Matilda stand auf und antwortete: «Mein Name ist Matilda Wurmwald, Fräulein Knüppelkuh.»
«Aha, Wurmwald?» wiederholte die Knüppelkuh. «In diesem Fall mußt du die Tochter des Mannes sein, dem die Wurmwald-Werkstatt gehört.»
«Ja, Fräulein Knüppelkuh!»
«Das ist vielleicht ein Gauner!» schrie die Knüppelkuh. «Vor einer Woche hat er mir einen Gebrauchtwagen verkauft und behauptet, er wäre so gut wie neu. Da hab ich ihn noch für einen schlauen Kerl gehalten. Aber als ich heute früh durch die Stadt gefahren bin, ist mir der ganze Motor aus dem Auto und auf die Straße gefallen. War voll bis obenhin mit Sägespänen! Dieser Mann ist ein Dieb und ein Räuber! Ich werde ihm das Fell über die Ohren ziehen lassen, darauf kannst du dich verlassen!»
«Er ist ein guter Geschäftsmann, sehr gescheit!» sagte Matilda.
«Gescheit! Daß ich nicht lache!» brüllte die Knüppelkuh. «Fräulein Honig hat mir gesagt, daß du auch gescheit sein sollst! Also, mein Fräulein, gescheite Leute kann ich ganz und gar nicht ausstehen! Heimtücker sind das alle! Und du bist ganz bestimmt eine Heimtückerin! Bevor ich mich mit deinem Vater erzürnt habe, hat er mir ein paar ziemlich häßliche Geschichten über dein häusliches Benehmen erzählt! Daß du mir ja nicht versuchst, hier in dieser Schule so etwas anzustellen, junge Dame. Ich werde von jetzt an ein wachsames Auge auf dich haben. Setz dich hin und halt den Mund.»
Matilda nahm wieder an ihrem Pult Platz, und die Knüppelkuh ließ sich hinter dem Lehrertisch nieder. Es war das erste Mal, daß sie sich in dieser Stunde hingesetzt hatte. Als nächstes streckte sie die Hand aus und griff nach ihrem Wasserkrug. Während sie ihn festhielt, aber noch nicht anhob, sagte sie: «Ich habe nie begreifen können, warum kleine Kinder so widerwärtig sind. Sie sind der Nagel zu meinem Sarg. Sie sind wie Insekten. Man sollte sie so früh wie möglich vernichten. Fliegen wird man los mit Insektenspray und indem man Fliegenfänger aufhängt. Ich habe immer schon ein Mittel gegen kleine Kinder erfinden wollen. Wäre das wunderbar, wenn ich einfach nur mit einer großen Fliegenspritze in diese Klasse zu treten und dann nur noch zu pumpen brauchte! Ein paar breite Streifen Leimpapier wären natürlich noch besser. Ich würde sie überall in der Schule aufhängen, und ihr würdet samt und sonders dran hängenbleiben, und dann wäre es aus mit euch. Wäre das nicht eine gute Idee, Fräulein Honig?»
«Wenn das ein Scherz sein soll, Frau Rektorin, so halte ich ihn nicht für sehr gelungen», antwortete Fräulein Honig hinten im Klassenraum.
«So, so, so, Fräulein Honig. Das halten Sie also nicht für komisch», antwortete die Knüppelkuh, «aber ich habe nicht beabsichtigt, einen Scherz zu machen. In meiner Vorstellung von einer vollkommenen Schule, Fräulein Honig, kommen überhaupt keine Kinder vor. Und irgendwann werde ich eine solche Schule gründen. Ich glaube, daß sie ein großer Erfolg werden wird.»
Das Weib hat den Verstand verloren, sagte sich Fräulein Honig. Sie ist jenseits von Gut und Böse. Sie ist diejenige, die man loswerden müßte.
Die Knüppelkuh hob nun den großen blauen Krug und goß sich etwas Wasser in ihr Glas. Und plötzlich schlüpfte mit der Flüssigkeit ein langer schlanker schleimiger Molch ins Glas, schlups!
Die Knüppelkuh stieß einen Schrei aus und fuhr von ihrem Stuhl in die Höhe, als ob darunter eine Silvesterrakete losgegangen wäre. Und jetzt sahen auch die Kinder das lange schlanke schleimige eidechsenartige Wasserwesen, das sich mit seinem gelben Bauch im Glas drehte und wandte, und sie kreischten und sprangen ebenfalls in die Höhe und schrien: «Was ist das? Oh, wie gräßlich! Das ist eine Schlange! Das ist ein kleines Krokodil! Ein Alligator!»
«Passen Sie auf, Fräulein Knüppelkuh!» rief Lavendel. «Das beißt bestimmt!»
Die Knüppelkuh aber, dieses machtvolle Riesenweib, stand in ihren grünen Reithosen da und zitterte und bebte wie ein Wackelpudding. Sie kochte vor Zorn, daß es jemandem gelungen war, sie so zu erschrecken und schreien zu lassen, denn sie bildete sich etwas auf ihre Unerschütterlichkeit ein. Sie glotzte das Geschöpf an, das in dem Glas zappelte und paddelte. Merkwürdigerweise hatte sie noch nie einen Wassermolch gesehen. Naturkunde war nicht gerade ihre Stärke. Sie hatte also keine blasse Ahnung, was das für ein Wesen war. Es sah auf jeden Fall höchst widerwärtig aus. Langsam ließ sie sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. In diesem Augenblick wirkte sie fürchterlicher denn je. In ihren kleinen schwarzen Augen loderten die Flammen der Wut und des Hasses.
«Matilda!» bellte sie. «Steh auf!»
«Wer, ich?» fragte Matilda. «Was hab ich denn getan?»
«Steh auf, du widerwärtige Wanze!»
«Ich habe nichts gemacht, Fräulein Knüppelkuh, ganz bestimmt nicht. Ich habe dies eklige Ding noch nie gesehen!»
«Sofort stehst du auf, du kleiner Drecksack!»
Matilda stellte sich widerstrebend hin. Sie war in der zweiten Reihe. Lavendel saß in der Reihe hinter ihr und spürte schwache Gewissensbisse. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihre Freundin in die Klemme zu bringen. Andererseits war sie felsenfest entschlossen, nichts zuzugeben.
«Du bist ein verschlagenes, heimtückisches, dickköpfiges, boshaftes kleines Biest!» donnerte die Knüppelkuh. «Du gehörst gar nicht in diese Schule. Du solltest hinter Gittern sitzen, da gehörtest du hin! Ich werde dich in Schimpf und Schande aus diesem Institut jagen! Ich werde die Lehrer dazu bringen, dich mit Hockeyschlägern durch die Gänge und aus dem Schultor zu prügeln. Ich werde dem gesamten Lehrkörper befehlen, dich schwerbewaffnet nach Hause zu begleiten. Und dann werde ich dafür sorgen, darauf kannst du dich verlassen, daß sie dich für mindestens vierzig Jahre in ein Zuchthaus für jugendliche Schwerverbrecherinnen stecken!»
Die Knüppelkuh hatte sich so in Wut geredet, daß ihr Gesicht wie gekocht aussah und sich Schaum in ihren Mundwinkeln gesammelt hatte. Aber sie war nicht die einzige, die ihre Gelassenheit verlor. Matilda begann ebenfalls rotzusehen. Es kümmerte sie überhaupt nicht, wenn sie für etwas gescholten wurde, was sie wirklich getan hatte, das entsprach ihrem Sinn für Gerechtigkeit. Aber für ein Verbrechen angeklagt zu werden, das sie ganz und gar nicht begangen hatte, war eine vollkommen neue Erfahrung für sie. Mit diesem Zappelding im Glas hatte sie absolut nichts zu schaffen. Verflixt und zugenäht, dachte sie, das laß ich mir von dieser niederträchtigen Knüppelkuh nicht anhängen!
«Ich hab es nicht getan!» schrie sie.
«Und ob du das hast!» keifte die Knüppelkuh zurück. «Keiner außer dir hätte so eine Gemeinheit ausbrüten können. Dein Vater hat schon recht gehabt, daß er mich vor dir gewarnt hat!»
Die Frau schien jetzt auch das letzte bißchen Selbstbeherrschung verloren zu haben. Sie raste wie eine Wahnsinnige. «Du bist in dieser Schule erledigt, junge Dame!» schrie sie. «Du bist überall erledigt. Ich werde persönlich dafür sorgen, daß man dich in ein so finsteres Loch steckt, daß nicht einmal die Krähen ihren Kot auf dich klackern lassen können. Nie mehr sollst du das Tageslicht sehen!»