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Statt eines Vorworts: Auszüge aus Leserbriefen

Auch wir hatten russische Nachbarn. Ständig brannte Licht bei denen in der Wohnung, egal ob Tag, ob Nacht, immer hörte man sie singen, kochen oder fluchen, die Fenster waren immer erleuchtet. Tagsüber saßen sie normalerweise zu Hause, nachts torkelten sie die Treppen herunter.

»Die Russen schlafen nie«, seufzte mein Vater.

Leser X. aus Geiselkirchen

In Hamburg hatte ich eine Blondine als Nachbarin, ich glaube, es war eine Russin. Einmal saß ich zu Hause und langweilte mich, da dachte ich, gehe ich doch mal rüber und lade sie auf ein Glas Wein zu mir ein, die Russinnen müssen doch einen guten Sinn für Humor haben. Ich klopfte an ihre Tür und sagte: »Hören Sie mal, Frau Katjuscha, ich möchte nicht drum herumreden. Ich bin allein, Sie sind allein, kommen Sie doch mit mir mit.« Dazu machte ich eine einladende Geste. Die Russin wurde plötzlich rot. Sie sagte so etwas wie »kren tebe« und knallte die Tür zu, ganz spießig.

Zu Hause blätterte ich im Wörterbuch. »Kren« soll auf Russisch Meerrettich heißen.Was das mit mir zu tun hatte, weiß ich bis heute nicht.

LeserY. aus Buchholz

Der Russe im Erdgeschoß benahm sich eigentlich ganz freundlich. Jedes Mal wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, saß er an seinem Fenster und rauchte. Er sagte zu mir stets »Guten Tak!« und »DollerWagen!« Einmal parkte ich wie immer vor dem Haus, ging zur Tür, aber der Mann war nicht da. Nur das Fenster in seinem Zimmer stand offen. Ich schaute vorsichtig hinein. Überall lagen Autoreifen aufeinandergestapelt und auf dem Tisch ein Maschinengewehr.

Leserin T. aus Karlsruhe

In Bremen wohnten unter uns Russen aus Riga. Sie sprachen untereinander Russisch, und eine ihrer Töchter wurde die beste Freundin meiner Mutter und dann auch meine Babysitterin. Ihre Hochzeiten feierten sie auch russisch, d.h. das Essen hatte viele Gänge und nach jedem wurde eine schwarze Zigarette geraucht. Sie schenkten uns irgendwann einen Samowar.

Leser H. aus Bremen

***

Eines Tages klingelte es an meiner Tür. Es war Sonntag. Draußen stand meine russische Nachbarin, die sagte, dass ihr das Salz ausgegangen sei. Zumindest ließen sich ihre Gesten und das antiquarische Russisch-Deutsch-Wörterbuch mit dem Finger auf demWort »Salz« so deuten. Ich füllte also Salz in ein Glas, genug, um ein mehrgängiges Menü komplett ungenießbar zu machen. Aber meine Nachbarin lachte nur. Ich hatte sie offenbar missverstanden. Also kein Salz? Nein, Moment - Meersalz? Nein, auch falsch. Jetzt aber - alles klar: mehr Salz. Noch mehr? Kein Problem. Ich drückte ihr meinen kompletten Vorrat in die Hand: eine Büchse bestes jodhaltiges Speisesalz. Salz verwende ich für Nudelwasser, und noch nie ist mir ein Rezept untergekommen, für das man eine ganze Packung davon gebraucht hätte. Meiner Nachbarin offensichtlich schon. Eine Packung war zu wenig. Mit den Händen deutete sie etwas sehr Großes an. Und dann etwas Rundes. Dann wieder etwas Großes, das wohl ein Sack sein sollte. Ein Sack? Ein Sack Salz für etwas Rundes? Für ganz viele runde Sachen? Sie eilte in ihre Wohnung zurück und holte einen Kohlkopf. Und so langsam dämmerte es mir.Weißkohl plus Salz ergibt Sauerkraut.

Ich war stolz auf meine Kombinationsgabe. Anscheinend hatten meine russischen Nachbarn beim Zubereitungsprozess den point of no return erreicht, bevor ihnen die zweitwichtigste Zutat ausgegangen war. Ich ruderte heftig mit den Armen, um mein Bedauern auszudrücken und zeigte meine leeren Hände. Dann deutete ich treppabund treppaufwärts sowie in alle Himmelsrichtungen, um zu signalisieren, dass wir uns aufteilen sollten, um bei den restlichen Nachbarn sammeln zu gehen. Es kam so noch ein ordentlicher kleiner Salzberg zusammen. Das fertige Sauerkraut konnte ich leider nicht mehr probieren, weil ich wenig später ausgezogen bin. Aber ich bin sicher, es ist gut geworden.

