Выбрать главу

Graf Sandorf beschäftigte sich also lediglich damit, zu untersuchen, ob das Fenster ihnen Durchlaß gewähren würde.

Dieses maß ungefähr drei und einen halben Fuß in der Höhe und zwei Fuß in der Breite. Es erweiterte sich auf der Außenseite der Mauer, die an dieser Stelle an vier Fuß stark sein mochte. Ein eiserner, solide gearbeiteter Querbalken verriegelte es. Er war in die Wand, nahe ihrer inneren Fläche eingelassen. Ein hölzerner Blendkasten, der das Licht nur von oben hereindringen läßt, fehlte hier. Dieser wäre deshalb nutzlos angebracht gewesen, weil die Oeffnung so geartet war, daß der Blick nicht in die Schlucht des Buco dringen konnte. Wenn man es also durchsetzte, diesen Querbalken auszureißen, oder fortzubringen, so war es leicht, durch das Fenster zu schlüpfen, welches mehr einer in die Mauer einer Festung eingelassenen Schießscharte, als einem solchen glich. Wie aber sollte sich weiter das Herunterklettern an der steilen äußeren Mauer gestalten, wenn der Durchgang durch das Fenster erzwungen war? Mittelst einer Strickleiter? Die Gefangenen besaßen keine und hatten auch keine Gelegenheit gehabt, sich eine solche herzustellen. Mit Benützung der Betttücher? Sie hatten als Unterlagen nur dicke, wollene Decken, welche über Matratzen ausgebreitet waren; diese wiederum lagen auf eisernen Gestellen, die an der Wand der Zelle befestigt waren. Es wäre also trotzdem eine Unmöglichkeit gewesen, durch das Fenster zu entkommen, wenn Graf Sandorf nicht bereits eine eiserne Kette oder vielmehr ein eisernes Kabel entdeckt hätte, das an der Außenwand des Thurmes herabhing und das Ausbrechen erleichtern konnte.

Dieses Kabel war der Conductor des Blitzableiters, der auf dem First des Daches über derjenigen Seite des Thurmes angebracht war, welche sich senkrecht über dem Buco erhob.

»Ihr seht dieses Kabel, sagte Graf Sandorf zu seinen beiden Freunden. Wir müssen den Muth haben und dieses zu unserer Flucht benutzen.

– Den Muth haben wir schon, antwortete Ladislaus Zathmar, aber werden wir auch die Kraft besitzen?

– Was thut das? erwiderte ihm Stephan Bathory. Wenn uns die Kraft verläßt, sterben wir eben einige Stunden früher.

– Wir brauchen nicht zu sterben, Stephan, sagte Mathias Sandorf. Höre nur gut zu, und auch Sie, Ladislaus, achten Sie wohl auf meine Worte. Wenn wir einen Strick besäßen, so würden wir doch nicht zögern, ihn außerhalb des Fensters zu befestigen und uns an ihm auf den Boden herabzulassen? Gut, dieses Kabel ist mehr werth, als ein Strick in Folge seiner Steifheit und muß uns das Herunterkommen erleichtern. Wir brauchen nicht daran zu zweifeln, daß es, wie alle Conductoren von Blitzableitern, mit eisernen Klammern an der Mauer befestigt sein wird. Diese Klammern bilden für uns eben so viele feste Stützpunkte für unsere Füße. Da das Kabel also fest an der Mauer sitzt, so haben wir Schwankungen desselben nicht zu befürchten, eben so wenig brauchen wir um Schwindelanfälle besorgt zu sein, da es Nacht ist und wir nichts von der Leere unter uns sehen können. Dieses Fenster eröffnet uns einen Ausgang und mit kaltem Blute und mit etwas Muth werden wir uns die Freiheit erkaufen. Möglicherweise wagen wir dabei unser Leben. Aber wenn die Hoffnung auf ein glückliches Entkommen sich auch nur im Verhältniß von 10 zu 100 uns bietet, so hat das wenig zu sagen, weil, wenn uns die Wächter morgen Früh in der Zelle noch vorfinden, uns der Tod so sicher ist wie 100 zu 100.

– Sei es also! rief Ladislaus Zathmar.

– Wo mag dieses Kabel enden? fragte Stephan Bathory.

