Выбрать главу

Siebentes Capitel.

Der Strudel der Foïba.

Es war in der elften Abendstunde. Die Gewitterwolken öffneten sich zu einem heftigen Platzregen. In den Regen mischten sich große Schlossen, welche die Gewässer der Foïba peitschten und auf die umliegenden Felsen niederprasselten. Das Gewehrfeuer aus den Schießscharten des Wartthurmes hatte aufgehört. Wozu auch so viel Pulver verschwenden? Die Foïba konnte doch nur die Leichname wiedergeben, wenn sie es überhaupt that.

Kaum war Graf Sandorf in den Strudel untergetaucht, so fühlte er sich auch schon mit unwiderstehlicher Kraft in den Buco hinein gezogen. In wenigen Augenblicken verwandelte sich vor ihm das intensive Licht des mit Elektricität gefüllten Abgrundes in vollständige Dunkelheit. Das Rauschen des Wassers hatte das Krachen des Donners abgelöst. Die unerforschliche Höhle versperrte jedem von außen kommenden Geräusche und Lichte den Weg.

»Hierher!«

Dieser Ruf wurde vernehmbar. Stephan Bathory hatte ihn ausgestoßen. Die Kälte des Wassers hatte ihm die Besinnung wiedergegeben, aber er vermochte sich nicht auf der Oberfläche zu erhalten, und er wäre wieder untergetaucht, wenn nicht ein kräftiger Arm ihn in dem Augenblicke, als er schon verschwand, ergriffen hätte.

»Ich bin hier, Stephan, fürchte nichts!«

Graf Sandorf unterstützte ihn mit der einen Hand, indem er sich dicht an den Genossen drängte, und versuchte mit Hilfe der anderen zu schwimmen.

Ihre Lage war eine äußerst kritische. Stephan Bathory konnte kaum seine Glieder rühren, die von dem elektrischen Strome fast gelähmt worden waren. Wenn auch die Brandwunden an seinen Händen durch die Berührung mit dem kalten Wasser für den Augenblick sich weniger fühlbar machten, so erlaubte doch der Zustand der Unbeholfenheit, in welchem er sich augenblicklich befand, eine Benützung derselben nicht. Nur einen Augenblick brauchte ihn Graf Sandorf loszulassen und er sank sofort unter, und dabei hatte dieser genug mit sich selbst zu thun, um sich zu retten.

Dann peinigte ihn die völlige Ungewißheit über die Richtung, welche die Strömung nahm; er konnte weder wissen, in welchen Theil des Landes sie führte, noch ob sie sich in das Meer oder in einen anderen Fluß ergoß. Selbst wenn Mathias Sandorf gewußt hätte, daß dieser Bach die Foïba war, so wäre er um nichts gebessert gewesen, weil man eben den Lauf ihrer reißenden Gewässer nicht kennt. Geschlossene Flaschen, die man am Eingange zur Höhle in das Wasser geworfen hatte, waren nie wieder in irgend einem Flusse der istrischen Halbinsel zum Vorschein gekommen, mochten sie nun bei ihrem Durchschwimmen der düsteren Unterwelt zerschmettert oder von den flüssigen Massen in ein Loch der Erdrinde hineingeschleudert worden sein.

Die Flüchtlinge wurden mit rasender Schnelligkeit davongeführt, welcher Umstand es ihnen leichter machte, sich auf der Oberfläche des Wassers zu halten. Stephan Bathory war vollständig bewußtlos und in den Händen Sandorf’s nur ein unthätiger Körper. Dieser mühte sich für Beide ab, aber er fühlte, daß seine Kräfte nachließen. Der Gefahr, gegen einen Felsenvorsprung an den Seitenwänden der Höhle oder an die herabhängenden Wölbungen geschleudert zu werden, gesellte sich eine noch größere hinzu: in einen der zahlreichen Trichter gezogen zu werden, welche das Kielwasser dort bildete, wo ein jähes Abprallen von der Wand die regelmäßige Strömung brach und einengte. Wohl zwanzig Male fühlte sich Graf Sandorf mit seinem Gefährten von diesen flüssigen Saugrüsseln ergriffen, die ihn mit maëlstromartiger Gewalt an sich zogen. In den Mittelpunkt einer kreisförmigen Bewegung verflochten, dann zurückgeworfen an die Peripherie des Wirbels, wie der Stein im Zipfel einer Schleuder, kamen sie gerade aus der Drehung, wenn der Strudel sich brach.

Eine halbe Stunde dauerte dieser Kampf mit dem in jeder Minute, ja in jeder Secunde nahen Tode. Mathias Sandorf, mit einer fast übermenschlichen Willensstärke begabt, war noch nicht mit seiner Kraft zu Ende. Fast pries er sich glücklich, daß Bathory ohnmächtig war. Wenn dieser jetzt den Instinct der Selbsterhaltung gefühlt hätte, würde er sich gesträubt haben. Es würde einen Kampf gekostet haben, um ihn wieder willenlos zu machen. Graf Sandorf hätte ihn entweder verlassen müssen, oder sie wären Beide untergesunken.

Die jetzige Lage durfte aber nicht mehr lange andauern. Die Kräfte von Mathias Sandorf begannen fühlbar nachzulassen. Oftmals tauchte sein Kopf in die Wassermasse, während er sich bemühte, denjenigen Stephan’s über Wasser zu halten. Der Athem ging ihm plötzlich aus. Er tauchte, glaubte zu ersticken und hatte gegen einen Anfall von Leblosigkeit anzukämpfen. Mehrfach mußte er sogar den Genossen fahren lassen, dessen Kopf dann sofort verschwand; doch stets gelang es ihm noch, ihn wieder zu ergreifen, und Alles das vollzog sich inmitten einer Strömung, die, an manchen schmalen Punkten ihres Bettes zusammengepreßt, mit einem furchtbaren Getöse zerschellte.

Bald fühlte sich Graf Sandorf verloren. Der Körper Stephan Bathory’s entschlüpfte ihm vollends Mit einer letzten Anstrengung versuchte er desselben wieder habhaft zu werden. Er fand ihn nicht mehr und sank nunmehr selbst in dem Wasserschwall des Stromes unter.

Ein heftiger Stoß erschütterte plötzlich seine Schulter. Er streckte instinctiv die Hand aus. Seine Finger schlossen sich um ein Büschel Wurzeln, die in das Wasser hineinhingen. Sie gehörten zu einem Baumstamme, den die Strömung mitgeführt hatte. Mathias Sandorf klammerte sich mit allen Kräften an dieses gestrandete Stück und gelangte wieder an die Oberfläche der Foïba. Während er sich mit der einen Hand an dem Wurzelbusch festhielt, sachte er mit der anderen nach dem Gefährten.

Einige Augenblicke später wurde Stephan Bathory am Arm gepackt und nach einigen mühevollen Versuchen auf den Baumast gezogen, wo jetzt auch Mathias Sandorf Platz nahm. Beide waren für den Augenblick vor der Gefahr des Ertrinkens bewahrt, aber mit dem Schicksale dieses Baumrestes verknüpft, der dem Muthwillen der Stromschnellen im Buco unterworfen war.

Graf Sandorf hatte auf kurze Zeit das Bewußtsein verloren. Seine erste Sorge nach dem Wiedererwachen war, das Heruntergleiten Stephan Bathory’s vom Baumstumpfe zu verhüten. Im Uebermaße der Vorsicht schob er sich noch hinter diesen, so daß er ihn erforderlichen Falles stützen konnte. Seine Stellung ermöglichte es ihm nun, nach vorn zu blicken. Sollte vielleicht ein Schimmer des Tageslichtes in die Höhle dringen, so konnte er ihn sofort bemerken und den Zustand des Wassers auf seinem Laufe stromabwärts beobachten. Aber nichts verrieth, daß man sich nahe einem Ausgange aus diesem räthselhaften Canale befand.

Die Lage der Flüchtlinge war jetzt eine ungleich bessere. Der Baumstamm war wohl an zwölf Fuß lang und seine von dem Wasser getragenen Wurzeln setzten jedem plötzlich sich zeigenden Hindernisse einen Widerstand entgegen. Trotz der Unebenheit auf dem Grunde der Strömung schien ihre Festigkeit den heftigsten Stößen wenigstens gewachsen. Ihre Schnelligkeit konnte wohl auf wenigstens drei Meilen in der Stunde geschätzt werden und war derjenigen der Strömung gleich, die sie mitführte.

Mathias Sandorf hatte seine ganze Kaltblütigkeit wieder gefunden. Er versuchte deshalb, seinen Gefährten, dessen Kopf auf seinen Knien ruhte, wieder ins Leben zurück zu rufen. Er überzeugte sich, daß sein Herz noch immer schlug, doch athmete er kaum. Er beugte sich über seinen Mund, um den Lungen etwas Luft zuzuführen. Vielleicht hatten diese ersten Anzeichen von Scheintod in seinem Organismus noch keine unheilbaren Störungen hervorgerufen.

Stephan Bathory bewegte sich bald darauf ein wenig. Ein ausgeprägteres Athmen entfuhr den Lippen; endlich drangen auch einige Worte aus seinem Munde:

»Meine Frau!… Mein Sohn!… Mathias!«

In diesen Worten war der ganze Werth, den sein Leben für ihn hatte, enthalten.

»Hörst Du mich, Stephan? Hörst Du mich? fragte Graf Sandorf, der schreien mußte, um sich in dem Gebrüll, welches die Strömung in den Wölbungen des Buco verursachte, verständlich zu machen.