So einen Spiderman wollte sich Andrej besorgen. Doch das Drehbuch seines Lebens wollte es anders. Statt einem großen Hund zu einem glücklichen Zuhause zu verhelfen, rettete Andrej unerwartet einen Flusskrebs. Und das kam so: Er fuhr nach Friedrichsfelde, um dort einen gerade eröffneten russischen Supermarkt zu besuchen. Die Russen hatten sich dort sehr großzügig eingerichtet. Sie hatte sogar ein Aquarium aufgestellt mit zwei lebendigen Stören darin - einem kleinen und einem großen. Der große war Andrej zu groß, aber den kleinen hätte er gern gebraten. Nein, meinte die Verkäuferin, der sei leider schon von einem Ehepaar vorbestellt worden, die Glücklichen würden jede Minute aufkreuzen. Andrej beschloss zu warten, denn vielleicht kamen die beiden ja nicht oder ließen sich überreden, den Fisch mit ihm zu teilen.
Sie kamen: ein älteres deutsches Ehepaar mit großem rundem Aquarium im Gepäck. Der kleine Stör, der gar nicht so klein war und locker viereinhalb Kilo auf die Waage brachte, wanderte in das runde Ding.
»Soll ich Ihnen ein wenig Eis hineintun?«, fragte die Verkäuferin fürsorglich.
»Wollen Sie ihn nicht mit mir teilen?«, fragte Andrej für alle Fälle.
Die Frau erschrak. »Das kommt gar nicht in Frage!«, antwortete sie aufgeregt.
»Um diesen Fisch richtig zuzubereiten, braucht es ein wenig kulinarisches Knowhow. Ich kann Ihnen ein paar gute Rezepte verraten«, trumpfte Andrej auf. »Was wollen Sie denn machen?«
»Wir wollen gar nichts mit ihm machen«, erwiderte die Frau. »Wir lassen ihn frei!«
Andrej erschrak. »Wie denn - in der Badewanne?«
»Wieso denn in der Badewanne? Wir haben einen kleinen Teich im Garten, dort wird er leben.«
»Bei den Temperaturen wird er in Ihrem Teich keine fünf Minuten überleben!«, log mein Nachbar. Die Frau zeigte sich jedoch gut vorbereitet:
»Stimmt nicht«, sagte sie. »Störe kommen aus Sibirien, sie können noch viel niedrigere Temperaturen aushalten.«
Ihr Mann schwieg die ganze Zeit und zählte sein Geld.
»Na, Dietmar, mindestens ein Leben haben wir jetzt gerettet. Lass uns den großen auch noch mitnehmen!«, meinte die Frau zu ihrem Mann.
»Nein, Liebling, das geht nicht. Das können wir uns nicht leisten. Außerdem passt er nicht ins Aquarium.
»Lassen Sie uns den großen doch teilen!«, mischte Andrej sich ein.
Die beiden kuckten ihn an wie einen Kannibalen und verließen den neuen russischen Supermarkt. Er blieb allein an der Fischtheke zurück und fühlte sich unwohl. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen, ohne etwas Unrechtes getan zu haben. Er musste dringend etwas Gutes tun.
»Haben Sie noch irgendwas zu retten?«, fragte Andrej die Fischverkäuferin.
Ja, das hatte sie! Und so rettete er den letzten Krebs, der mit zusammengebundenen Scheren verschüchtert in der Ecke des Aquariums hockte. Dieser Flusskrebs erwies sich als außerordentlich intelligent. Andrej nannte ihn Pawlow zu Ehren des berühmten Wissenschaftlers. Pawlow isst am liebsten Leberwurst und sitzt gerne im Dunkeln. Wenn es ihm in der Duschwanne zu langweilig wird, setzt er sich auch schon mal auf den Rand und sieht Andrej bei der Morgentoilette zu. Der Hund wurde vergessen, der Flusskrebs ist nun Andrejs bester Freund. Im Sommer fahren sie zusammen an den Müggelsee zum Tauchen.
Wer wird Milliardär?
Meine russischen Nachbarn interessieren sich sehr dafür, wie man in Deutschland superreich wird. Wenn man der hiesigen Forbes-Liste glauben darf, ist es in jedem Land ein anderer Weg, der zu Reichtum führt. Es hat viel mit der Mentalität und den daraus resultierenden Einkaufgewohnheiten zu tun. Was einen Deutschen reich macht, würde Russen bloß in den Wahnsinn treiben und umgekehrt: Was den Russen bereichert, bringt den Deutschen womöglich um. In Amerika ist die Sache längst klar. Dort kommen alle Milliardäre aus dem Netz. Sie haben ihr Geld im Internet, mit dem Internet oder aus dem Internet verdient. Sie leben im Internet und sind in Wirklichkeit eine Computeranimation. Ihr Reichtum ebenso wie ihre ganze Existenz findet in nicht-realen Räumen statt.
