Die Weissagung der alten Großmutter
Meister Martin war über das unmutige Scheiden seines alten wackern Kundmanns ein wenig betreten und sprach zu Paumgartner, der eben das letzte Glas ausgetrunken hatte und nun auch scheiden wollte:»Ich weiß doch nun aber gar nicht, was der alte Herr wollte mit seinen Reden und wie er darüber am Ende noch verdrießlich werden konnte.«-»Lieber Meister Martin«, begann Paumgartner,»Ihr seid ein tüchtiger, frommer Mann, und wohl mag der was halten darauf, was er mit Gottes Hilfe wacker treibt und was ihm Reichtum und Ehre gebracht hat. Nur darf dies nicht ausarten in prahlerischen Stolz, das streitet gegen allen christlichen Sinn. Schon in der Gewerksversammlung heute war es nicht recht von Euch, dass Ihr Euch selbst über alle übrige Meister setzet: möget Ihr dich wirklich mehr verstehen von Eurer Kunst als die anderen, aber dass Ihr das geradezu ihnen an den Hals werfet, das kann ja nur Ärger und Missmut erregen. Und nun vollends heute abend! - So verblendet konntet Ihr doch wohl nicht sein, in Spangenbergs Reden etwas anders zu suchen als die scherzhafte Prüfung, wie weit Ihr es wohl treiben würdet mit Eurem starrsinnigen Stolz. Schwer musste es ja den würdigen Herrn verletzen, als Ihr in der Bewerbung jedes Junkers um Eure Tochter nur niedrige Habsucht finden wolltet. Und noch wäre alles gut gegangen, wenn Ihr eingelenkt hättet, als Spangenberg von seinem Sohne zu reden begann. Wie, wenn Ihr spracht: „ Ja, mein lieber würdiger Herr, wenn Ihr selbst kämt als Brautwerber mit Eurem Sohne, ja auf solche hohe Ehre wär ich nimmer gefasst, da würd ich wanken in meinen festesten Entschlüssen.“ Ja! Wenn Ihr so spracht, was wäre dann davon andres die Folge gewesen, heiter gelächelt und guter Dinge geworden wie vorher.«-»Scheltet mich nur«, sprach Meister Martin,»scheltet mich nur wacker aus, ich hab es wohl verdient, aber als der Alte solch abgeschmacktes Zeug redete, es schnürte mir die Kehle zu, ich konnte nicht anders antworten.«»Und dann«, fuhr Paumgartner fort, «und dann der tolle Vorsatz selbst, Eure Tochter durchaus nur einem Küper geben zu wollen. Dem Himmel, spracht Ihr, soll Eurer Tochter Schicksal anheim gestellt sein, und doch greift Ihr mit irdischer Blödsinnigkeit dem Ratschluss der ewigen Macht vor, indem Ihr eigensinnig vorher fest setzt, aus welchem kleinen Kreise Ihr den Eidam nehmen wollt. Das kann Euch und Eure Rosa ins Verderben stürzen. Lasst ab, Meister Martin, lasst ab von solcher unchristlichen kindischen Torheit, lasst die ewige Macht gebieten, die in Eurer Tochter frommes Herz schon richtigen Ausspruch legen wird.«-»Ach, mein würdiger Herr«, sprach Meister Martin ganz kleinmütig,»nun erst sehe ich ein, wie übel ich daran tat, nicht gleich alles heraus zusagen. Ihr meint, nur die Hochschätzung meines Handwerks habe mich zu dem unabänderlichen Entschluss gebracht, Rosa nur an einen Küpermeister zu verheiraten, es ist dem aber nicht so, noch ein anderer, gar wunderbarer geheimnisvoller Grund dazu ist vorhanden. - Ich kann Euch nicht fort lassen, ohne dass Ihr alles erfahren habt, Ihr sollt nicht über Nacht auf mich grollen. Setzt Euch, ich bitte gar herzlich darum, verweilt noch einige Augenblicke. Seht, hier steht noch eine Flasche des ältesten Weins, den der missmutige Junker verschmäht hat, lasst es Euch noch bei mir gefallen.«Paumgartner erstaunte über Meister Martins zutrauliches Eindringen, das sonst gar nicht in seiner Natur lag, es war, als laste dem Mann etwas gar schwer auf dem Herzen, das er los sein wollte. Als nun Paumgartner sich gesetzt und ein Glas Wein getrunken hatte, fing Meister Martin auf folgende Weise an:»Ihr wisst, mein lieber würdiger Herr, dass meine brave Hausfrau, bald nachdem Rosa geboren, an den Folgen des schweren Kindbettes starb. Damals lebte meine uralte Großmutter noch, wenn stocktaub und blind, kaum der Sprache fähig, gelähmt an allen Gliedern, im Bette liegen Tag und Nacht anders leben genannt zu werden verdienst. Meine Rosa war getauft worden, und die Amme saß mit dem Kinde in der Stube, wo die Großmutter lag. Mir war es so traurig und, wenn ich das schöne Kind anblickte, so wunderbar freudig und wehmütig zu Sinn, ich war so tief bewegt, dass ich zu jeder Arbeit mich untauglich fühlte und still, in mich gekehrt, neben dem Bet der alten Großmutter stand, die ich glücklich pries, da ihr schon jetzt aller irdische Schmerz entnommen. Und als ich ihr nun so ins bleiche Antlitz schaue, da fängt sie mit einemmal an, seltsam zu lächeln, es ist, als glätten sich die verschrumpfen Züge aus, als färbten sich die blasen Wangen. - Sie richtet sich empor, sie streckt, wie plötzlich beseelt von wunderbarer Kraft, die gelähmten Arme aus, wie sie es sonst nicht vermochte, sie ruft vernehmlich mit leiser lieblicher Stimme: „Rosa - meine liebe Rosa!“ - Die Amme steht auf und bringt ihr das Kind, das sie in den Armen auf und nieder wiegt. Aber nun, mein würdiger Herr, nun denkt Euch mein Erstaunen, ja meinen Schreck, als die Alte mit heller kräftiger Stimme ein Lied in der hohen fröhlichen Lobeweis Herrn Hans Berchlers, Gastgeber zum Geist in Straßburg, zu singen beginnt, das also lautet: