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Der Junge stand auf. «Mein Name ist Erich Tinte, Fräulein Knüppelkuh», antwortete er.

«Erich was?» rief die Knüppelkuh.

«Tinte», sagte der Junge.

«Benimm dich nicht so albern, Junge! So heißt man nicht!»

«Sie brauchen nur im Telefonbuch nachzuschlagen», sagte Erich, «da finden Sie meinen Vater unter Tinte.»

«Na gut», sagte die Knüppelkuh, «dann heißt du also Tinte, junger Mann, aber ich will dir mal etwas verraten. In der Tinte sitzt du schon, und ich werd dich in die Tinte tauchen, wenn du noch einmal versuchst, derartig unverschämt zu sein. Buchstabiere Grieß.»

«Dies?» stotterte Erich. «Was denn, wen denn?»

«Grieß, du Idiot, nicht dies! Also: Buchstabier Grieß!»

«G... R... I... S», antwortete Erich ein wenig zu hastig.

Ein unheilschwangeres Schweigen breitete sich aus.

«Du kannst es noch einmal versuchen», sagte die Knüppelkuh, ohne sich zu regen.

«Ach ja, ich weiß schon», sagte Erich. «Da muß noch ein E rein. G...R...I...E...S. Das ist ja ganz klar.»

Mit zwei gewaltigen Schritten stand die Knüppelkuh hinter Erichs Pult und blieb dort stehen, eine Salzsäule, die wie das rächende Schicksal selbst über dem hilflosen Jungen aufragte.

Erich warf über die Schulter einen ängstlichen Blick auf das Ungeheuer. «Es war doch richtig, nicht?» murmelte er unruhig.

«Falsch war’s!» krächzte die Knüppelkuh. «Du scheinst mir eine von diesen pickeligen Pockennarben zu sein, die alles falsch machen! Du sitzt falsch! Du siehst falsch aus! Du redest falsch! Du bist am ganzen Leibe falsch! Ich geb dir noch eine allerletzte Gelegenheit, es richtig zu machen. Los, buchstabier Grieß!»

Erich zögerte. Dann sagte er sehr langsam: «Es ist nicht G...R...I...S, und es ist auch nicht G...R...I...E...S. Aha, ich weiß schon. Es muß also G...R...I...E...Z sein.»

Die Knüppelkuh, die immer noch hinter Erich stand, griff sich den Jungen bei seinen beiden Ohren, wobei sie mit jeder Hand eines packte und sie zwischen Daumen und Zeigefinger zwickte und zwirbelte.

«Auatsch», rief Erich, «aua! Sie tun mir weh!»

«Damit hab ich noch gar nicht angefangen», sagte die Knüppelkuh kurz angebunden. Bei diesen Worten packte sie ihn noch fester bei den Ohren, hob ihn buchstäblich von seinem Platz und ließ ihn in der Luft schweben.

Erich heulte genauso auf wie vor ihm Rupert und schrie, daß die Wände wackelten.

Aus dem Hintergrund des Klassenraums rief Fräulein Honig:

«Nicht doch, Fräulein Knüppelkuh! Lassen Sie ihn bitte wieder los! Sie reißen ihm ja die Ohren ab!»

«Die reißen nicht ab», rief die Knüppelkuh zurück, «darin hab ich eine lange Erfahrung, Fräulein Honig, und ich habe festgestellt, daß den kleinen Jungen die Ohren ziemlich fest am Schädel sitzen.»

«Lassen Sie ihn los, Fräulein Knüppelkuh, bitte», bat Fräulein Honig, «Sie könnten ihn verletzen, ganz bestimmt. Sie könnten sie ihm abreißen!»

«Ohren sitzen bombenfest!» rief die Knüppelkuh. «Sie ziehen sich ganz erstaunlich in die Länge, wie es diese jetzt schon tun, aber abreißen, das kann ich Ihnen versichern, abreißen werden sie nie.»

Erich heulte noch lauter als zuvor und strampelte mit den Beinen in der Luft.

Matilda hatte noch niemals einen Jungen oder überhaupt einen Menschen gesehen, der nur an den Ohren in der Luft hing. Sie war genauso wie Fräulein Honig fest davon überzeugt, daß die Ohren durch das Gewicht, das an ihnen zog, in jedem Augenblick abreißen mußten.

Die Knüppelkuh schrie: «Das Wort Grieß wird G...R...I... E... S... Z geschrieben. Buchstabier’s mir nach, du Lümmel.»

Erich zögerte keine Sekunde.