– Wahrscheinlich in einem Brunnen, erwiderte Mathias Sandorf, aber jedenfalls außerhalb des Thurmes, und mehr verlangen wir ja nicht. Ich weiß und sehe nur das Eine, daß uns am Ende der Kette die Freiheit vielleicht winkt.«

Graf Sandorf täuschte sich in seiner Annahme, daß das Kabel mit eisernen Haken an der Mauer befestigt wäre, nicht; dieselben waren in gewissen Zwischenräumen in die Wandung eingesetzt. Sie gewährten eine größere Möglichkeit des Hinabkommens, weil die Flüchtlinge sie wie die Sprossen einer Leiter benutzen konnten und sie durch dieselben vor einem zu jähen Heruntergleiten geschützt wurden. Aber was sie nicht wußten, war, daß der eiserne Leitungsdraht vom Kamme des Plateaus an, von welchem die Mauer des Wartthurmes aufstieg, frei und unbefestigt hin und her schwankte und daß sein unterstes Ende in das Wasser der Foïba selbst tauchte, die zu dieser Zeit durch die letzten Regengüsse besonders stark angeschwollen war. Dort, wo sie festen Boden zu finden hofften, auf dem Grunde der Schlucht, gähnte ein Strudel, dessen Gewässer sich mit

Graf Sandorf schlüpfte durch die Oeffnung. (S. 101.)

Ungestüm in die Höhle des Buco ergossen. Wenn sie das gewußt hätten, wären sie vor dem Versuche einer Flucht zurückgeschreckt? Nein, gewiß nicht!

»Tod um Tod! hatte Mathias Sandorf gesagt, wir werden sterben, nachdem wir Alles versucht haben werden, um dem Tode zu entgehen.«

Vor allen Dingen galt es, sich einen Weg durch das Fenster zu bahnen. Die eiserne Klammer, welche es versperrte, mußte ausgerissen werden. Würde das ohne ein Brecheisen, ohne Zange, ohne irgend ein Werkzeug wohl zu ermöglichen sein? Die Gefangenen besaßen nicht einmal ein Messer.

»Das Uebrige wird nicht schwer sein, sagte Mathias Sandorf, aber das ist vielleicht unausführbar. Ans Werk!«

Mit diesen Worten zog sich Graf Sandorf bis zum Fenster hinauf; er ergriff die Klammer kräftig mit der einen Hand und fühlte, daß es vielleicht auch ohne große Mühe gelingen würde, sie auszureißen.

Die eisernen Stangen saßen in der That etwas locker in den Mauerhöhlen. Das zu ihrer Befestigung dienende Steinwerk bot einen nur mittelmäßigen Widerstand. Sehr wahrscheinlich war das Kabel des Blitzableiters, bevor gewisse Ausbesserungen gemacht worden waren, in einem sehr schlechten Leitungszustande gewesen.

Ein mächtiger Blitzstrahl hüllte sie Beide ein.(S. 103)

Der elektrische Funke war alsdann, von der eisernen Fensterklammer angezogen, in die Mauer selbst gedrungen, und man weiß, wie grenzenlos, so zu sagen, seine Kraft ist. Aus diesem Grunde zeigten sich jetzt Brüche in den Höhlen, in denen die Enden der eisernen Stangen ruhten, und eine Zerbröckelung des Gesteins, die bereits zu einem schwammigen Zustande desselben geführt hatte, als wenn es von Millionen von elektrischen Funken durchsiebt worden wäre.

Stephan Bathory war es, der mit wenigen Worten eine Erklärung dieser Erscheinung gab, sobald er sie seinerseits in Augenschein genommen hatte.

Hier handelte es sich aber nicht um wissenschaftliche Erklärungen, sondern um schnelles Zugreifen, da jeder Augenblick kostbar war. Wenn es gelang, die Enden der eisernen Stangen dadurch frei zu machen, daß man die Schutzsteine ihrer Höhlen springen ließ, so würde es auch vielleicht zu ermöglichen sein, das Fensterkreuz nach außen zu drängen und so eine breitere, von innen nach außen gehende Oeffnung zu schaffen; dann wollte man es in die Tiefe fallen lassen. Der Lärm, den der Fall machte, konnte inmitten der lang dahinrollenden Donnerschläge nicht gehört werden, die sich schon in unaufhörlicher Folge über die niedrigeren Zonen des Himmels fortpflanzten.

»Wir können aber die Steine doch nicht mit unseren Händen losreißen? meinte Ladislaus Zathmar.

– Nein, erwiderte Graf Sandorf. Wir brauchen irgend ein Stück Eisen, eine Klinge –«