfertigen lassen. Während der Pilot sich in den Sitz vor ihm zwängte, lehnte Arnie sich behaglich zurück, schlug die Beine übereinander und sagte: »Starten Sie jetzt einfach, und oben dirigiere ich Sie dann. Und gehen Sie's ruhig an, ich hab's nicht eilig. Scheint ein schöner Tag zu werden.«
»Ein wirklich schöner Tag«, sagte der Pilot, und der Rotor des Hubschraubers begann sich zu drehen. »Bis auf den Nebel da drüben bei den FDR-Bergen.«
Sie waren kaum in der Luft, als der Lautsprecher im Hubschrauber zum Leben erwachte. »Katastrophenmeldung. Bei Kompaßpunkt 4.65003 ist draußen in der offenen Wüste eine kleine Gruppe Bleicher durch Wetterbedingungen und Wassermangel vom Tode bedroht. Nördlich von Lewistown befindliche Schiffe werden gebeten, sofort mit größtmöglicher Geschwindigkeit diesen Punkt anzufliegen und Hilfe zu leisten. Das Gesetz der Vereinten Nationen verlangt von allen Handels- und Privatschiffen, daß sie der Aufforderung Folge leisten.« Die Meldung wurde im knappen Tonfall des UN-Sprechers wiederholt, der von einem UN-Sender an Bord des künstlichen Satelliten irgendwo über ihnen sprach.
Als Arnie merkte, daß der Hubschrauber seinen Kurs änderte, sagte er: »He, nicht doch, mein Junge.«
»Ich muß mich dran halten, Sir«, sagte der Pilot. »Gesetz ist Gesetz.«
Um Himmels willen, dachte Arnie entrüstet. Er machte sich eine mentale Notiz darüber, den Jungen feuern oder wenigstens vom Dienst suspendieren zu lassen, sobald sie von ihrem Ausflug zurück waren.
Schon befanden sie sich über der Wüste und strebten in beachtlichem Tempo dem Kompaßpunkt zu, den der UN-Sprecher genannt hatte. Bleiche Nigger, dachte Arnie. Wir müssen alles stehen und liegen lassen, um ihnen aus der Patsche zu helfen, diesen verdammten Narren - können die nicht einmal durch ihre eigene Wüste ziehen? Sind die nicht fünftausend Jahre lang ohne unsere Hilfe ausgekommen?
*
Als Jack Bohlen mit seinem Reparaturschiff der Yee Company zur Landung auf der McAuliff-Milchfarm ansetzte, hörte er den UN-Sprecher seine Katastrophenmeldung durchgeben, die gleiche, die Bohlen schon oft gehört hatte und die ihm jedesmal wieder einen Schauer über den Rücken jagte.
»... ist draußen in der offenen Wüste eine kleine Gruppe Bleicher«, erklärte die sachliche Stimme. »... durch Wetterbedingungen und Wassermangel vom Tode bedroht. Nördlich von Lewistown befindliche Schiffe ...«
Mein Revier, dachte sich Jack Bohlen. Er schaltete das Mikro ein und sagte: »Reparaturschiff der Yee Company nahe Kompaßpunkt 4.65003, sofort rettungsbereit. Könnte sie in zwei, drei Minuten erreichen.« Er schwenkte seinen Hubschrauber nach Süden, fort von McAuliffs Farm, und empfand diebische Freude bei dem Gedanken, wie erbost McAuliff jetzt sein mußte, wenn er den Hubschrauber abdrehen sah und sich den Grund dafür denken konnte. Keiner war so schlecht auf die Bleichmänner zu sprechen wie die großen Farmer; unablässig tauchten die ärmlichen, nomadisierenden Ureinwohner auf den Farmen auf und bettelten um Nahrung, Wasser, medizinische Hilfe und manchmal auch bloß um ein altmodisches Almosen, und nichts schien die wohlhabenden Milchfarmer rasender zu machen, als von den Wesen ausgenutzt zu werden, deren Land sie sich angeeignet hatten.
Jetzt meldete sich noch ein Hubschrauber. Der Pilot sagte: »Ich befinde mich außerhalb von Lewistown bei Kompaßpunkt 4.78995 und werde dem Hilferuf schnellstens Folge leisten. Ich habe Verpflegung an Bord, darunter fünfzig Gallonen Wasser.« Er identifizierte sich und schaltete ab.
Die Milchfarm mit den Kühen verschwand im Norden, und Jack Bohlen blickte wieder gespannt hinunter auf die offene Wüste und versuchte, die Gruppe Bleicher zu erspähen. Alles klar, da waren sie. Fünf Personen, im Schatten eines kleinen Steinhaufens. Sie rührten sich nicht. Vielleicht waren sie schon tot. Der UN-Satellit hatte sie auf seiner Bahn am Himmel entdeckt, doch er konnte ihnen nicht helfen. Ihre Mentoren waren machtlos. Und wir, die wir ihnen helfen können - was schert es uns? dachte Jack. Die Bleichmänner starben sowieso aus, und ihre kümmerlichen Reste wurden jedes Jahr zerlumpter und verzweifelter. Sie standen unter dem Schutz der UN. Schöner Schutz, dachte Jack.
Aber was konnte man für eine aussterbende Rasse tun? Die Zeit war für die Ureinwohner des Mars bereits abgelaufen gewesen, lange bevor damals in den Sechzigern das erste Sowjetschiff mit laufenden Fernsehkameras am Himmel aufgetaucht war. Es hatte keine Verschwörung irgendeiner Gruppe von Menschen gegeben, um sie auszurotten; das war nicht nötig gewesen. Und anfangs hatte man sie sogar als große Kuriosität gefeiert. Hier war eine Entdeckung endlich die Milliarden wert, die man bei der Aufgabe, den Mars zu erreichen, verpulvert hatte. Hier war eine extraterrestrische Rasse.
Er landete den Hubschrauber auf der ebenen Sandfläche in der Nähe der Bleichengruppe, schaltete den Rotor aus, öffnete die Tür und stieg aus.
Die heiße Morgensonne brannte auf ihn herab, als er über den Sand auf die reglosen Bleichmänner zuging. Sie lebten noch; sie hatten die Augen geöffnet und sahen ihm entgegen.
»Regen fällt von mir auf euch auserwählte Personen«, rief er ihnen zu, die korrekte Bleichmannbegrüßung im Dialekt der Bleichen.
Aus der Nähe erkannte er nun, daß die Gruppe aus einem schrumpeligen alten Paar, einem jungen männlichen und einem jungen weiblichen Wesen, zweifellos Mann und Frau, und deren Kind bestand. Anscheinend eine Sippe, die sich zu Fuß allein durch die Wüste aufgemacht hatte, wohl auf der Suche nach Wasser oder Nahrung; vielleicht war die Oase, in der sie ihr Leben gefristet hatten, versiegt. Das war typisch für die Misere der Bleichmänner, dieser Entschluß, auf einen Treck zu gehen. Hier lagen sie nun, unfähig zu jedem weiteren Schritt; sie waren zu etwas verkümmert, was einem Häufchen Trockengemüse glich, und wären bald gestorben, wenn der UN-Satellit sie nicht ausfindig gemacht hätte.