Er hatte aus dem, was er vor ein paar Minuten bei Rupert beobachtet hatte, sofort die Lehre gezogen: Je schneller man antwortet, desto schneller wird man befreit. «Grieß buchstabiert man: G...R...I...E...S...Z», heulte er.

Die Knüppelkuh senkte ihn an beiden Ohren wieder auf seinen Platz hinter dem Pult. Dann marschierte sie vor die Klasse zurück und klopfte sich die Hände ab, als ob sie gerade etwas Schmutziges angefaßt hätte.

«So bringt man sie zum Lernen, Fräulein Honig», bemerkte sie. «Glauben Sie mir, es hat überhaupt keinen Zweck, wenn man es ihnen nur vorpredigt. Man muß es ihnen richtiggehend einbleuen. Es geht nichts über ein paar Kniffe und Püffe. Das hilft ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Das bringt sie dazu, sich prächtig zu konzentrieren.»

«Sie könnten ihnen aber einen bleibenden Schaden zufügen, Fräulein Knüppelkuh», rief Fräulein Honig aus.

«Das hab ich ganz bestimmt schon getan», antwortete die Knüppelkuh mit einem Grinsen. «In den letzten paar Minuten haben sich Erichs Ohren todsicher ein beträchtliches Stück gedehnt. Sie sind jetzt ein ganzes Stück länger als vorher. Aber das ist nicht schlimm, Fräulein Honig. Es wird ihm für den Rest seines Lebens eine hochinteressante Ähnlichkeit mit einem Gartenzwerg geben.»

«Aber Fräulein Knüppelkuh...»

«Ach, halten Sie doch die Klappe, Fräulein Honig! Sie sind genauso ein Jammerlappen wie die anderen. Wenn Sie hier mit Ihrer Arbeit nicht zu Rande kommen, dann können Sie ja kündigen und sich in irgendeiner windelweichen Privatschule für verzogene reiche Fratzen eine neue Stellung suchen. Wenn Sie erst einmal so lange unterrichtet haben wie ich, dann werden Sie schon merken, daß es überhaupt keinen Sinn hat, zu Kindern freundlich zu sein. Lesen Sie einmal ‹Nicholas Nickleby›, Fräulein Honig, von Charles Dickens. Lesen Sie von diesem bewundernswürdigen Schulleiter von Dotheboys Hall. Der hat gewußt, wie man mit diesen kleinen Verbrechern umspringen muß, das kann man wohl sagen! Er hat genau gewußt, wie man die Birkenrute zu benutzen hat, das kann man erst recht behaupten! Er hat ihre Hinterteile immer so glühend warm gehalten, daß man sich ein Spiegelei mit Speck darauf hätte braten können. Wirklich, ein hervorragendes Buch. Aber ich glaube nicht, daß diese Horde von Hohlköpfen, die hier vor uns versammelt sind, es jemals lesen können wird, denn so wie die aussehen, werden sie überhaupt nicht lesen lernen.»

«Ich hab’s gelesen», sagte Matilda in aller Seelenruhe.

Die Knüppelkuh fuhr mit dem Kopf herum und musterte das kleine Mädchen mit den dunklen Haaren und den tiefbraunen Augen, das in der zweiten Reihe saß, genau und gründlich. «Was hast du gesagt?» fragte sie scharf.

«Ich habe gesagt, ich hab’s gelesen, Fräulein Knüppelkuh.»

«Was gelesen?»

«‹Nicholas Nickleby›, Fräulein Knüppelkuh.»

«Du lügst mir ins Gesicht, mein Fräulein!» schrie die Knüppelkuh und glotzte Matilda an. «Ich bezweifle stark, daß es in der gesamten Schule auch nur ein einziges Kind gibt, das dieses Buch gelesen hat, und dann willst du hier, noch nicht trocken hinter den Ohren und in der untersten Klasse, mir so einen ungeheuerlichen Bären aufbinden! Was bildest du dir denn ein? Du mußt mich ja für eine Idiotin halten! Hältst du mich für eine Idiotin, Kind?»

«Also...» begann Matilda, zögerte dann jedoch. Sie hätte am liebsten gesagt: ‹Ja, und ob ich das tue›, aber das wäre Selbstmord gewesen. «Also...» wiederholte sie immer noch widerstrebend, immer noch nicht willens, einfach ‹nein› zu sagen.

Die Knüppelkuh ahnte, was im Kopf des Kindes vorging, und das behagte ihr gar nicht. «Steh auf, wenn du mit mir redest», fauchte sie. «Wie heißt du?»