In Deutschland sind die Milliardäre solide. Es sind Menschen, die es geschafft haben, eine Unmenge von billigem Fummel und eine astronomische Anzahl von Würstchen in Riesenkonservendosen unter die Massen zu bringen. Die Reichsten unter den Reichen sind die Gebrüder ALDI, nach der gleichnamigen Lebensmittelladenkette benannt. Sie verkaufen in den größten Kaufhallen die billigsten Lebensmittel, die außerdem noch extrem lange halten. Und wenn man lange genug in diesen Lebensmitteln herumwuselt, findet man immer noch andere Lebensmittel, die noch billiger sind und noch länger halten. Wir hatten einmal einen Lutscher bei den Gebrüdern ALDI gekauft, zwei Wochen lang an ihm gelutscht und ihn dann an die Nachbarn weitergegeben. Sie haben ihn nach drei Monaten aber weggeworfen. Er klebte dann den ganzen Winter an der Mülltonne im Hof fest, ist dabei keinen Zentimeter kleiner geworden - und wer weiß, wie lange die Gebrüder ALDI schon an ihm gelutscht hatten, bevor sie ihn überhaupt an uns verkauften.
Diese Brüder hat keiner jemals so richtig gesehen. Sie sind öffentlichkeitsscheu und kleiden sich unauffällig. Niemand weiß, wie sie aussehen. Jeder Kunde von ALDI könnte ein ALDI-Bruder sein. Das Geheimnis ihres Erfolgs liegt eindeutig in der hiesigen Mentalität. Die Deutschen legen nämlich unheimlich gerne Vorräte an, weil sie sich ständig Gedanken über die Zukunft machen. Es könnte immer etwas geschehen: Die Erde könnte aufhören sich zu drehen, das Bier könnte ausgehen oder die Würste vergriffen sein. Für einen solchen Fall der Fälle haben alle Deutschen Keller. Sie kaufen auf Vorrat ein, und wenn man ihnen dabei zwei Kisten Bier zum Preis von einer anbietet, sagen sie nicht nein. Diese Schwäche ihrer Landsleute haben die Gebrüder ALDI erkannt und zu ihren Gunsten genutzt. Sie haben mehr Lebensmittel an die Massen verkauft, als die Massen imstande sind aufzuessen. Also haben die Massen den Rest im Keller verbuddelt.
Ich glaube, auch die Gebrüder ALDI haben einen Keller, den größten, den es in Deutschland gibt. Dort lagern sie die Lebensmittel, die sie aus verschiedenen Gründen nicht an die Massen verkauft haben. Und sollte es so weit sein, dass ein Krieg ausbricht oder eine Naturkatastrophe, steigen die Brüder mit dem Rest der Bevölkerung in ihren Keller, machen ein Bier auf und kommen erst wieder an die Oberfläche, wenn das Übel vorbei ist. Allerdings verfallen die meisten Lebensmittel trotz Konservierungsstoffe, wenn zu lange nichts passiert. Dann werden die Deutschen nervös und marschieren für alle Fälle in Afghanistan ein.
Neben den Gebrüdern ALDI gibt es in Deutschland noch weitere 52 Milliardäre. Es sind in erster Linie Versicherungsvertreter sowie Kaffee- und Aspirin-Produzenten, weil sich die Deutschen stets um ihre Rente sorgen, aus Sorge zu viel Kaffee trinken und davon Kopfschmerzen bekommen. Und nichts hilft bekanntermaßen besser gegen Kopfschmerzen als Aspirin. Der Gerechtigkeit halber muss hier gesagt werden: Es gibt unter den deutschen Milliardären auch einen Kunsthistoriker, was natürlich die hiesigen Reichen ungemein adelt. In welchem anderen Land werden schon Geisteswissenschaftler so unglaublich reich? Nur in Deutschland. Er besetzt auf der Forbes-Liste Platz 194, der Kunsthistoriker Burda. Leider sind die kunsthistorischen Werke, die ihm zu Reichtum verholfen haben, nicht aufgelistet. Es müssen wahnsinnig wichtige Entdeckungen gewesen sein.