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«Und was war das andere, wofür du in den Luftabschneider gesteckt worden bist?» fragte Lavendel.

«Ach, an alles kann ich mich gar nicht erinnern», sagte Hortensia. Sie redete wie ein alter Krieger, der so viele Schlachten geschlagen hat, daß ihm Heldenmut ganz selbstverständlich ist. «Das ist alles so lange her», setzte sie hinzu und warf sich eine neue Ladung Kartoffelchips in den Mund. «Ah ja, eins fällt mir noch ein. Also, da ist folgendes passiert. Ich hab mir genau den Zeitpunkt ausgesucht, wo ich gewußt hab, die Knüppelkuh war weg und aus dem Weg und gab in der sechsten Klasse Unterricht, da hab ich mich also gemeldet und gefragt, ob ich mal austreten darf. Aber statt daß ich dahingegangen bin, hab ich mich ins Zimmer von der Knüppelkuh geschlichen. Dann hab ich gesucht, in rasender Eile, und hab auch die Schublade gefunden, in der sie all ihre Turnhosen aufbewahrt.»

«Weiter», sagte Matilda gebannt, «was ist dann passiert?»

«Ja, weißt du, ich hab mir bei so einer Versandfirma ein besonders kräftiges Juckpulver bestellt», sagte Hortensia, «es war ganz schön teuer, und es hat der Haut-Aufheizer geheißen. In der Beschreibung stand, daß es aus den gemahlenen Zähnen von Giftschlangen besteht, und sie haben einem garantiert, daß es auf der Haut Blasen macht, so groß wie Walnüsse. Also, ich hab dieses Pulver in alle Hosen gestreut, die in der Schublade waren, und dann hab ich sie wieder schön und ordentlich zusammengefaltet.» Hortensia machte eine Pause, um sich wieder Kartoffelchips in den Mund zu stopfen.

«Hat es gewirkt?» fragte Lavendel.

«Tja», sagte Hortensia, «ein paar Tage später, grad beim Gebet, hat die Knüppelkuh plötzlich angefangen, sich wie verrückt am Hintern zu kratzen. Aha, hab ich zu mir gesagt, jetzt geht’s los, sie hat also das Turnzeug schon drunter. Es war einfach wunderbar, so dazusitzen und alles genau verfolgen zu können und zu wissen, daß ich der einzige Mensch in der ganzen Schule war, der haargenau gewußt hat, was da in den Hosen von der Knüppelkuh vor sich geht. Und ich hab mich außerdem bombensicher gefühlt. Ich hab gewußt, keiner konnte mich schnappen. Und dann ist die Kratzerei schlimmer geworden. Sie konnte gar nicht mehr aufhören. Sie muß gedacht haben, sie hätte ein Wespennest da unten drin, und dann ist sie mitten im Vaterunser aufgesprungen, hat sich den Hintern festgehalten und ist aus der Aula gestürzt.»

Matilda und Lavendel waren alle beide wie verzaubert. Es war ihnen vollkommen klar, daß sie in diesem Augenblick vor einer Meisterin standen. Hier war jemand, der die Kunst der Gemeinheit in Vollendung beherrschte und darüber hinaus bereit war, bei ihrer Ausübung Kopf und Kragen zu riskieren. Sie starrten diese Göttin voller Ehrfurcht an, und plötzlich war selbst der Pickel auf ihrer Nase nicht mehr lächerlich, sondern ein Abzeichen des Mutes.

«Aber wie hat sie dich denn erwischt?» fragte Lavendel fast atemlos vor Bewunderung.

«Hat sie gar nicht», antwortete Hortensia, «aber ich hab trotzdem einen Tag im Luftabschneider verpaßt gekriegt.»

«Warum denn?» fragten beide wie aus einem Mund.

«Die Knüppelkuh», erklärte Hortensia, «hat eine widerwärtige Art, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Wenn sie nicht weiß, wer der Schuldige ist, dann rät sie einfach drauflos, und es ist ein Jammer, wie recht sie meistens hat. Ich war diesmal die Hauptverdächtige wegen der Sache mit dem Sirup, und obwohl sie genau wußte, daß sie nicht den geringsten Beweis hatte, konnte ich sagen, was ich wollte, es half mir nichts. Ich schrie die ganze Zeit: ‹Wie hätt ich das denn machen können, Fräulein Knüppelkuh? Ich hab ja nicht mal eine Ahnung, daß Sie Ihre Ersatzunterhosen in der Schule aufbewahren! Ich weiß erst recht nicht, was Juckpulver ist! Ich hab noch nie davon gehört!› Aber das Leugnen hat mir nichts genützt. Trotz meines ganzen Theaters. Die Knüppelkuh hat mich einfach am Ohr gepackt und hat mich Hals über Kopf zum Luftabschneider geschleift und hineingestoßen und die Tür verrammelt. Das war mein zweiter ganzer Tag im Kasten. Es war eine regelrechte Folter. Als ich wieder rauskam, war ich am ganzen Leibe zerschlitzt und zerschnitten.»

«Das ist ja wie Krieg», sagte Matilda fassungslos.

«Da hast du verdammt recht, das ist wie Krieg», schrie Hortensia, «und die Verluste sind ungeheuerlich. Wir sind die Kreuzfahrer, die todesmutige Armee, wir kämpfen um unser Leben, fast völlig ohne Waffen, und die Knüppelkuh ist der Fürst der Finsternis, die heimtückische Schlange, der feuerspeiende Drache, ihr stehen alle Waffen zur Verfügung. Es ist ein hartes Leben. Jeder von uns versucht, dem andern Beistand zu leisten.»

«Auf uns kannst du dich verlassen», sagte Lavendel und streckte ihre ein Meter zwanzig in die Höhe, so hoch es ging.

«Nein, das kann ich nicht», entgegnete Hortensia, «ihr seid nur kleine Krabben. Aber man weiß schließlich nie. Kann sein, daß wir eines Tages irgendeine Untergrundarbeit für euch haben.»

«Erzähl uns noch ein bißchen mehr davon, was sie so macht», bettelte Matilda, «bitte.»

«Ihr seid ja noch keine Woche hier, ich darf euch keinen zu großen Schrecken einjagen», antwortete Hortensia.

«Tust du auch nicht», antwortete Lavendel. «Wir sind zäh, wenn wir auch noch klein sind.»

«Na, dann hört zu», fuhr Hortensia fort, «erst gestern hat die Knüppelkuh einen Jungen erwischt, den Julius Rottwinkel, der in der Schönschreibstunde Lakritze gelutscht hat. Sie hat ihn einfach am Arm gepackt und hochgehoben und aus dem offenen Fenster geworfen. Unser Klassenzimmer ist im ersten Stock, und wir haben Julius Rottwinkel wie eine Frisbeescheibe über den Garten segeln sehen, bis er mit einem Plumps mitten im Salat gelandet ist. Dann hat sich die Knüppelkuh an uns gewandt und hat gesagt: ‹Von jetzt an fliegt jeder aus dem Fenster, den ich beim Kauen erwische.›»

«Hat sich dieser Julius Rottwinkel die Knochen gebrochen?» fragte Lavendel.

«Nur ein paar», antwortete Hortensia. «Du darfst nicht vergessen, daß die Knüppelkuh mal bei der Olympiade in der britischen Mannschaft gewesen ist, als Hammerwerferin. Deshalb ist sie so stolz auf ihren rechten Arm.»

«Was ist denn Hammerwurf?» fragte Lavendel.

«Der Hammer», erklärte Hortensia, «ist eigentlich eine verdammt schwere Kanonenkugel am Ende von einem langen Stück Draht, und der Hammerwerfer wirbelt sie immer um seinen oder ihren Kopf herum und rum und rum und immer schneller, und dann läßt er sie los. Du mußt dazu wahnsinnig stark sein. Die Knüppelkuh wirft und wirbelt alles durch die Gegend, um den Arm in Form zu halten, und ganz besonders gerne Kinder.»

«Du meine Güte», sagte Lavendel.

«Ich hab sie mal sagen hören», fuhr Hortensia fort, «daß ein großer Junge ungefähr das gleiche Gewicht besitzt wie ein olympischer Hammer und daß man deshalb mit ihm besonders gut üben kann.»

In diesem Augenblick geschah etwas Merkwürdiges. Der Schulhof, auf dem bis eben noch die Schreie und Rufe der spielenden Kinder erschollen waren, wurde plötzlich so still wie ein Grab.

«Paßt auf!» zischte Hortensia.

Matilda und Lavendel schauten sich um und sahen die Riesengestalt von Fräulein Knüppelkuh, die sich mit drohenden Schritten durch die Schar der Jungen und Mädchen drängte. Die Kinder wichen hastig zurück, um sie vorbeizulassen, und so ähnelte ihr Marsch über den Asphalt dem von Moses durchs Rote Meer, vor dem sich die Wasser geteilt hatten. Auch sie war in ihren grünen Hosen und ihrem Kittel mit dem Gürtel eine bemerkenswerte Figur. Unterhalb der Kniekehlen wölbten sich die Wadenmuskeln in den wollenen Strümpfen so rund und prall wie Grapefruits. «Amanda Tripp!» rief sie. «Komm hierher, Amanda Tripp!»