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Der wichtigste Teil des Kurses war die Audiokassette. »36 Linguisten aus der ganzen Welt haben sechs Jahre hart gearbeitet, um diese 90-Minuten-Aufnahme zu entwickeln. Und jeder, der sich diese Kassette zwölfmal unter Hypnose anhört, wird die Fremdsprache seiner Wahl beherrschen können«, behauptete Doktor Hoffmann. Ich schenkte auch dieser Annonce keinen Glauben. Besonderes merkwürdig schien mir, dass alle Zahlen, die Doktor Hoffmann verwendete, um die Einmaligkeit seines Kurses zu beweisen, durch sechs teilbar waren. Für mich war das ein eindeutiges Zeichen für den Wahnsinn des Doktors. Doch Andrejs Augen glänzten. Vielleicht war es der Vergleich seines Unterbewusstseins mit einer Festplatte, der ihn überzeugte. Im Nu war er fest entschlossen, diese Methode auszuprobieren.

»Wer sind all diese Tausende, die dem Doktor danken? Ich kenne keinen einzigen, der sein Sprachpaket gekauft hat«, appellierte ich an Andrejs Vernunft.

Er war aber nicht mehr zu retten. »Es gibt so manches, Freund Horatio«, zitierte er voller Pathos Shakespeare, »wovon du keine Ahnung hast.« Zu mir gewandt, sagte er: »Du bist ein Zyniker und viel zu misstrauisch. Doch so kommen wir nicht weiter. Ich will Doktor Hoffmann eine Chance geben. Selbst, wenn ich der Erste bin, der ihm nachher dankt.«

Am nächsten Tag überwies Andrej tatsächlich 159,- Euro an Doktor Hoffmann, und schon drei Tage später bekam er von einem Kurierdienst einen Karton ausgehändigt. Mit diesem Karton kreuzte er dann wieder bei mir auf, denn so groß war sein Vertrauen in den Doktor doch nicht. Er wollte nicht allein in hypnotisiertem Zustand in der Wohnung sitzen. Wir packten das Paket zusammen aus. Laut beiliegender Instruktion sollte der Fremdsprachenliebhaber zuerst die Broschüre lesen, dann das Meditationsobjekt - eine kleine silberne Kugel, die an einer Schaukel hing - mit Hilfe von zwei Elektrobatterien in Bewegung setzen, dann die Kassette in den Rekorder schieben, Kopfhörer aufsetzen und sich in einem Sessel entspannen. So einfach war das Ganze.

Andrej wollte wissen, wie man feststellt, ob man schon hypnotisiert war oder erst auf dem Weg dahin. Darüber konnten wir in dem Buch keine Informationen finden, dafür jedoch zahlreiche Tipps, was zu tun war, wenn die Sache schiefging. Doktor Hoffmann beschrieb ausführlich die am häufigsten auftretenden Probleme und Fragen seiner Patienten:

»Sie haben sich die Kassette zwölfmal angehört, können aber die von Ihnen gewünschte Fremdsprache noch immer nicht. Das bedeutet: Ihr Unterbewusstsein ist überlastet und kann die Informationen nicht ordnungsgemäß speichern. Machen Sie einfach eine Pause. Gehen Sie an die frische Luft, versuchen Sie, ein paar Tage nicht zu trinken und nicht zu rauchen. Schlafen Sie sich gut aus, und dann versuchen Sie es mit der Kassette erneut.«

Oder: »Sie haben sich die Kassette mehrmals angehört und nun das Gefühl, dass Sie die von Ihnen gewünschte Fremdsprache fließend können. Sie wird aber als solche von Ihrer Umwelt nicht erkannt. Keiner versteht Sie. Bewahren Sie Ruhe. Das Unterbewusstsein der meisten unserer Mitmenschen ist ebenfalls oft überlastet. Reagieren Sie nicht auf Spott. Gehen Sie an die frische Luft, versuchen Sie, ein paar Tage nicht zu trinken und nicht zu rauchen. Schlafen Sie sich gut aus, und versuchen Sie es dann mit der Kassette erneut.«

Weiter hieß es: »Sie haben sich die Kassette zwölfmal angehört und beherrschen nun eine Fremdsprache, aber nicht die, die Sie sich gewünscht haben. Sie und Ihre Mitmenschen sind überzeugt, dass es sich um eine Fremdsprache handelt, aber keiner weiß, um welche. Bewahren Sie Ruhe. Wenden Sie sich an den Hersteller. Unsere Spezialisten stehen Ihnen rund um die Uhr zu Verfügung.«

Vorsichtig erkundigte ich mich bei Andrej, ob angesichts dieser Informationen seine Opferbereitschaft in Bezug auf den Fortschritt nicht doch etwas übertrieben war.

