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«Wie wer?»

«Shakespeare, Vati.»

«War der gescheit?»

«Sehr, Vati.»

«Und hatte den ganzen Kopf voller Haare, was?»

«Er war kahl, Vati.»

Daraufhin hatte sie der Vater angefahren: «Wenn du nichts Vernünftiges zu sagen hast, dann halt die Klappe.»

Herr Wurmwald tat jedenfalls einiges dafür, um sich die Haare so stark und kräftig zu erhalten, oder bildete es sich ein, indem er sich jeden Morgen eine kräftige Portion Haarwasser namens Veilchenöl-Haartonikum einmassierte. Eine Flasche dieser duftenden purpurnen Mischung stand immer auf dem Ablagebrett überm Waschbecken im Badezimmer, neben all den Zahnbürsten, und jeden Morgen nach dem Rasieren fand eine wilde Schädelrubbelei statt. Diese Haar- und Kopfmassage wurde stets von lauten männlichen Grunzern begleitet, von schwerem Atmen und von lautem Keuchen: «Ah, das ist besser! Das ist rührig! Kräftig rein damit, bis in die Wurzeln!», was Matilda in ihrem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Korridors noch deutlich hören konnte.

Nun schraubte Matilda in der Verschwiegenheit des frühen Morgens im Badezimmer die Kappe von ihres Vaters Veilchenöl und kippte drei Viertel des Inhalts in den Ausguß. Dann füllte sie die Flasche wieder mit der ‹Goldblonden Haarfarbe, extra stark› von ihrer Mutter auf. Sie hatte klugerweise genug Haarwasser in der Flasche ihres Vaters gelassen, so daß es immer noch einigermaßen purpurn aussah, nachdem sie das Ganze tüchtig geschüttelt hatte. Dann stellte sie die Flasche wieder auf die Ablage über dem Waschbecken und vergaß auch nicht, die Flasche ihrer Mutter in das Badezimmerschränkchen zurückzustellen. So weit, so gut.

Beim Frühstück saß Matilda ruhig am Eßtisch und aß ihre Getreideflocken. Ihr Bruder saß ihr mit dem Rücken zur Tür gegenüber und verdrückte dicke Brotschnitten, die mit einer Mischung aus Erdnußbutter und Erdbeermarmelade bestrichen waren. Die Mutter war im Augenblick nicht zu sehen, weil sie nebenan in der Küche stand und das Frühstück für Herrn Wurmwald zubereitete, das stets aus zwei Spiegeleiern auf geröstetem Brot mit drei Schweinswürstchen, drei Scheiben Speck und ein paar gebratenen Tomaten bestand.

In diesem Augenblick betrat Herr Wurmwald geräuschvoll das Zimmer. Er hätte keinen Raum leise betreten können, besonders nicht zum Frühstück. Er mußte stets mit Getöse und Getön in Erscheinung treten, und man hörte ihn fast sagen: ‹Ich bin’s! Hier komme ich, der große Meister in eigener Person. Der Herr des Hauses, der Geldverdiener, derjenige, dem ihr es alle verdankt, daß ihr so herrlich und in Freuden leben könnt! Nehmt mich wahr und betet mich an!›

An diesem besonderen Tag trat er auf, schlug seinem Sohn auf den Rücken und rief: «Also, mein Junge, dein Vater hat das Gefühl, daß ihm heute wieder ein schöner Tag zum Geldverdienen in der Garage bevorsteht! Ich hab ein paar kleine Schmuckstücke, die ich den Idioten heute früh noch unterjubeln werde. Wo bleibt mein Frühstück?»

«Kommt schon, mein Schatz», rief Frau Wurmwald aus der Küche.

Matilda hielt den Kopf über ihre Getreideflocken gebeugt. Sie wagte nicht aufzuschauen. Erstens wußte sie nicht genau, was sie zu sehen bekommen würde. Und wenn sie zweitens das, was sie zu sehen hoffte, wahrhaftig sah, dann wußte sie nicht, ob sie sich auf ihre unbewegte Miene verlassen konnte. Der Sohn starrte geradewegs aus dem Fenster und stopfte sich mit Erdnußbutterbrot und Erdbeermarmelade voll.

Der Vater war gerade im Begriff, sich auf seinen Platz am Ende des Tisches zu setzen, als die Mutter aus der Küche mit einem Teller angefegt kam, der hoch mit Spiegeleiern und Würstchen und Speck und Tomaten beladen war. Sie schaute auf. Sie erblickte ihren Gatten. Sie erstarrte. Sie stieß einen Schrei aus, der sie senkrecht in die Luft zu katapultieren schien, und sie ließ den Teller mit Krach und Klirren auf den Boden fallen. Alle sprangen auf, auch Herr Wurmwald.

«Was zum Teufel ist denn mit dir los, Frau?» schrie er. «Schau dir an, was du für eine Schweinerei auf dem Teppich gemacht hast!»

«Deine Haare!» schrie die Mutter und deutete mit bebendem Zeigefinger auf ihren Mann. «Schau dir deine Haare an! Was hast du bloß mit deinen Haaren gemacht?»

«Was ist denn um des Himmels willen mit meinen Haaren los?» fragte er.

«O mein Gott, Vati, was hast du mit deinem Haar gemacht!» rief der Sohn.

Im Frühstückszimmer begann sich die herrlichste Keiferei zu entwickeln.

Matilda sagte gar nichts. Sie saß nur da und bewunderte die prachtvolle Wirkung ihrer eigenen Geschicklichkeit. Der dichte schwarze Haarschopf von Herrn Wurmwald sah jetzt schmutzig silbern aus, diesmal wie das Kostüm einer Seiltänzerin, die es seit Anfang der Zirkussaison nicht gewaschen hat.

«Du hast... Du hast... Du hast es gefärbt!» keuchte die Mutter. «Warum hast du denn das gemacht, du Idiot! Es sieht einfach gräßlich aus! Ekelhaft! Du siehst aus wie eine Mißgeburt!»

«Zum Donnerwetter, von was redet ihr denn?» brüllte der Vater und fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. «Ich hab sie mir ganz bestimmt nicht gefärbt. Was soll das heißen, ich hätt sie mir gefärbt? Was ist denn damit passiert? Oder ist das ein übler Scherz?» Sein Gesicht nahm allmählich eine hellgrüne Farbe an, genau wie unreife, saure Äpfel.

«Du mußt es dir gefärbt haben, Vati», sagte der Sohn, «es hat jetzt genauso eine Farbe wie Mamis, nur, es sieht viel dreckiger aus.»

«Natürlich hat er’s gefärbt!» schrie die Mutter. «Haare kriegen nicht von ganz alleine eine andere Farbe. Was um des Himmels willen hast du bloß damit beabsichtigt, wolltest du schöner aussehen oder was? Jetzt siehst du aus wie irgendwessen Großmutter, die den Verstand verloren hat!»

«Her mit einem Spiegel!» heulte der Vater. «Steht hier nicht rum und schreit mich an! Bringt mir einen Spiegel!»

Die Handtasche der Mutter lag auf dem Stuhl am anderen Ende des Tisches. Sie klappte die Handtasche auf und holte eine Puderdose heraus, die innen im Deckel einen kleinen Spiegel hatte. Sie machte die Puderdose auf und reichte sie ihrem Mann. Er griff danach und hielt sie sich vors Gesicht und verschüttete dabei den halben Puder, der vorn auf seine knallbunte Tweedjacke rieselte.

«Paß doch auf!» kreischte die Mutter. «Jetzt sieh doch nur, was du wieder angestellt hast! Das ist mein bester Elizabeth Arden-Gesichtspuder!»

«Allmächtiger!» heulte der Vater und starrte in den kleinen Spiegel. «Was ist denn mit mir passiert! Ich sehe ja schrecklich aus! Genauso, als ob es bei dir schiefgegangen wäre. So kann ich nicht in den Betrieb. So kann ich keine Autos verkaufen! Wie konnte das nur passieren?» Er starrte in die Runde, richtete den Blick zuerst auf die Mutter, dann auf den Sohn, schließlich auf Matilda. «Wie konnte das nur passieren?» rief er.

«Ich könnte mir denken, Vati»,antwortete Matilda ruhig, «daß du nicht genau hingeschaut hast und einfach Mamis Flasche mit dem Haarzeugs vom Regal genommen hast statt deine eigene.»

«Ja natürlich, so muß es gewesen sein!» stöhnte die Mutter. «Also wirklich, Harry, wie kann man nur so blöd sein? Man muß sich doch das Etikett anschauen, eh man sich so was eimerweise auf den Kopf schüttet! Meins wirkt außergewöhnlich kräftig. Ich soll nur einen einzigen Eßlöffel davon in ein ganzes Waschbecken voll Wasser geben, und du schüttest dir alles direkt auf den Schädel! Paß nur auf, wahrscheinlich gehen dir jetzt alle Haare aus. Spürst du schon ein Brennen auf dem Kopf, Liebling?»