Leserin A. aus München

Was nützt uns der schönste Sozialstaat, wenn die Kosaken kommen?

Franz-Josef Strauß aus München

Neue Nachbarn

Nachts fing es an zu regnen, die Tropfen trommelten eine Herbstsymphonie auf das neu gedeckte Plastikdach über den Mülltonnen im Hinterhof. Ich saß auf dem Balkon und las Die früheuropäische Geschichte von Le Goff. Gegen 2.00 Uhr klappte ich das dicke Buch zu und machte das Licht in der Wohnung aus. Alles versprach, eine gute, ruhige Nacht zu werden.

Um 5.00 Uhr rissen mich die Katzen aus dem Schlaf, die völlig verstört ihren Urinstinkten folgend über mein Bett sprangen. Dieses merkwürdige Verhalten der Hauskatzen bei Vollmond erklärt sich durch die früheuropäische Geschichte, schoss es mir durch den Kopf. Wir alle waren einmal etwas ganz anderes gewesen und haben uns im Laufe der Jahrhunderten zivilisiert, doch manchmal kommt die Vergangenheit wieder hoch, und wir fallen zurück. Besonders sichtbar ist dieses Phänomen bei Hauskatzen. Tagsüber sind sie zahm und verschlafen, nachts verwandelt sie die Kraft des Mondes in wilde blutrünstige Bestien, die sie früher vermutlich auch waren. Ich verscheuchte die Tiere und legte mich wieder hin.

Um halb acht knallten die ersten Türen im Treppenhaus, die Kinder gingen zur Schule, und um 8.00 Uhr spielte jemand Trompete auf dem Balkon. Ich legte mir mein Kissen auf den Kopf, krümmte mich zusammen, aber nichts half gegen diese verdammten Trompetensoli. Die Melodie schien mir irgendwie bekannt, nur erinnerte ich mich nicht, woher. »Wer ist diese Sau?«, dachte ich im Halbschlaf. Die Oma aus dem dritten hat zwar einen Knall, aber keine Trompete. Der dicke Junge mit der Pfeife aus dem zweiten Stock kam auch nicht in Frage, er konnte unmöglich so gut spielen. Vielleicht der Internetdesigner mit vergipstem Bein aus dem Hinterhofparterre? Dann erinnerte ich mich an das neue Schild auf unserer Gegensprechanlage, das ich am Vortag entdeckt hatte; zwei Namen, die irgendwie russisch klangen. Ein Trompetenspieler mit russischem Doppelnamen? Das hatte uns gerade noch gefehlt. Wann war er nur eingezogen? Sein Umzug musste geräuschlos verlaufen sein, ich hatte weder einen Umzugswagen vor dem Haus gesehen noch Kartonstapel unten im Flur. Ich hatte diesen Musiker noch nie getroffen, ich wusste nicht einmal, in welche Wohnung er eingezogen war. Das Einzige, was ich über ihn wusste: Der Mann spielte um 8.00 Uhr früh Trompete auf dem Balkon. Das war eigentlich zu erwarten gewesen! Aus unerfindlichen Gründen ziehen hauptsächlich Durchgeknallte in unser Haus, keine vernünftigen Bürohengste, keine Angestellten des öffentlichen Dienstes, sondern sonderbare Künstler und Sportler. Über uns wohnt eine Opernsängerin, in der Wohnung gegenüber ein Dartspiel-Weltmeister, im Erdgeschoß mein Hobbytrommler und Technofreak. Der Trompeter war unvermeidlich.

Am Nachmittag machte ich meinen neuen Nachbarn im Treppenhaus ausfindig: ein Jungstudent mit Lederjacke, Rucksack und schwarzem langem Haar. Ich sprach ihn auf das Trompetespielen an, ob er immer nur von 7.00 bis 8.00 Uhr spielen könne. Er sagte »Sdrawstwujte« zu mir. Tatsächlich ein Landsmann! Wir redeten eine halbe Stunde miteinander. Unglaublich aber wahr, es waren gleich zwei Russen in das Haus gezogen. Ab sofort wohnte ich mit einer Russen-WG unter dem selben Dach! Beide um die dreißig Jahre alt. Der eine, Andrej, war erst vor kurzem nach Deutschland gekommen, er stammte aus Leningrad, heute St. Petersburg. Der andere, Sergej, war schon länger hier. Er kam aus Weißrussland, hatte in Vechta studiert, nahe Bremen gewohnt, in Köln gearbeitet und war dann nach Berlin umgezogen, weil er das Rheinland zu klein und langweilig fand. Ich verabredete mich mit Andrej noch auf der Treppe für den Abend zum Schachspielen. Gott segne unser Haus, dachte ich unterwegs in der Stadt, endlich lustige Nachbarn!