»Stell dir mal vor«, sagte ich zu ihm, »du hörst dir die Kassette ein paarmal an und kannst anschließend gar keine Sprache mehr. Das wäre doch auch möglich. Dann kannst du dich auch nicht mehr an den Hersteller wenden, nicht mal an die Polizei oder den Notarzt, dann bist du erledigt.«

»Stimmt nicht«, sagte Andrej, »ich kann immer noch E-Mails schreiben.«

Mir wurde klar, wie ernst ihm die Sache war. Ich versprach, in der Nähe zu bleiben, für alle Fälle, und verdrückte mich in die Küche. Eine Stunde lang hörte ich Andrej im Wohnzimmer fluchen: Sein Organismus wehrte sich und wollte nicht hypnotisiert werden. Doch irgendwann wurde es still in der Wohnung. Man konnte fast hören, wie die Audiokassette im Rekorder quietschte und die gewünschte Fremdsprache in Andrejs Unterbewusstsein tropfte. Ich las - zum vierzigsten Mal - Anna Karenina und fand das Werk erneut faszinierend. Als ich das Kapitel über den ausländischen Prinzen gerade durchhatte, erschien Andrej in der Küche. Er sah müde, aber zufrieden aus.

»Na, wie geht es dir, mein Freund?«, fragte ich ihn vorsichtig.

Er zündete sich schweigend eine Zigarette an. Dann sagte er in nahezu perfektem Deutsch:

»Tschüss, bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Popkonzert« - und lachte.

Der Enkel des Partisanen

Die Wege der Ausländer, die in Deutschland landen, sind verschlungen. Ich kenne Landsleute, die als wertvolle Computerspezialisten nach Deutschland gekommen sind, andere werden als politische Flüchtlinge anerkannt. Manche kommen als Russlanddeutsche, im Zuge der Zusammenführung von Blut und Boden, und einige geben an, sie würden eine Million in die deutsche Wirtschaft investieren und bekommen dadurch ein Aufenthaltsrecht. Mein Nachbar Sergej gehört zu der wahrscheinlich kleinsten Minderheit der Einwanderer: Er kam als Enkel eines weißrussischen Partisanen nach Deutschland, eingeladen von einem deutschen Kriegsveteranen.

In seiner Heimatstadt Gomel, der zweitgrößten Stadt Weißrusslands, gehörte Sergej zu den Studenten, die Deutsch statt Englisch oder Französisch lernten. Eine Perversität. Aber er behauptete, er fände den Klang der deutschen Sprache attraktiv. In der Regel sind Menschen, die kein Deutsch verstehen, von dieser Sprache alles andere als begeistert. Man sagt, Englisch höre sich an wie ein Popsong, Französisch wie ein Kuss, Russisch wie ein Trinkspruch und Deutsch wie Husten. Deutsch zu lernen ist an der russischen Universität der beste Weg, ein Außenseiter zu werden. Sergej studierte Deutsch beinahe im Alleingang.

Doch in den späten Neunzigerjahren kamen immer häufiger Touristen aus Deutschland nach Weißrussland, und Sergejs Sprachkenntnisse zahlten sich aus. Er wurde von einem Reisebüro, als persönlicher Dolmetscher und Betreuer für Reisende angeheuert, die nicht in Gruppen, sondern alleine, auf eigene Faust, durch Weißrussland reisten. Diese Einzeltouristen waren komische Menschen. Niemand von ihnen kam nach Weißrussland, um einfach ein wenig in den Wäldern spazieren zu gehen. Sie alle hatten einen Plan. In der Regel ging es um die Rettung der Menschheit oder einzelner Personen. Bei der Erfüllung dieses Plans waren sie jedoch auf die Hilfe eines erfahrenen Dolmetschers angewiesen. Sergej finanzierte mit diesem Job seine damaligen Hobbys, Boxen und Rapmusik. Zusammen mit ein paar Freunden gründete er die erste weißrussische Rapband und richtete ein Tonstudio ein. Sie rappten in ihrer Heimatsprache, aber anders als der amerikanische Rap war der weißrussische nicht böse oder aggressiv, nicht einmal sozialkritisch. In ihren Rapsongs ging es hauptsächlich um schnelle Autos und um Frauen, auf die immer Verlass war.