«Das mußt du eben lassen, was denn sonst», sagte seine Frau. Und später, während sie ihren klapprigen kleinen Mann in seinem lilagestreiften Pyjama mit dem Pastetenhut auf dem Kopf trübselig durch das Schlafzimmer schleichen sah, fiel ihr auf, wie einfältig er aussah. Kaum einer von den Männern, von denen eine Ehefrau träumt, gestand sie sich ein.
Herrn Wurmwald fiel jedoch auf, daß das Schlimmste an einem Dauerhut auf dem Kopf die Notwendigkeit war, damit schlafen zu müssen. Es war unmöglich, sich gemütlich aufs Kissen zu legen. «Gib endlich Ruhe», sagte seine Frau, nachdem er sich ungefähr eine Stunde lang hin und her geworfen hatte. «Morgen früh ist er sicher lose, und dann rutscht er dir ganz leicht ab.»
Nichts war am Morgen lose, und nichts rutschte ganz leicht ab.
Deshalb nahm Frau Wurmwald eine Schere und schnitt ihm das Ding vom Schädel, Stück für Stück, zuerst den Deckel und dann die Krempe. Wo ihm das Schweißband an den Schläfen und am Hinterkopf festklebte, mußte sie ihm die Haare dicht über der Haut stutzen, so daß er zum Schluß mit einem kahlen, weißen Kranz um den Kopf dasaß wie ein Mönch. Vorn jedoch, wo das Schweißband direkt auf der nackten Haut klebte, blieben eine ganze Reihe von kleinen Lederflecken haften, die sich nicht abwaschen ließen, so oft er es auch versuchte.
Beim Frühstück sagte Matilda zu ihm: «Du mußt wirklich versuchen, diese Flecken von deiner Stirn zu kriegen, Vati. Jetzt sieht das so aus, als ob lauter kleine braune Insekten auf dir herumkrabbeln. Die Leute werden denken, du hättest Läuse.»
«Still!» fuhr sie der Vater an. «Und halt deinen vorlauten Mund gefälligst geschlossen, verstanden!»
Alles in allem ein höchst befriedigendes Probeunternehmen. Aber es wäre sicher vermessen, sich jetzt schon der Hoffnung hinzugeben, der Vater hätte eine dauerhafte Lehre daraus gezogen.
Nach der Sache mit dem Schnellkleber herrschte bei den Wurmwalds ungefähr eine Woche lang ein gemäßigter Frieden. Diese Erfahrung hatte Herrn Wurmwald ganz offensichtlich einen Dämpfer verpaßt, und er schien vorübergehend seine Vorliebe fürs Angeben und Anschnauzen verloren zu haben.
Dann schlug er plötzlich wieder zu. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag in der Werkstatt gehabt und nicht genug Rostlauben verkauft. Es gibt vielerlei Kleinigkeiten, die einen Mann nervös machen, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kommt, und eine kluge Frau spürt meistens die Sturmsignale und läßt ihn in Ruhe, bis er nur noch leise blubbert.
Als Herr Wurmwald an diesem betreffenden Abend aus seiner Garage nach Hause kam, dräute sein Antlitz düster wie eine Gewitterwolke, und es war klar, daß es ziemlich bald jemandem an den Kragen gehen würde. Seine Frau erkannte die Alarmzeichen sofort und machte sich dünn. Er aber schlenderte ins Wohnzimmer. Dort hatte sich Matilda gerade in dem Lehnsessel in der Ecke eingerollt und war vollkommen in ein Buch versunken. Herr Wurmwald stellte den Fernsehapparat an. Der Bildschirm wurde hell. Die Sendung plärrte los. Herr Wurmwald starrte Matilda an. Sie hatte sich nicht einmal geregt. Sie hatte sich unterdessen angewöhnt, ihre Ohren vor dem Getöse der Glotze vollkommen zu versperren. Sie las also einfach weiter, und aus einem unerklärlichen Grunde versetzte das ihren Vater in helle Wut. Vielleicht nährte es seinen Ärger noch, daß er sah, wie sie aus etwas Vergnügen gewann, das seinen Horizont überstieg.
«Mußt du denn immerzu lesen?» fuhr er sie an.
«Oh, hallo Vati», sagte sie freundlich, «hast du einen guten Tag gehabt?»
