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Um elf Uhr Abends hielt der Wagen, um frischen Vorspann zu nehmen. An einer einsamen Farm standen die fertig angeschirrten Pferde bereit. Es war das keine Poststation. Man hatte also vermeiden wollen, an derjenigen von Capo d’Istria den Pferdewechsel vorzunehmen.

Die Escorte setzte sich in Bewegung. Der Weg führte durch Weingehege, deren Reben sich in Form von Gehängen um die Zweige der Maulbeerbäume schlangen und bewegte sich stets in der Ebene, so daß nichts den Postillon hinderte, in rasender Eile zu fahren. Die Dunkelheit war um so undurchdringlicher, als dichte, von einem ziemlich heftigen, warmen Südostwinde getriebene Wolken den ganzen Himmelsraum erfüllten. Obgleich die Scheiben der Wagenschläge von Zeit zu Zeit heruntergelassen wurden, um frische Luft in das Innere dringen zu lassen – die Juninächte sind in Istrien heiß –, war es doch unmöglich, selbst auf eine kurze Entfernung hin etwas zu erkennen. So große Aufmerksamkeit auch Graf Sandorf, Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory den kleinsten Anhaltspunkten während der Fahrt schenkten, dem Winde und der seit der Abfahrt verflossenen Zeit, so vermochten sie doch nicht zu erkennen, in welcher Richtung die Postkutsche sich bewegte. Man beabsichtigte zweifellos, daß die Verhandlung dieser Angelegenheit in aller Stille und an einem dem Publicum unbekannt bleibenden Orte vor sich gehen sollte.

Gegen zwei Uhr Morgens nahm man abermals einen Relais. Auch jetzt, wie beim ersten Male, dauerte die Umwechslung nicht länger als fünf Minuten.

Graf Sandorf glaubte in der Dunkelheit einige am äußersten Ende einer Straße stehende Häuser zu bemerken, welche die Grenze einer Vorstadt zu bilden schienen.

Es war Buja, die Hauptstadt eines Districtes, ungefähr zwanzig Meilen südlich von Muggia gelegen.

Während die frischen Pferde angeschirrt wurden, sagte der Gensdarmerielieutenant dem Postillon einige Worte mit leiser Stimme und die Postkutsche rasselte im Galopp davon.

Gegen drei und ein halb Uhr mußte der Tag anbrechen. Eine Stunde später hätten die Gefangenen die bis dahin eingehaltene Richtung der Fahrt an dem Stande der Sonne sehr gut erkennen können, wenigstens so weit, ob sie nach Norden oder Süden geführt würden. Aber in demselben Augenblicke ließen auch schon die Gensdarmen die Fensterleder herunter und das Innere des Wagens hüllte sich in undurchdringliche Finsterniß.

Weder Graf Sandorf noch seine Freunde konnten die geringste Beobachtung machen. Eine Antwort hätten sie auf eine hierauf bezügliche Frage zweifellos nicht erhalten; es war also gerathener, sich zu gedulden und abzuwarten.

Eine oder zwei Stunden später – es war schwer, die Zeit zu bestimmen – hielt der Wagen zum letzten Male; er nahm im Flecken Visinada noch einmal neuen Vorspann.

Von diesem Augenblicke an war nichts weiter zu bemerken, als daß der Weg sehr unangenehm wurde. Der Ruf des Postillons und Peitschenknall feuerten die Pferde unablässig an, deren Hufe auf dem harten Steinboden dieser gebirgreichen Gegend laut klapperten. Einige Hügel, welche in Grau gehüllte Wäldchen bedeckten, begrenzten den Horizont. Zwei-oder dreimal konnten die Gefangenen die Töne einer Flöte vernehmen. Sie rührten von jungen Hirten her, die ihre bizarren Melodien bliesen, während sie auf ihre Heerden schwarzer Ziegen Acht gaben; aber damit war noch kein genügender Anhaltspunkt für das Erkennen der durcheilten Gegend gefunden und man mußte darauf Verzicht leisten, irgend etwas zu Gesicht zu bekommen.

Es war so um neun Uhr Morgens herum, als die Postkutsche plötzlich eine ganz andere Fahrweise annahm. Man konnte sich nicht darüber täuschen, sie fuhr in rascher Fahrt bergab, nachdem sie die höchste Steigung der Straße erreicht hatte. Ihre Schnelligkeit war eine bedeutende und mehrfach mußte den Rädern der Hemmschuh vorgelegt werden, weil die Sache nicht ohne Gefahr war.

