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»Aber so lesen Sie doch! rief Silas Toronthal und reichte Sarcany das Papier, so lesen Sie doch!

– Lesen…?

– Sehen Sie denn nicht, daß die Correspondenten des Grafen, noch ehe Sie die Worte mit Hilfe des Gitters bildeten, den Satz, den Sie schreiben wollten, zuvor in das Französische übertrugen und von rückwärts lesbar machten?«

Sarcany nahm das Papier und las, indem er mit dem letzten Buchstaben begann:

»Tout est prêt. Au premier signal que vous nous enverrez de Trieste, tous se leveront en masse pour l’indépendance de la Hongrie. Xrzah

(Alles ist bereit. Beim ersten Zeichen, welches Sie uns von Triest aus senden werden, werden sich Alle in Masse für die Unabhängigkeit Ungarns erheben. Xrzah.)

– »Und diese fünf letzten Buchstaben?

– Eine verabredete Chiffre, anwortete Silas Toronthal.

– Endlich haben wir sie.

– Aber die Polizei hat sie noch nicht.

– Dafür werde ich schon sorgen.

– Sie werden mit der größten Verschwiegenheit zu Werke gehen?

– Selbstverständlich. Der Gouverneur von Triest wird der Einzige sein, der die Namen der beiden ehrbaren Vaterlandsfreunde kennt, die eine Verschwörung gegen die österreichische Regierung schon im Keime erstickt haben.«

Wie er so sprach, ließen der Ton und die Handbewegung dieses Schurken nur zu deutlich erkennen, daß es nur eine Regung der Ironie war, die ihm diese hochtrabenden Worte dictirte.

»Ich brauche mich also um nichts weiter zu bekümmern? fragte kühl der Banquier.

– Um nichts, es wäre denn um den Antheil an dem Verdienste bei diesem Geschäft.

– Wann?

– Wenn die drei Köpfe gefallen sein werden, die Jedem von uns mehr als eine Million einbringen.«

Silas Toronthal und Sarcany trennten sich. Wenn sie einen Vortheil aus dem Geheimniß ziehen, welches ihnen der Zufall enthüllt hatte, wenn sie die Verschwörer zur Anzeige bringen wollten, noch ehe der Aufruhr zum offenen Ausbruch kam, so mußte schnell gehandelt werden.

Vorläufig war Sarcany wie gewöhnlich in das Haus von Ladislaus Zathmar zurückgekehrt. Er hatte dort seine Regulirungsarbeiten wieder aufgenommen, die ihrem Ende zuneigten. Graf Sandorf selbst sagte ihm unter verbindlichem Danke für den bewiesenen Eifer, daß er in acht Tagen seiner Dienste nicht mehr benöthigen würde. Das bedeutete in Sarcany’s Augen zweifellos, daß um diese Zeit von Triest aus das erwartete Signal an die ersten Städte Ungarns ergehen würde.

Er fuhr also fort, mit der größten Sorgfalt zu beobachten, was im Hause Zathmar’s vor sich ging, ohne indessen seinerseits Verdacht zu erregen. Er hatte sich sogar so intelligent gezeigt, er schien so sehr mit liberalen Ideen erfüllt zu sein und hatte so wenig seine unbesiegbare Abneigung, die er gegen die deutsche Rasse zu empfinden vorgab, verhehlt, also im Ganzen und Großen seine Rolle so gut gespielt, daß Graf Sandorf schon daran dachte, ihn später ganz an sich zu fesseln, wenn erst die Erhebung Ungarn zum freien Lande gemacht haben würde. Borik war der Einzige gewesen, der sich nicht von seinem Werthe hatte überzeugen lassen wollen; dieser war von den Vorurtheilen, welche ihm der junge Mann von Anfang an eingeflößt, nicht zurückgekommen.

Sarcany hatte also sein Ziel erreicht.

Am 8. Juni sollte, gemäß der Verabredung mit seinen Freunden, Graf Sandorf das Zeichen zum Aufstande geben, und dieser Tag war herangekommen.

Aber das Werk der Angeberei war ebenfalls vollendet.

Am Abend dieses Tages gegen acht Uhr umzingelte die Triester Polizei plötzlich das Haus Ladislaus Zathmar’s. Jeder Widerstand war unmöglich. Graf Sandorf, Graf Zathmar, Professor Bathory, Sarcany sogar, der übrigens keine Verwahrung einlegte, und Borik wurden verhaftet, ohne daß Jemand von ihrer Aufhebung Kenntniß erhielt.

Fußnoten

1 In dieser Nachbildung stellen alle weißen Quadrate die auf dem Gitter fehlenden vor.

Fünftes Capitel.

Vor, während und nach der Verhandlung.

Istrien, welches durch die Verträge von 1815 der österreichisch-ungarischen Monarchie einverleibt wurde, bildet eine fast dreieckige Halbinsel, deren Isthmus die Basis auf der breitesten Seite des Dreiecks bildet. Diese Halbinsel erstreckt sich vom Meerbusen von Triest bis zu dem von Quarnero, auf welcher Strecke zahlreiche Häfen sich vorfinden. Unter anderen öffnet sich der Schifffahrt, fast an der südlichsten Spitze, der Hafen von Pola, dessen Regierung sich damals damit befaßte, ein Seearsenal ersten Ranges daselbst anzulegen.

Diese istrische Provinz ist, vornehmlich an den westlichen Küsten, in Sitten und Sprache noch vollständig italienisch, noch besser gesagt, venetianisch geblieben. Allerdings kämpft dort das slavische gegen das italienische Element sehr an; aber so viel steht fest, daß die deutsche Strömung sich nur mit Anstrengung zwischen beiden gehalten hat.–

Mehrere bedeutende Städte an der Küste und im Innern haben Leben in diese Gegend gebracht, welche von den Gewässern der nördlichen Adria bespült wird. So Capo d’Istria und Pirano, deren Salzsieder-Bevölkerung fast ausschließlich in den großen Salinen an der Mündung des Risano und der Corna-Lunga arbeitet; Parenzo, Sitz der Regierung und Wohnort des Bischofs; Rovigno, reich an Olivenproduction; Pola, woselbst die Touristen mit Vorliebe die herrlichen Denkmäler römischen Ursprunges besuchen und welches bestimmt ist, der wichtigste Kriegshafen längs des ganzen Adriatischen Meeres zu werden.

Jeder Widerstand war unmöglich.(S. 72.)

Aber keine der genannten Städte hat das Recht, sich die Hauptstadt Istriens zu nennen. Pisino, fast in der Mitte des Dreiecks gelegen, hat allein Anspruch auf diesen Titel, und dorthin wurden die Gefangenen ohne ihr Wissen nach ihrer geheimnißvollen Verhaftung gebracht.

Vor der Thür des Hauses Ladislaus Zathmar’s erwartete sie eine Postkutsche. Alle vier bestiegen dieselbe und zwei österreichische Gensdarmen – solche, die für die Sicherheit der Reisenden auf den istrischen Gefilden vortrefflich sorgen – nahmen bei ihnen Platz. Es war ihnen streng verboten worden, während dieser Reise auch nur das geringste Wort mit einander zu wechseln, damit sie keine Gelegenheit hatten, sich gegenseitig auszusprechen oder ein übereinstimmendes Verhalten zu verabreden. Erst dem Richter hatten sie Rede zu stehen.

Eine Escorte von zwölf berittenen Gensdarmen unter Führung eines Lieutenants trabte voraus, hinterher und zu beiden Seiten der Postkutsche, die zehn Minuten später die Stadt verlassen hatte. Borik wurde direct in das Triester Gefängniß zur Einzelhaft abgeführt.

Wohin brachte man die Gefangenen? In welche Festung Oesterreichs sollten sie eingeschlossen werden, wenn das Castell von Triest nicht Sicherheit genug bot? Mathias Sandorf und seine Freunde hatten ein großes Interesse daran, sich das zu fragen, sie mühten sich indessen vergebens ab, das Richtige zu finden.

Die Nacht war dunkel, kaum daß die Laternen des Wagens ihr Licht bis zur vorderen Reihe der Escorte warfen. Man fuhr schnell vorwärts. Mathias Sandorf, Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar lehnten stumm in ihren Ecken. Sarcany selbst wagte nicht das Schweigen zu unterbrechen, weder Verwahrung gegen seine Verhaftung einzulegen noch zu fragen, warum dieselbe erfolgt war.

Nachdem die Postkutsche Triest verlassen, wandte sie sich wieder mit einer Wendung in schräger Richtung gegen die Küste. Graf Sandorf glaubte durch das von dem Getrappel der Pferde und dem Klirren der Säbel verursachte Geräusch das ferne Brausen der gegen die Uferfelsen schlagenden Brandung zu vernehmen. Während eines Augenblickes blitzten Lichter durch die Nacht, sie erloschen eben so schnell. Es war der Flecken Muggia, durch den der Wagen fuhr, ohne indessen Halt zu machen. Graf Sandorf glaubte dann zu bemerken, daß die Landstraße wieder in die Campagna hineinführte.