«Was ist das denn für ein Mist?» fragte er und riß ihr das Buch aus den Händen.
«Das ist kein Mist, Vati, das ist schön. Es heißt ‹Der rote Pony›, von John Steinbeck, einem amerikanischen Schriftsteller. Warum schaust du nicht einmal hinein, es würde dir gefallen.»
«Dreck», sagte Herr Wurmwald. «Wenn es von einem Ami stammt, ist es ganz bestimmt Dreck. Über was anderes schreiben die gar nicht.»
«Nein, Vati, es ist schön, ganz ehrlich. Es handelt von...»
«Ich will nicht wissen, wovon es handelt», bellte Herr Wurmwald. «Deine ewige Leserei geht mir sowieso schon auf den Wecker. Such dir doch endlich eine nützliche Beschäftigung.» Damit begann er plötzlich in rasender Geschwindigkeit, die Seiten, immer eine ganze Handvoll auf einmal, aus dem Buch zu reißen und sie in den Papierkorb zu schmeißen.
Matilda erstarrte vor Schreck. Der Vater wütete weiter, ganz ohne Frage von einer unbestimmten Eifersucht getrieben. Wie konnte sie es wagen, schien er bei jedem Rausriß einer Seite zu fragen, wie konnte sie es wagen, sich beim Bücherlesen zu amüsieren, wenn er nicht dazu imstande war? Wie konnte sie es nur wagen?
«Das ist ein Büchereibuch!» schrie Matilda. «Es gehört mir nicht. Ich muß es Frau Phelps zurückgeben!»
«Dann wirst du ein neues kaufen müssen, nicht wahr?» entgegnete der Vater und riß und riß die Seiten raus. «Du wirst dein Taschengeld aufheben müssen, bis du genug in der Sparbüchse hast, um deiner kostbaren Frau Phelps ein neues zu kaufen, nicht wahr?» Damit ließ er den unterdessen leeren Einband des Buches in den Papierkorb fallen und marschierte aus dem Zimmer, in dem der Fernsehapparat weiter lärmte.
Die meisten Kinder wären jetzt an Matildas Stelle in wahre Tränenschauer ausgebrochen. Sie dachte jedoch gar nicht daran. Sie saß vollkommen reglos und blaß und nachdenklich da. Sie schien genau zu begreifen, daß ihr weder Trotz noch Geheul etwas einbrachten. Die einzige vernünftige Reaktion auf einen Angriff ist, wie Napoleon einmal sagte, zurückzuschlagen. Matildas wunderbar wendiger Geist war schon damit beschäftigt, eine neue passende Bestrafung für dieses gemeingefährliche Elternteil zu entwerfen. Der Plan, den sie jetzt in ihrem Kopf auszubrüten begann, hing nur von der Frage ab, ob Freds Papagei tatsächlich so perfekt sprechen konnte, wie Fred behauptete.
Fred war Matildas Freund. Er war ein kleiner Junge von sechs Jahren, der eben um die Ecke wohnte, und seit Tagen hatte er von nichts anderem als von diesem großen sprechenden Papagei geredet, den ihm sein Vater geschenkt hatte. Sowie also Frau Wurmwald am kommenden Nachmittag mit ihrem Wagen zur nächsten Bingorunde verschwunden war, brach auch Matilda auf, um in Freds Haus die Lage zu klären. Sie klopfte an seine Tür und fragte, ob er so gut sein und ihr den berühmten Vogel zeigen könne. Fred war entzückt und führte sie hinauf in sein Schlafzimmer, wo ein wirklich prachtvoller blau-gelber Papagei in einem großen Käfig saß.
«Das ist er», verkündete Fred, «er heißt Hacker.»
«Laß ihn sprechen», sagte Matilda.
«Man kann ihn nicht sprechen lassen», entgegnete Fred, «man muß geduldig sein. Er redet, wenn er Lust dazu hat.»
Sie hingen also herum und warteten. Plötzlich sagte der Papagei: «Hallo, hallo, hallo!» Es klang genau wie eine Menschenstimme. Matilda sagte: «Das ist erstaunlich. Was kann er noch sagen?»
«Da klappern mir die Knochen!» sagte der Papagei, wobei er ganz schauerlich eine Geisterstimme nachahmte. «Da klappern mir die Knochen!»
«Das sagt er immer», erklärte Fred.