In der That senkt sich die Straße, nachdem sie bis in eine sehr hügelige, vom Monte Maggiore beherrschte Region hinaufgestiegen ist in schräger Richtung auf Pisino zu. Obgleich diese Stadt noch auf einer bedeutend über dem Niveau des Meeres gelegenen Küste erbaut ist, so scheint sie doch in die Sohle eines Thales hineingerückt zu sein, wenn man die umliegenden Höhen in Berechnung zieht. Noch ehe man sie erreicht hat, bemerkt man schon den Glockenthurm, der weit über die malerisch in Etagen sich aufbauenden Häusergruppen ragt.

Pisino ist der Hauptort dieses Districtes und zählt ungefähr fünfundzwanzigtausend Einwohner. Seine Lage in der ungefähren Mitte der dreieckigen Halbinsel ermöglicht den Zusammenfluß der Morlaken, Slaven der verschiedensten Stämme, selbst der Zigeuner, namentlich zur Zeit der Märkte, auf denen sich ein ziemlich lebhafter Handel entwickelt.

Die Hauptstadt Istriens hat als alte Stadt ihren feudalen Charakter sich durchaus bewahrt. Man erkennt ihn namentlich an dem befestigten Schlosse, welches mehrere neuzeitigere Militärgebäude beherrscht; in ihnen haben die Verwaltungsbehörden der österreichischen Regierung ihren Sitz.

Im Hofe dieses alten Schlosses machte am 9. Juni gegen zehn Uhr Früh die Postkutsche nach einer fünfzehnstündigen Fahrt Halt. Graf Sandorf, seine zwei Gefährten und Sarcany mußten aussteigen. Einige Minuten später wurden sie einzeln in gewölbte Zellen eingeschlossen; um zu ihnen zu gelangen, mußten sie erst an fünfzig Stufen heraufklimmen.

Das war die Einzelhaft in ihrer ganzen Schrecklichkeit.

Obgleich Mathias Sandorf, Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory keinen Verkehr mit einander hatten und auch ihre Gedanken nicht austauschen konnten, so bewegte sie dennoch ein und dasselbe Denken: Wie war das Geheimniß der Verschwörung entdeckt worden? Hatte der Zufall auf die Spur derselben geführt? Es hatte unmöglich etwas in die Oeffentlichkeit dringen können. Zwischen Triest und den anderen großen Städten Oesterreich-Ungarns hatte kein weiterer Briefwechsel stattgefunden. Wer also konnte der Verräther gewesen sein? Es war doch ganz undenkbar, daß jemals ein Papier in die Hände eines Spions gefallen war. Alle Documente waren vernichtet worden. Man hätte selbst die verborgensten Ecken des Hauses in der Acquedotto-Allee durchsuchen können, ohne auch nur eine einzige verdächtige Note zu finden. Und das war auch in Wahrheit so gewesen. Die Polizeibeamten hatten nichts entdeckt, bis auf das Gitter, welches Graf Zathmar nicht vernichtete, weil er sich desselben möglicherweise noch einmal bedienen mußte. Und dieser Schlüssel zur geheimen Correspondenz wurde unglücklicherweise ein belastendes Beweisstück; über den Gebrauch desselben konnte eben gar keine andere Erklärung abgegeben werden, als daß er zur Entzifferung einer Geheimschrift gedient hatte.

In der Hauptsache beruhte Alles – was die Gefangenen allerdings nicht wissen konnten – auf der Copie des Billets, welche Sarcany, der Verabredung mit Silas Toronthal gemäß, dem Gouverneur von Triest nach Uebertragung des Wortlautes in verständliche Schrift zugestellt hatte. Aber zum Unglück genügte dieses Wenige vollständig, um eine Anklage wegen einer Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates erheben zu können. Mehr bedurfte es nicht, um Graf Sandorf und seine Freunde einer außerordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen und sie vor ein Kriegsgericht zu stellen, das militärisch zu verfahren hatte.

Es gab einen Verräther und dieser war nicht weit. Dadurch aber, daß derselbe sich ohne ein Wort festnehmen, verhören, ja selbst verurtheilen ließ, in der Erwartung, später begnadigt zu werden, wußte er jeden Verdacht von sich abzulenken. Darauf hinaus ging das Spiel Sarcany’s, und er wußte es mit der würdigen Haltung durchzuführen, die er bei allen Angelegenheiten zu wahren verstand.